Großbritannien reagiert auf eine alarmierende Studie des Roten Kreuzes Ein Ministerium gegen Einsamkeit

London · Es gab Zeiten, da pries das Vereinigte Königreich die "Splendid Isolation", die "wunderbare Isolation" aufgrund der Insellage, die zu einer Sonderstellung in Europa geführt hat. Das war im 19. Jahrhundert, auch wenn nach dem Brexit-Votum häufig auf den Begriff zurückgegriffen wurde.

Mittlerweile steht Isolation in Großbritannien für ein großes Problem. Ein Report des Roten Kreuzes enthüllte, dass sich von knapp 66 Millionen Briten mehr als neun Millionen Menschen oft oder immer einsam fühlen.

Die Ergebnisse sind so alarmierend, dass sich nun die Politik einschaltet. Die britische Premierministerin Theresa May hat diese Woche eine Ministerin für Einsamkeit ernannt, um sich der "traurigen Realität des modernen Lebens" anzunehmen. Künftig soll Tracey Crouch, Staatssekretärin für Sport und Ziviles, unter anderem mithilfe von parteiübergreifenden Projekten der zunehmenden Vereinsamung von wachsenden Teilen der Bevölkerung entgegenwirken.

Die Gründung des Ressorts ist demnach Teil einer breit aufgestellten Strategie, deren Details im Laufe des Jahres vorgestellt werden sollen. Sie soll lokale sowie nationale Behörden, öffentliche Einrichtungen, Freiwillige und Unternehmen einbeziehen. Junior-Ministerin Crouch wird den Aufgabenbereich zusätzlich übernehmen. Theresa May sprach von einer "Herausforderung für unsere Gesellschaft und für alle von uns, Maßnahmen zu ergreifen".

Es gehe vor allem um Senioren, pflegende Angehörige sowie solche Menschen, die um den Verlust eines ihnen nahestehenden Menschen trauern - "Menschen, die niemanden haben, mit dem sie reden oder ihre Gedanken und Erfahrungen teilen können".

Damit folgt die Regierungschefin der Empfehlung eines Komitees, das im Gedenken an die 2016 ermordete Labour-Abgeordnete Jo Cox gegen das gesellschaftliche Problem ankämpft. Die 41 Jahre alte Parlamentarierin war kurz vor dem EU-Referendum im nordenglischen Birstall von einem rechtsextremen Briten auf offener Straße getötet worden und hatte in jüngeren Jahren selbst Erfahrungen mit dem Gefühl der Einsamkeit gemacht.

"Es ist bewiesen, dass es schlimmer für die Gesundheit ist, als 15 Zigaretten am Tag zu rauchen", sagte Mark Robinson, Vorsitzender von Age UK, gegenüber Medien. Es ist Großbritanniens größte Wohltätigkeitsorganisation, die sich um ältere Menschen kümmert. Gleichwohl könnte Einsamkeit überwunden werden und müsse keine unabänderliche Gegebenheit im Leben älterer Menschen sein. Bleibt dagegen das Einsamkeitsempfinden, könne das laut Robinson sogar die Lebenserwartung reduzieren.

Der Report des Roten Kreuzes enthüllte zudem, dass rund 200.000 Senioren in Großbritannien für mehr als einen Monat kein Gespräch mit einem Freund oder Verwandten mehr geführt haben. Das Problem sei "generationenübergreifend", wie Tracey Crouch betonte. So fühlten sich etwa bis zu 85 Prozent aller junger Menschen mit Behinderung ebenfalls einsam.

Das Rote Kreuz beschrieb Isolation und Einsamkeit als "Epidemie im Verborgenen", die Menschen aller Altersstufen in unterschiedlichsten Lebensphasen treffen könne, wie beispielsweise bei Eintritt der Rente, Trauerfällen oder nach Trennungen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Wie ein Despot
Kommentar zu Donald Trump und der Presse Wie ein Despot