Großbritannien Angriffslustig und authentisch

London · Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon strebt ein neues Unabhängigkeitsreferendum an. An diesem Mittwoch soll das Parlament in Edinburgh Sturgeon die Befugnis erteilen, dann muss Theresa May zustimmen. Die lehnt den Vorstoß bislang ab.

 Die Erste Ministerin Schottlands: Nicola Sturgeon.

Die Erste Ministerin Schottlands: Nicola Sturgeon.

Foto: AFP

Im politischen Betrieb in Großbritannien wünschen sich hinter vorgehaltener Hand viele, Nicola Sturgeon wäre die Vorsitzende der Labour-Partei und würde als Oppositionsführerin der konservativen Premierministerin Theresa May und ihren Brexit-Plänen Paroli bieten. Sogar etliche Engländer drücken regelmäßig über soziale Medien ihren Wunsch aus, für die zierliche Frau in den farbenfrohen Kostümen stimmen zu dürfen. Sie und all jene, die keine Scheidung von Brüssel wünschen, hat die Erste Ministerin Schottlands bei der Frühjahrskonferenz der Schottischen Nationalpartei (SNP) am Wochenende eingeladen, in den nördlichen Landesteil zu ziehen. „Kommt hierher, um zu leben, zu arbeiten, zu investieren oder zu studieren.“ Ihre Fangemeinde ist berauscht. Von der Idee der Eigenständigkeit, dem ausgemalten Schottland, das nach Sturgeons Meinung offen, vielfältig und mitfühlend ist, und von der Kampfansage an die konservative Regierung in London. „Schottland wird selbst über seine Zukunft entscheiden.“ Die Ministerpräsidentin will ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum ansetzen. An diesem Mittwoch soll das Parlament in Edinburgh Sturgeon die Befugnis erteilen, dann muss Theresa May zustimmen. Die lehnt den Vorstoß bislang ab.

Ein Machtkampf zwischen den beiden mächtigen Politikerinnen ist entbrannt. Auf smarte Weise hat Sturgeon mit ihrer Ankündigung die Schlagzeilen der vergangenen Woche bestimmt, May geriet in die Defensive. Dabei sah es lange so aus, als zögere Sturgeon, eine zweite Volksabstimmung auszurufen. Sie drohte, von vielen Seiten hieß es, sie bluffe nur. Nun hat sie das Gegenteil bewiesen. Und könnte so für das Auseinanderbrechen des Königreichs verantwortlich werden. Ihre authentische Art sowohl auf der politischen Bühne als auch im alltäglichen Umgang mit ihren Wählern macht die nur 1,63 Meter große Schottin bei ihren Anhängern beliebt. Sie ist rhetorisch brillant und folgt einem knallharten politischen Kalkül. Anders als bei May wirken ihre Worte nicht wie gestanzt und auswendig gelernt, sondern klingen überzeugt und leidenschaftlich. Und so meint der ehemalige Ministerpräsident Alex Salmond, sie sei keine Frau, die man unterschätzen sollte.

Von ihm übernahm die 46-jährige Juristin nach dem verlorenen Referendum 2014 den SNP-Vorsitz. Sie war neben Salmond, ihrem politischen Ziehvater, das Gesicht der Unabhängigkeitsbewegung. Ihre Worte am Morgen nach dem Votum im September, als die Niederlage der Abspaltungsbefürworter offenbar wurde, haben sich bei vielen Schotten eingeprägt: „Ich habe mein Herz und meine Seele in diese Kampagne gesteckt und nun herrscht ein echtes Gefühl von Enttäuschung.“ Ihr Statement schätzten viele Menschen vor allem aus einem Grund: Ein Politiker gestand ohne großes Herumlamentieren den Misserfolg ein.

Die ehemalige Gesundheitsministerin im Parlament in Edinburgh wurde in der Küstenstadt Irvine geboren und zog für ihr Studium der Rechtswissenschaft nach Glasgow. Sturgeon lebt noch immer in der Arbeiterstadt. Bereits mit 16 Jahren trat sie der SNP bei und fiel schon früh als „ehrgeizig und äußerst sprachgewandt“ auf mit einem „scharfsinnigen politischen Verstand und einem Sinn für soziale Verantwortung“, wie Weggefährten sich erinnern. 1999 wurde sie als Abgeordnete für Glasgow in das neue schottische Regionalparlament gewählt. Seitdem kletterte Sturgeon, verheiratet mit einem SNP-Verantwortlichen, die politische Karriereleiter empor.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Falsche Zeichen
Kommentar zum Treffen von Steinmeier mit Erdogan Falsche Zeichen
Aus dem Ressort
Denkpause
Kommentar zum türkischen Wahlkampfverzicht Denkpause