François Hollande Der Vertrauensbonus ist verspielt

PARIS · Es gibt einen Mann, der ruhig bleibt in einem Frankreich, das wankt. Inmitten der Demonstrationen Hunderttausender aufgebrachter Gegner der Homo-Ehe, der Verzweiflung angesichts aufeinanderfolgender Sozialpläne und immer weiter steigender Arbeitslosenzahlen, in einer Stimmung zwischen Wut und Resignation geht Präsident François Hollande einfach weiter. Heiter, unerschütterlich und mit "unbeirrbarer Konstanz", wie die Tageszeitung "Le Monde" schreibt.

 Er habe in zehn Monaten mehr geschafft als seine Vorgänger in zehn Jahren, findet der französische Staatspräsident François Hollande.

Er habe in zehn Monaten mehr geschafft als seine Vorgänger in zehn Jahren, findet der französische Staatspräsident François Hollande.

Foto: AFP

Doch der Optimismus des Kapitäns erreicht die Passagiere, sprich die Bürger nicht; er irritiert sie. Ein Jahr nach Hollandes Wahl hat er die Franzosen nicht wie versprochen versichert, beruhigt und geeint. Wurde der Sozialist am 6. Mai 2012 in erster Linie gewählt als kleineres Übel gegenüber seinem ungeliebten konservativen Rivalen Nicolas Sarkozy und weniger, weil sein Versprechen "Der Wandel ist jetzt" mitriss, so hat er zwölf Monate später den ohnehin geringen Vertrauensbonus verspielt.

Könnten die Franzosen am Sonntag erneut abstimmen, würde Hollande nach einer aktuellen Umfrage nur mit großer Mühe die Stichwahl erreichen. Im ersten Durchgang läge er mit 22 Prozent gleichauf mit Marine Le Pen, der Chefin des rechtsnationalen Front National, und weit abgeschlagen hinter Sarkozy, der heute wieder 30 Prozent der Stimmen hinter sich versammeln würde. Angesichts der beunruhigenden Ruhe Hollandes und des Ausbleibens von positiven Nachrichten in einem Kontext der Dauer-Krise würde eine Mehrheit plötzlich wieder die zupackende Dynamik des abgewählten Sarkozy vorziehen.

In einer anderen Erhebung sprechen sich 78 Prozent der Franzosen für eine "Regierung der nationalen Einheit" aus. Eine solche große Koalition über das in Frankreich etablierte Rechts-Links-Schema hinaus wäre ein absolutes Novum. Aber die Menschen wollen eine Alternative, einen Ausweg. Nur noch jeder vierte Franzose vertraut Hollande - nach nur einem Jahr des Regierens ist das der tiefste Beliebtheitswert, den je ein französischer Staatschef erreicht hat. Ein Ende des Popularitätsabfalls scheint nicht in Sicht, doch der 58-Jährige zeigt sich davon unbeeindruckt: Abgerechnet werde erst am Ende der fünfjährigen Amtszeit, argumentiert er. Dass Hollande erst 2017 bewertet werden wolle, sei zwar verständlich, sagt die Partei-Linke Marie-Noëlle Lienemann. "Aber auch bis dahin leben die Franzosen, sie müssen essen, wohnen, arbeiten. Den Leuten ist sein politischer Kalender egal."

Die Enttäuschung hat längst auch die sozialistischen Stammwähler erfasst. In seiner eigenen Regierung wird die Kritik an der Politik des Präsidenten immer hörbarer. Drei Minister haben öffentlich den Sparkurs der Regierung als zu einseitig kritisiert. Nur einer von ihnen wurde zurechtgewiesen. Das spricht nicht für die Autorität des Präsidenten und seines Regierungschefs Jean-Marc Ayrault. Auch der Skandal um seinen Ex-Budgetminister Jérôme Cahuzac und dessen illegales Auslandskonto fällt auf ihn zurück, hatte er doch eine "untadelige" Regierung versprochen.

Im Wahlkampf versuchte Hollande, sich seinem Image eines uncharismatischen, zaudernden Konsens-Menschen zu widersetzen, den Parteifreunde einst als "Walderdbeere" verspotteten. Es reichte nicht zu versprechen, er werde im Gegensatz zum überdrehten Sarkozy ein "normaler" Präsident sein. Hollande hatte zu zeigen, dass er ein würdiger Nachfolger von Führungspersönlichkeiten wie Charles de Gaulle und François Mitterrand werde: Ein Mann mit staatsmännischer Statur, der weiß, wo es langgeht und seine Truppe hinter sich eint.

Es scheint, als müsse er das immer noch. Natürliche Autorität fehlt ihm. Das erklärt, warum er auch die Konfrontation mit Angela Merkel, die er "freundschaftliche Spannung" nennt, nicht scheut, um den Eindruck zu zerstreuen, er werde von der Kanzlerin dominiert. Und auch, warum er mit dem Versprechen gebrochen hat, im Gegensatz zu Sarkozy mehr Arbeitsteilung einzuführen. Entsprechend des ganz auf den Präsidenten zugeschnittenen politischen Systems Frankreichs trifft auch Hollande die wesentlichen Entscheidungen allein.

Und macht dabei offenbar kaum etwas richtig. Die Legalisierung des Ehe- und Adoptionsrechtes für Homosexuelle gehörte zu seinen Wahlkampfversprechen und wird von einer Mehrheit der Franzosen befürwortet. Dennoch entstand eine unnachgiebige Gegenbewegung, die mit ihrem Protest das Gesetz zwar nicht verhindern konnte, aber der Opposition Kraft verlieh. Hollande bewies Standfestigkeit, aber viele werfen ihm vor, ein Vorhaben durchgedrückt zu haben, das die Franzosen in zwei Lager spaltet. Er geht gerupft aus diesem Sieg hervor.

Auch seine beherzte Entscheidung für ein militärisches Eingreifen im sich zuspitzenden Mali-Konflikt wurde zwar sowohl international als auch in Frankreich und selbst von der Opposition begrüßt. Doch von diesem Beweis, dass er zu kaltblütigen, mutigen Entscheidungen fähig ist, zieht er kaum Profit.

Denn entscheidend schwächt ihn die anhaltend schlechte wirtschaftliche Lage. Hollande mag noch so vehement darauf hinweisen, dass er diese von den konservativen Vorgängerregierungen geerbt hat. Kaum einer glaubt aber noch, dass er sein Versprechen einhalten kann, bis Jahresende eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen und ein Rezept gegen die fortschreitende Deindustrialisierung des Landes zu kennen. Stattdessen wird die Arbeitslosigkeit bis dahin wohl einen Rekordwert von elf Prozent erreicht haben.

Spott erntet der Präsident, wenn er erklärt, mit seinem "Werkzeug-Kasten" dieses Hauptproblem des Landes angehen zu wollen. Denn die Wirkung der Schaffung von Tausenden subventionierten Generationenverträgen, die Unternehmen Anreize bieten für die Einstellung junger Leute bei der Beibehaltung eines Senioren oder von "Zukunfts-Jobs" für schwer vermittelbare Berufseinsteiger ist umstritten. Zumal die Regierung ihre Wachstumsaussichten für 2013 auf 0,1 Prozent hinuntergeschraubt hat. Manche Ökonomen befürchten sogar eine Rezession.

Auch von seinem Ziel, gemäß der EU-Vorgabe das französische Defizit noch in diesem Jahr auf die Maastricht-Grenze von drei Prozent zu drücken, rückte er inzwischen ab. Zwar hat er seinem Land nie dagewesene Sparanstrengungen verordnet. Aber Experten kritisieren, dass er dabei überproportional auf Steuer-Erhöhungen setzt als auf Ausgaben-Einsparungen, obwohl Frankreich mit 56 Prozent die höchste Staatsquote Europas hat. Im Bildungsbereich stellte er sogar Tausende neue Beamte ein.

Zu Pluspunkten in Hollandes Bilanz gehört ein Wettbewerbspakt, der die Unternehmen entlastet - aber erst, nachdem er sie steuerlich massiv belastet hat. Zudem brachte er erstmals die Sozialpartner zu einer Einigung, die für einige Vorteile für die Arbeitnehmer im Gegenzug den Unternehmen mehr Flexibilität einräumt. Die Arbeitsmarktreform gilt als bescheiden, aber allein dass sie zustande kam, gilt als revolutionär. Wenn die in diesem Monat beschlossen sein wird, stehen Reformen beim Rentensystem und der Familienförderung an. Hollande selbst rühmt sich, in zehn Monaten mehr geschafft zu haben als seine Vorgänger in zehn Jahren. Doch viele Bürger - siehe Umfragen - sehen das anders.

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