Nervengift lähmt Zähneknirscher

Bonner Ärzte behandeln verschiedenste Krankheiten mit Botulinumtoxin

Bonn. Vom Gift zum Therapeutikum: Der Weg von einer "gammeligen" Konservendose zum Heilmittel war weit. Nachdem Justinus Kerner 1817 das Botulinumtoxin als Verursacher der Lebensmittelvergiftung (Botulismus) in einer bakterienverseuchten Konserve entdeckt hatte, wurde das stärkste bekannte Nervengift 1980 erstmals von dem Augenarzt Alan Scott für medizinische Behandlungen verwendet.

Mittlerweile hat sich das Anwendungsspektrum erweitert. Mit dem pharmakologischen Potenzial des Botulinumtoxins in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) beschäftigte sich im Dorint-Hotel ein interdisziplinäres Symposium, organisiert von der Bonner Uniklinik für MKG unter der Leitung von Oberarzt Jens J. von Lindern und des MKG-Chefarztes der Uni Bonn, Professor Rudolf H. Reich.

Das Gift hilft beispielsweise "Zähneknirschern", bei denen die übliche "Aufbissschiene" allein nicht taugt. Eine gezielte Giftinjektion blockiert die Nerven, die den hyperaktiven Muskel beeinflussen - er wird sozusagen stillgelegt.

Zwei bis drei Monate "Auszeit" verschafft so das Toxin, dessen Giftigkeit die des Zyankali um ein Millionenfaches übersteigt. Danach springen neu gebildete Nerven für ihre blockierten "Kollegen" in die Bresche.

Mit Hilfe des Grundprinzips "Toxin legt Impulsgeber eines hyperaktiven Muskels lahm" kann so funktionellen Störungen - wie muskulär bedingtem Kieferklemmen -, aber auch Schmerzen Abhilfe geschaffen werden. Die Schmerz-Patienten, die etwa an Spannungskopfweh oder der peinigenden Hyperaktivität der Kaumuskulatur leiden, bilden die größte Gruppe derer, die in der Bonner Uniklinik mit Botulinumtoxin behandelt werden.

Aber auch Störungen der Physiognomie können behoben werden. So führt permanenter Muskeltonus - durchaus vergleichbar mit dem pausenlosen Training in einem Fitnessstudio - zu ausgeprägten "Hamsterbäckchen".

Besonders schlimm für den Patienten: Die einseitige Form, die ein vollkommen asymmetrisches Erscheinungsbild des Gesichts verursacht. Wiederum hilft Botulinumtoxin, das den entsprechenden Muskel stilllegt, welcher sich daraufhin zurückbildet. Das Toxin wirkt nach dem gleichen Prinzip auch auf Drüsen.

Permanente Speichelproduktion kann die Wundheilung nach Mund- oder Kieferoperationen empfindlich stören. Eine "blockierte" Speicheldrüse ist da, verglichen mit schmerzhaften Druckverbänden oder Bestrahlungen, die patientenfreundlichste Lösung. Auch permanenter Tränenfluss - die sogenannten Krokodilstränen - versiegt so unter Einfluss des Giftes.

Bislang besteht in Deutschland für vier Krankheitsbilder eine Zulassung. Kosmetische Behandlungen allerdings - wie das Glätten von Stirnfalten - muss der Patient selbst finanzieren. Eine Injektion kostet etwa zwischen 400 und 1 000 Euro. Nebenwirkungen sind laut Oberarzt von Lindern keine bekannt.

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