Trotz EU-Sanktionen Türkei will weiteres Schiff nach Zypern schicken

Istanbul · Trotz der Entscheidung der Europäischen Union zur Verhängung von Sanktionen gegen die Türkei im Gasstreit mit Zypern hat Ankara angekündigt, seine umstrittenen Bohrungen fortzusetzen.

 Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu (Mitte l) mit einer Delgation aus Ankara.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu (Mitte l) mit einer Delgation aus Ankara.

Foto: Peter Godfrey

Falls die EU gehofft haben sollte, mit ihren Sanktionen gegen Ankara die türkische Erdgas-Suche im Mittelmeer um Zypern stoppen zu können, dann hat sie sich getäuscht. Sein Land werde die Erforschung der Gasvorräte unter dem Meeresboden als Reaktion auf die EU-Maßnahme jetzt sogar noch verstärken, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Dienstag. Auch im Streit mit den USA um die Lieferung eines russischen Luftabwehr-Systems an den Nato-Staat Türkei bleibt Ankara gelassen. Ankara sieht sich in der Auseinandersetzung mit ihren westlichen Partnern am längeren Hebel.

Der harte Kurs im Umgang mit den traditionellen Verbündeten in Europa und Amerika entspricht der Weltsicht von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Obwohl die Türkei politische und militärische Bündnisse mit dem Westen abgeschlossen habe, „sehen wir, dass die größten Bedrohungen von eben dort kommen“, sagte Erdogan vor wenigen Tagen. Unter seiner Regierung hat sich das Selbstbild der Türkei gewandelt: vom Partner des Westens zur Regionalmacht mit der Entschlossenheit, seine Interessen durchzusetzen – notfalls gegen die USA und Europa.

Neudefinition der Beziehungen zum Westen

Murat Yetkin, angesehener türkischer Journalist und Verfasser des Nachrichten-Blogs „YetkinReport“, sprach gegenüber unserer Zeitung in Istanbul von einer „Neu-Definition der Beziehungen mit USA und EU“. Erdogans Satz von der „Bedrohung“ durch den Westen sei ernst zu nehmen, betonte Yetkin: Viele Türken seien derselben Ansicht. Erdogan äußerte sich kurz vor dem dritten Jahrestag des Putschversuches vom Juli 2016. Viele in der Türkei sind sicher, dass der Westen bei dem Umsturzversuch seine Hände im Spiel hatte.

Im Streit mit der EU um das Gas vor Zypern sieht sich die Türkei im Recht: Teile der Meeresgebiete, in denen die zur EU gehörende griechische Inselrepublik nach Gas suchen will, gehören nach türkischem Verständnis zum Festlandssockel der Türkei, andere zum Gebiet der türkischen Zyprer. Die Sanktionen der EU – darunter eine Kürzung der finanziellen Beitrittshilfen für 2020 von 400 Millionen auf 250 Millionen Euro – nehme er nicht ernst, sagte Außenminister Cavusoglu. Türkische Bohrschiffe bei Zypern werden von Kriegsschiffen begleitet.

Ankara fühlt sich im Zypern-Streit aus zwei Gründen sicher. Erstens werde Europa wohl kaum wegen Zypern einen militärischen Konflikt riskieren, sagte Yetkin. Die Proteste der Europäer lassen die Politiker in Ankara deshalb kalt. Bei dem Streit um das Gas unter dem Meeresboden geht es um das regionale Machtgefüge im östlichen Mittelmeer und um potenzielle Geschäfte in Milliardenhöhe. Demarchen aus Brüssel fallen da kaum ins Gewicht, zumal der türkische EU-Beitrittsprozess nur noch auf dem Papier weiterläuft.

Zweitens ist die EU in der Flüchtlingsfrage auf die Türkei angewiesen. „Die EU braucht uns beim Thema Flüchtlinge und bei anderen Themen“, sagte Cavusoglu am Dienstag. „Die werden zu uns kommen und reden – da führt kein Weg dran vorbei“. Die EU-Sanktionen wegen Zypern seien deshalb „wertlos“. Als Reaktion auf die Entscheidung der Europäer will die Türkei nach der Entsendung von drei Forschungs- und Bohrschiffen jetzt ein viertes Schiff in die Gewässer um Zypern entsenden.

Ankara verweist auf die geostrategische Lage

Auch bei den Differenzen mit den USA wegen der Lieferung des russischen Flugabwehrsystems S-400 an das Nato-Mitglied Türkei glaubt die Erdogan-Regierung, gute Karten in der Hand zu haben. Mit ihrer geografischen Lage zwischen Mittelmeer, Schwarzem Meer und Nahem Osten ist das Land wichtig für die Sicherheitsinteressen der USA. In Syrien befürchtet das US-Verteidigungsministerium einen Einmarsch der türkischen Armee im Einsatzgebiet amerikanischer Soldaten.

Erdogan setzt darauf, dass sein US-Kollege Donald Trump die angedrohten Wirtschaftssanktionen Washingtons doch noch verhindern wird. Allerdings geht es für die USA in der Debatte um die S-400 nicht nur um die Türkei. Yetkin zitierte einen US-Gewährsmann mit der Einschätzung, dass auch andere Nato-Mitglieder an dem russischen System interessiert sein könnten. Wenn die Türkei ohne Sanktionen davonkommen sollte, könnte ihr Beispiel im westlichen Bündnis Schule machen.

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