„Hart in der Sache, fair im Umgang“ Interview mit Andrea Nahles zur "neuen" SPD

Die SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles spricht im Interview über ihre neue Rolle, die Neuaufstellung der Partei und deren Vorsitzenden Martin Schulz. Nahles sagt: "Ich bin für eine harte Auseinandersetzung"

 Will das Profil der SPD schärfen: Fraktionschefin Andrea Nahles.

Will das Profil der SPD schärfen: Fraktionschefin Andrea Nahles.

Foto: picture alliance / Kay Nietfeld/

Frau Nahles, welchen Ton wollen Sie als SPD-Fraktionschefin im Bundestag anschlagen?

Andrea Nahles: Ich bin für eine harte Auseinandersetzung. Wir werden die Regierung kritisch herausfordern. Ich war jetzt vier Jahre Arbeitsministerin. Die Oppositionsrolle ist eine andere. Wir werden hart in der Sache, aber fair im Umgang sein.

Was hätten Sie gesagt, wenn Herr Gauland gesagt hätte, jetzt kriegen sie „in die Fresse“?

Nahles: Das käme auf den Kontext an. Und wenn Sie auf meine Bemerkung anspielen: Die war ein Scherz, über den auch die Unionskollegen gelacht haben, weil sie mich kennen. Kein Grund, sich zu empören.

Wie werden Sie der AfD begegnen?

Nahles: Wir werden im Parlament unsere Themen in Positionen zur Debatte stellen und sie leidenschaftlich und sachlich vertreten. Ich hoffe, dass auch die anderen Parteien das so halten. Eine Strategie der AfD wird sein, die Debatte und die Berichterstattung darüber mit gezielten Provokationen zu bestimmen. Darauf dürfen wir uns nicht einlassen. Ein gutes Argument muss mehr Aufmerksamkeit bekommen als eine stumpfsinnige Provokation.

Werden Sie Anträge der AfD niemals unterstützen?

Nahles: Ja, wir werden mit der AfD nicht zusammenarbeiten. Wir werden im Parlament aber formal korrekt mit ihr umgehen, wie sich das gehört.

Nach dem Wahlergebnis ist in der SPD von notwendiger Erneuerung die Rede. Was ist mit einer Fraktionschefin Andrea Nahles denn neu?

Nahles: Ich bin die erste Frau an der Spitze der SPD-Bundestagsfraktion.

Wie muss sich die SPD jetzt aufstellen?

Nahles: Wir haben die schwerste Wahlniederlage seit 1949 erfahren. Wir können jetzt nicht sagen, das Programm war gut, der Kandidat hat gekämpft, der Wähler hat’s nur nicht verstanden. 82 Prozent der Bürger halten unser Thema soziale Gerechtigkeit für zentral, das Wahlergebnis spiegelt das jedoch nicht. Auch haben wir für einzelne Forderungen wie der nach einer Stabilisierung des Rentenniveaus oder der Auflösung der Teilzeitfalle hohe Zustimmung bekommen. Vieles stand aber isoliert nebeneinander, es war unklar, wohin wir eigentlich mit diesem Land und Europa wollen. Wir müssen also stärker an dem Gesamtbild arbeiten und weniger an jedem einzelnen Puzzleteil.

Die Linkspartei kann bei sozialen Fragen deutlich mehr zuspitzen als Sie. Wie wollen Sie von dort Wähler zurückgewinnen?

Nahles: Wir werden uns kein Wettrennen um die steilsten Forderungen liefern. Wir werden unser eigenes Profil als SPD schärfen. Und wenn Sie mir unterschwellig mit der Frage nach einem Linksruck kommen wollen …

Das hatten wir nicht vor. Den haben Sie bereits an anderer Stelle von sich gewiesen. Aber es bleibt unklar, wie Sie ohne ausreichende Zuspitzung gewinnen wollen.

Nahles: Wer sagt denn, dass wir unsere Politik nicht ausreichend zuspitzen werden? Warten Sie mal ab, der neue Bundestag ist ja noch nicht einmal zusammengetreten.

In der möglichen Koalition aus Union, FDP und Grünen wird derzeit über den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte gestritten. Sind Sie dafür, den Nachzug zu ermöglichen?

Nahles: Unsere Position ist klar: Wir wollen das vom Einzelfall abhängig machen. Die Prüfung muss offen erfolgen, sodass auch der Nachzug enger Familienmitglieder möglich ist. Ich fürchte, dass uns mit Jamaika ein lähmender Stillstand bei den drängenden Fragen der Migration und Integration droht.

Ein anderer Streitpunkt ist die Mütterrente. Schützt die vor Altersarmut?

Nahles: Nein, sie ist ein berechtigtes Anliegen, aber eine gezielte Maßnahme gegen Altersarmut ist die weitere Verbesserung der Mütterrente nicht. Wenn das aus Steuern finanziert wird, kann man das machen, mit sieben Milliarden Euro ist es allerdings teuer. Wenn Sie mich fragen, was Vorrang bei der Rente haben sollte: die Stabilisierung des Rentenniveaus.

Welchen Titel geben Sie der SPD in der neuen Oppositionsrolle?

Nahles: Wir werden die großen Fragen thematisieren – die Zukunft Europas, die Gestaltung der Digitalisierung – und uns nicht im Klein-Klein verlieren. Unsere Werte und Ziele müssen bei vielen Themen wieder sichtbarer werden, in der Europapolitik, der Sozialpolitik, der Wirtschaftspolitik. Wir wollen als eine klare Alternative erkennbar sein.

Am Sonntag wird in Niedersachsen gewählt. Wie wichtig ist das Ergebnis für Ihre Partei?

Nahles: Ich bin fest überzeugt, dass es in Niedersachsen so gut laufen wird, wie bei der Wahl in Rheinland-Pfalz, wo wir mit einer fulminanten Aufholjagd am Ende die CDU geschlagen haben. Stephan Weil ist ein großartiger Ministerpräsident und wird es auch bleiben. Das ist gut für Niedersachsen, aber auch gut für die SPD. Doch es ist auch klar: Keine der wichtigen Hausaufgaben, die wir als SPD im Bund machen müssen, wird sich nach der Wahl in Niedersachsen auflösen. Auch mit einem guten Ergebnis und Freude über Niedersachsen wird es in der nächsten Zeit ein bisschen wehtun müssen.

Ist das Ergebnis für Martin Schulz’ Zukunft als Parteichef entscheidend?

Nahles: Nein, Martin Schulz ist und bleibt Parteivorsitzender. Auch über den Parteitag im Dezember hinaus.

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