Interview mit Campino Der ewige Punk

Zum 30. Geburtstag ihrer Band gönnen sich die Düsseldorfer zwei neue Alben - mit 16 eigenen Liedern und 15 spektakulären deutschen Coverversionen. Olaf Neumann besuchte die Toten Hosen auf ihrer aktuellen "Magical Mystery Wohnzimmertour" und schipperte gemeinsam mit 100 ausgewählten Fans durch den Hamburger Hafen. Fast hätte er dabei einen Hörschaden erlitten, aber beim Interview mit Campino alias Andreas Frege verschwand das Pfeifen in den Ohren wieder.

Ihre aktuelle Tournee führt in die Wohnzimmer der Fans und an andere abseitige Orte. Müssen Sie sich ab und zu bewusst machen, wo Sie herkommen, um die Erdung nicht zu verlieren?
Campino: Überhaupt nicht. Es ist ein pures Vergnügen, immer schon gewesen. Es entspannt auch sehr, weil allen Leuten klar ist, dass es dabei weniger auf die Musik ankommt, sondern auf die Begegnungen. Man trifft alte und neue Freunde, es wird geredet. Diese Abende sind uns wertvoller als eine Probe zu Hause.

Was ist dabei wertvoller?
Campino: Auf dieser Tournee wird der Mannschaftsgeist unheimlich beschworen. Und wir trainieren nebenbei noch für die große Bühne. Wir können zum Beispiel in Island spielen. Dort schauen wir, dass wir uns zwischendurch ein, zwei Tage frei nehmen. Das Verhältnis zwischen Flausen und Musik sollte immer in einer vernünftigen Balance sein.

Das neue Album heißt "Ballast der Republik". Das Cover ist eine Collage, Konrad Adenauer ganz groß, Angela Merkel sehr klein. Daneben die Toten Hosen. Gehören Sie zum Ballast der Republik?
Campino: Natürlich, eher mit einem lachenden Auge. Auf diesem Umschlag ist das zu sehen, was im weitesten Sinn etwas mit diesem Land zu tun hat. Wenn man eine Collage macht, hofft man immer auf den Anspruch der künstlerischen Freiheit. Aber es ist gar nicht so einfach, so etwas zusammenzustellen, ohne Gefahr zu laufen, dass jemand etwas dagegen hat.

Hat jemand etwas dagegen?
Campino: Ich gehe nicht davon aus, dass Angela Merkel gegen das Cover einschreiten wird, es ist ja auch völlig wertfrei. Aber wir dürften zum Beispiel Leute wie Boris Becker und Claudia Schiffer, die eine gewisse Zeit auch irgendwie für Deutschland gestanden haben, nicht ungefragt in diese Collage einbauen. Die Sache wäre wesentlich schärfer ausgefallen, wenn wir wirklich freien Lauf gehabt hätten.

Hatten Sie als Band von Anfang an den Anspruch, die Bundesrepublik Deutschland zu verändern?
Campino: Das wäre jetzt zu groß formuliert. In den achtziger Jahren war es aber schon so, dass man über die Musik die Massen mobilisieren konnte.

Zum Beispiel?
Campino: Wir erinnern uns alle an die Konzerte gegen Rassismus und die Festivals gegen Atomkraft. Bei der Aktion gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf kamen Hunderttausende. In diesen Momenten hatte man schon gedacht, wir alle könnten etwas bewegen. Auch die Live-Aid-Veranstaltungen um Bob Geldof hatten ihre Wirkung. Aber es hat keine Nachhaltigkeit, die Sachdiskussion muss dann anders geführt werden, die kann nicht über Musik laufen.

Hat Musik heute weniger Wirkung?
Campino: Die Bedeutung der Musik hat sich in unserer Gesellschaft sehr geändert. Es wird immer so bleiben, dass sie für uns alle im gewissen Sinn der Soundtrack des Lebens ist. Man heiratet zu Musik, man beerdigt zu Musik. Sie wird immer Gefühle unterstützen, aber die Zeiten, in denen sich junge Leute über Musik identifiziert und irgendwo auch definiert haben, sind vorbei.

Woran machen Sie das fest?
Campino: Wenn Ende der siebziger Jahre jemand sagte, er höre die Sex Pistols, dann war das mehr als nur eine Auskunft. Es war ein Statement. Diese unmittelbare Verknüpfung, die Musik seiner Helden zu hören und auch nach deren Gesetzen zu leben, gibt es nicht mehr. Aber ich trauere der Sache nicht hinterher, ich stelle das einfach völlig wertfrei fest.

Beobachten Sie das politische Personal in Deutschland mit Interesse?
Campino: "Mit Interesse" wäre sicherlich übertrieben. Die Politik arbeitet hart daran, dass man sich von ihr abkehrt. Einzelne Persönlichkeiten in diesem Sumpf des Mittelmaßes zu finden, ist eine schwierige Aufgabe. Die Generation der Politiker, die wirklich etwas bewegen wollte, weil sie noch unter den Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs lebte, stirbt langsam aus. Typisch für heute sind eher Karrieretypen. Denen ist letztendlich weniger wichtig, in welcher Partei sie sind - Hauptsache, Aufstiegschancen sind da. So kommt es, dass das Profil der Parteien sich verwischt und eine Gruppierung wie die der Piraten eine solche Chance bekommt - einfach nur, weil die Wähler genervt sind. Ich finde das sehr bedauerlich.

Was konkret?
Campino: Das Geschwätz der Piraten ist unreif und planlos, die Zuneigung seitens der Wähler kann man nur als vorzeitige Protestnote verstehen. Die klassischen Parteien müssen es sich ankreiden, dass sie das mit verursacht haben. Das ist kein schönes Ergebnis.

Auch die Grünen zeichneten sich anfangs durch unbedarftes, amateurhaftes Herangehen an die Politik aus und haben mit einem Reizthema die Parlamente erobert. Geben Sie den Piraten die gleiche Chance?
Campino: Ich konnte damals schon deutlich mehr mit den Idealen der Grünen anfangen. Ich finde, die Piraten sind überhaupt nicht genau zu orten. Für mich ist das eine chaotisierte FDP-Version. Viele Sachen könnten auch ganz subtil von den Rechten kommen. Eine völlig fehlgeleitete Freiheitsdiskussion im Internet zum Beispiel. Wir alle wissen, dass es für die Gesetzgebung eine wahnsinnige Schwierigkeit ist, der Entwicklung im Netz hinterherzukommen. Ich beobachte natürlich mit großem Interesse die Urheberrechtsdiskussion.

Mit welchen Erkenntnissen?
Campino: Einerseits gibt es Schwierigkeiten mit dem Urheberrecht im Internet, andererseits darfst du noch nicht einmal eine zentimetergroße Abbildung einer öffentlichen Person auf einem Albumcover haben, ohne ein Risiko einzugehen. Da stimmt die Verhältnismäßigkeit einfach nicht mehr. Diese Diskussion ist sehr komplex und schwierig.

Die Wurzeln der Toten Hosen liegen in der Punkbewegung. Feindbilder der Punks waren Bombast-Bands wie Pink Floyd, Emerson Lake & Palmer und Politiker wie Helmut Kohl und Franz Josef Strauß. Und heute?
Campino: Es war früher einfacher, ein klares Feindbild zu haben. Deshalb trauere ich Kohl bestimmt nicht hinterher. Auch diesen Mann kann man nicht mit zwei Sätzen abhandeln.

Versuchen Sie es trotzdem.
Campino: Kohl hat sich auf internationalem Boden wesentlich sensibler verhalten, als man ihm in seiner plumpen Art eigentlich zugetraut hatte. Als wir einmal in Frankreich auf Tournee waren, sah ich eine Talkshow; Helmut Kohl war Thema und Gast der Sendung. Obwohl ich völlig gegen ihn eingestellt war, musste ich erstaunt feststellen: Er schaffte es, das französische Fernsehpublikum voll auf seine Seite zu ziehen und ein bescheidenes Bild von Deutschland zu zeichnen. Auf der anderen Seite grenzte es fast an Realitätsverlust, wie er in der Spendenaffäre seine Seilschaften schützte. Sein Standpunkt war: Wenn ich das entscheide, dann ist das Gesetz.

Sind Politsongs heutzutage noch cool?
Campino: Es ist heute schwieriger, zum Tagesgeschehen einen Kommentar abzulassen, weil sich die Ereignisse viel mehr überschlagen als früher. Vor zwei, drei Jahren hatten wir ein persiflierendes Lied über Guido Westerwelle geschrieben, haben es aber im letzten Moment gestoppt, weil sich ohnehin ein Sturm gegen ihn ankündigte. Wir wollten nicht als Wellenreiter dastehen. Rückblickend ist der Typ - und seinesgleichen - auch gar kein Lied wert. Gott sei Dank ist es ruhiger um ihn geworden, seine erste Zeit als Außenminister war entsetzlich. Ein Fehltritt nach dem anderen. Für mich war das schon vorher klar, ich fühle aber keinen Triumph.

Mit dem Lied "Europa" üben Sie Kritik an der europäischen Einwanderungspolitik. Wie denken Sie über eine Politik, die irreguläre Migration zu verhindern versucht?
Campino: Mit diesem Lied wollen wir einen Skandal wieder in Erinnerung bringen. Man liest jede Woche, dass irgendwo im Mittelmeer Flüchtlingsboote kentern. Und wenn diese Menschen doch aufgegabelt werden, schickt man sie schnell wieder zurück. Das ist eine EU-abgesprochene Geschichte, für die wir Deutschen genauso verantwortlich sind wie die Italiener vor Ort. Es gilt in diesem Europa immer noch, erst einmal die Grenzen zuzumachen und seinen eigenen Wohlstand zu sichern, bevor man dann überlegt, irgendwelche Entwicklungsprogramme in Afrika zu unterstützen. Die Taktik ist, den anderen möglichst unten zu halten, um selber sein Niveau retten zu können. Es ist erschreckend, wie stoisch und gelassen man diese ständigen Meldungen in sich aufnimmt, ich schließe mich da selbst nicht aus.

Haben wir in Deutschland noch eine offene, tolerante Gesellschaft?
Campino: Ich finde schon, dass wir in einem Land leben, indem man verdammt viele Sachen aussprechen und anstoßen darf. Wenn man auf eine bestimmte Problematik hinweist, gibt es jede Menge Menschen, die bereit sind, sich für dieses Problem zu öffnen und ihren eigenen Standpunkt zu überdenken. Wir sind auf keinen Fall ein ignorantes Volk, wir stehen unserem eigenen Handeln selbstkritisch gegenüber. Das ist vielleicht der Segen dieser großen Niederlage des Zweiten Weltkriegs.

Die Toten Hosen werden 30, Sie selbst feiern am 22. Juni Ihren 50. Geburtstag. Rockmusiker müssen sich irgendwann der Debatte um ihr Alter stellen, Sie hingegen wirken immer noch cool. Wie gehen Sie mit dem Älterwerden um?
Campino: Es ist überflüssig, darüber nachzudenken. Man kann es eh nicht verhindern. Wir sind gut beraten, aufzupassen, keine Persiflage von uns selber zu werden. Aber es gibt ja noch Leute, an denen man sich orientieren kann.

An wem?
Campino: Nick Cave zum Beispiel ist zeitlos gut. Wenn eine Tournee von ihm ansteht, freue ich mich darauf so sehr, wie ich mich Ende der siebziger Jahre darüber gefreut habe. Er ist spannend geblieben und hat immer eine Überraschung im Ärmel. Oder Menschen wie Johnny Cash, die eigentlich erst an ihrem Lebensende ihr ganz großes Potenzial abgerufen haben. Das lässt uns hoffen, dass wir unser bestes Lied vielleicht noch gar nicht geschrieben haben.

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