TV-Experiment bei Maischberger Der Troll sitzt nicht in der ersten Reihe

Köln · Publikumsdebatte bei Sandra Maischberger: Wenn Bürger statt Politiker diskutieren, entwickelt das eigene Spannung, zeigt ein Versuch der Talkerin mit ihrer Sendung im Ersten.

 Die Talkshow als Bürgermedium: Sandra Maischberger wagte am Mittwochabend das Experiment „Die Publikumsdebatte: Angst vor dem Islam – Alles nur Populismus?“.

Die Talkshow als Bürgermedium: Sandra Maischberger wagte am Mittwochabend das Experiment „Die Publikumsdebatte: Angst vor dem Islam – Alles nur Populismus?“.

Foto: WDR/Max Kohr

Ein Troll ist im Netzjargon einer, der in seinen Internetbeiträgen das Ziel verfolgt, zu provozieren, zu emotionalisieren, zu hetzen. Einst versteckte er sich in der Regel hinter einem Pseudonym. Mittlerweile nennt er in den sogenannten sozialen Medien Vornamen und Nachnamen, ein Zeichen von mehr und mehr Selbstbewusstsein: Ich kann schreiben, was und wie und gegen wen ich will! Am Mittwochabend, das war zu befürchten, hätte er im öffentlich-rechtlichen TV in der ersten Reihe sitzen können: Sandra Maischberger lud in der ARD zur „Publikumsdebatte“ – zum Thema Islamismus und Populismus, den zwei aktuell gewaltigsten Reizwörtern in der Gesellschaft. Eine Kurzbilanz schon mal vorab: Der Troll saß nicht in der ersten Reihe.

Hat auch Bettina Böttinger im WDR Fernsehen schon mal das Publikum mitdiskutieren lassen, war Maischbergs Experiment so aufgestellt: Man gibt Zuschauern via soziale Medien die Möglichkeit, mit einem Statement zum Thema ihre Meinung zu zeigen und sich als Diskussionsteilnehmer in der Talkshow zu bewerben. So kann man Trolls im Vorfeld aussortieren.

Oder auch nicht: Erst mal sachlich bewerben, dann in der Show für Krawall sorgen – das ist ja kein neues Prinzip. Es gab auch Studiogäste, die berechenbar sind: Andreas Scheuer, Generalsekretär der CSU und deren Bezirksvorsitzender in Niederbayern, Aydan Özogus (SPD), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, und der Imam Husamuddin Meyer.

Vor der Sendung liefen die Kommentarspalten auf Maischbergers Facebookseite voll mit Sätzen wie: „Schon die Beschreibung der Sendung ist typisch deutsch: ,Viele Menschen befürchten nach dem Wahlsieg Trumps auch hier in Deutschland eine Kehrtwende‘ – Leute, wir befürchten keine Kehrtwende, wir wollen die!“ Garniert mit Verunglimpfungen wie „Die Özogus kommt doch nur, um ihren Rücktritt zu erklären!“

Experiment wird zum Erfolg

Nein, kam sie nicht. Und: Sie spielte eine Nebenrolle, ebenso wie CSU-Mann Scheuer, der sich damit nicht ganz so gut abfinden konnte. Die Hauptrolle spielten – Bürger. Solche aus Erfurt-Marbach, wo eine Moschee entstehen soll. Jetzt sitzen bei Maischberger zwei Marbacher nebeneinander: Der eine will keine Moschee am Ortseingang – das findet er provokativ. Außerdem hat er über Islamgelehrte gelesen, dass die Minarette der Moscheen wie Schwerter sein sollen – dieser Satz macht ihm Sorgen.

Der andere will die Moschee, weil sie für ihn ein Zeichen ist, dass er und seine Glaubensbrüder in ihrer Heimat Thüringen angekommen sind. Er heißt Mohammad Suleman Malik, ist Sprecher der Ahmadiya-Gemeinde. Die Sitz- und Ortsnachbarn diskutieren miteinander. Wohlgemerkt: Sie diskutieren. Sie geifern nicht. Allein dieser Moment macht das Experiment zum Erfolg.

Der Moment vervielfacht sich im Laufe der Sendung. Ein Krankenpfleger erzählt, dass seine weiblichen Kollegen von muslimischen Patienten und ihren Besucher respektlos behandelt werden. Stichwort Burka: „Wenn ich in ein kulturell verschiedenes Land einreise, muss ich bereit sein, einen Teil meiner Kultur aufzugeben und einen Teil der anderen Kultur anzunehmen“, findet eine Kölnerin. „Und zu unserer Kultur gehört es, sein Gesicht zu zeigen.“ Stichwort Religionstoleranz: Ein Allgäuer empört sich, dass Kreuze in seiner Heimat zerstört werden – „und das ist doch klar, dass das nicht Christen sind“.

Eine Mannheimer BWL-Studentin sagt, dass sie bei Bewerbungsgesprächen Probleme hat, weil sie ein Kopftuch trägt – und es sei doch in einem freien Land allein ihre Sache, was sie trägt. Sie alle kommen zu Wort, fallen sich auch mal ins Wort, werden von Maischberger abgekürzt, wenn sie sich wiederholen – souverän und sachdienlich ist das Eingreifen der Moderatorin. Die Diskussion auf die Spitze treiben, um damit einen Skandal auszulösen? Nein, darauf zielt Maischberger nicht ab. Die Zuschauer sollen miteinander reden. Debatte. Nicht Hetze.

So, bitte, liebe Kommunalpolitiker, geht Volkswille

Welches Resümee steht am Ende? Keines, das das Wort „Lösung“ verdient – was von einer TV-Talkshow auch zu viel erwartet wäre. Aber ein paar wichtige Dinge werden klar: Die Menschen erleben konkrete Dinge und wollen konkrete Lösungen – im demokratischen Geist: Wenn in Erfurt-Marbach die Mehrheit keine Moschee am Ortseingang will, dann kommt die da nicht hin. So, bitte, liebe Kommunalpolitiker, geht Volkswille. Wenn eine Moschee irgendwo anders in Deutschland von der Mehrheit akzeptiert wird, kommt sie dahin – wiederum: Volkswille.

Daneben ist Mehrheitsmeinung in der Show: Wenn der Islam radikal wird, hat er keinen Platz in Deutschland. Und wenn die Mehrheit Burkas für frauenverachtend hält – Islamexpertin Susanne Schröter bestätigt das rigoros –, dann muss über ein Verbot geredet werden. Hier die Auseinandersetzung, verbunden mit dem mehrfach geäußerten Aufruf an friedliche Muslime, sich mehr einzubringen. Dort die Regeln – Sache der Politik.

Apropos Politiker: Scheuer und Özoguz waren mehr Zaungäste in der Publikumsdebatte. Bleibt zu hoffen, dass beide gut zugehört haben. Und noch mal zu den Trolls: Sie schlugen (natürlich) danach zu. Im Netz schimpften sie über „blöde Kopftuchträger“. Ein Beispiel dafür, wie die eine Kommunikationsplattform Wort-Missgeburten eine Wiege gibt, während das Auge-in-Auge-miteinander-Sprechen das gegenteilige Ergebnis bringt: Es bleibt zivil. Und sogar höflich.

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