CSU-Vorsitzender und Bundesinnenminister Horst Seehofer kündigt Rückzug an

BERLIN · Es ist sein fünfter Anlauf, seine Ämter aus der Hand zu geben. Nun scheint Horst Seehofer ernst zu machen. Doch er seehofert bis zum Schluss.

Wenn sein Name zum Verb wird, hat ein Mensch es gewöhnlich geschafft, auch nach dem eigenen Abtritt präsent zu bleiben. Wie es sich bei einem verhält, der es gleich zu zwei Bedeutungen brachte, ist noch nicht absehbar. Wenn der 1949 in Ingolstadt geborene Arbeitersohn als unumstrittener Taktgeber der bayerischen Politik über Nacht die Positionen wechselte, dass es seinen Mitstreitern leicht schwindlig werden konnte, dann „seehoferte“ er. Es war auf dem Höhepunkt seiner Macht verknüpft mit unerschütterlichem Grundvertrauen seiner Anhänger. Denn meistens gab ihm sein Bauchgefühl recht, mit welchen Themen und Meinungen seine CSU den Mehrheitswillen der Bevölkerung abdecken konnte. Und mit welchen Meinungsvolten Seehofer Meinungsführer bleiben konnte

Seit die CSU bei den Landtagswahlen auf 37,2 Prozent abstürzte, funktioniert das Wort nicht mehr. Und auch der Nimbus ist weg, den sich Seehofer zehn Jahre lang erarbeitet hatte, nachdem die Doppelspitze aus Ministerpräsident Günther Beckstein und Parteichef Erwin Huber 2008 mit 43 Prozent ein fatales Wahlergebnis eingefahren hatte und dringend weichen musste. Binnen Tagen kriegte Seehofer damals hin, was er nun für unmöglich erklärte: In laufenden Koalitionsverhandlungen zügig beiseite treten und einen Nachfolger mit Schwung ins Amt zu bringen. Das Unvermeidliche immer wieder herauszögern - das ist das neue „Seehofern“ geworden. Und es spricht dafür, dass er damit sein Bild für die Nachwelt zerkratzt.

Daran hat er bereits seit dem Sommer kräftig gearbeitet. Weil er unbedingt ein Symbol für die Abwicklung von Angela Merkels Flüchtlingspolitik haben wollte, ließ er es zum Großkonflikt zwischen den Schwesterparteien kommen. Er bestand auf Zurückweisungen an den Grenzen, von denen sich herausstellte, dass seine Kritiker („das bringt kaum was“) richtig lagen: Nicht mal eine Handvoll Fälle im Monat hat der Noch-CSU-Chef und Noch-Bundesinnenminister als Ergebnis seiner Schlacht vorzuweisen. Der Kollateralschaden indes ist verheerend: Der Wahlausgang in Bayern und ein eigenes Schicksal, das inzwischen nicht mehr dem weitsichtigen Macher entspricht, sondern dem Bauern, der vom Hof gejagt werden muss und der bockig davon spricht, in Würde gehen zu dürfen.

Bockig konnte Seehofer sein. Wenn er für falsch hielt, was Merkel wollte, konnte er, wie 2004, auch schon mal von seinem Posten als stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Streit um die Gesundheitsprämie zurücktreten. Da hatte er schon reichlich Regierungserfahrung sammeln können: Nach sechs Jahren als sozialpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe startete er 1989 als Staatssekretär für Arbeit und Soziales in der Regierung Helmut Kohls. Knapp drei Jahre später war er Gesundheitsminister und handelte mit der Opposition eine neue Struktur zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen aus. Als die SPD-Jahre im Kanzleramt 2005 endeten, gehörte Seehofer gleich wieder zu den Kabinettsmitgliedern unter der ersten Merkel-Regierung, dieses Mal als Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Das "Paradies" Bayern

2008 dann die Erfüllung des Lebenstraumes jedes christsozialen Politikers: Nicht nur Chef der CSU, sondern auch Ministerpräsident Bayerns zu sein. Das Land sei die „Vorstufe zum Paradies“ gehörte zu Seehofers frühem Repertoire. Zuletzt sprach er nur noch davon, Bayern sei das „Paradies“. Vielleicht steckt in diesem Wortwandel auch eine Erklärung für seinen Niedergang: Die Einstellung zum eigenen Werk verloren und sein Wirken verklärt zu haben. In den vielen zähen Verhandlungen über den Kurs Deutschlands galt ebenfalls schon früh eine vielzitierter Einschätzung Seehofers über Angela Merkel: „Wer diese Frau unterschätzt, hat schon verloren.“

2013 hatte er mit der CDU und der SPD die rapide wachsenden Herausforderungen der Migration über etliche Seiten in den Koalitionsvertrag geschrieben. Von der Dynamik, die 2015 ihren Höhepunkt erreichte, war das Bündnis gleichwohl überrascht. Als Merkel ihn angesichts der nahenden Flüchtlinge aus Ungarn Anfang September zu erreichen versuchte, ging Seehofer auf Tauchstation. Er hatte sich über sie geärgert, weil sie das Hundertjährige des CSU-Idols Franz-Josef Strauß nicht durch eigene Anwesenheit würdigen wollte. Da wollte er erst einmal nichts von ihr wissen - und konnte als scheinbar Unbeteiligter die Flüchtlingspolitik massiv angehen.

Seehofer wurde zum Spruch-Geber der Kritik von rechtsaußen, beklagte „Staatsversagen“, „Kontrollverlust“ und wollte den „Rechtsstaat“ zurück. Es waren die Worte, die ein oppositioneller Unionspolitiker einem gescheiterten SPD-Minister entgegenschleudert. Doch dieses Mal attackierte er das eigene Lager, drohte mit Klage gegen die eigene Bundesregierung, bereitete sie vor und reichte sie dann nicht ein. In scharfem Manöver vollzog unter Mittun Seehofers die Merkel-Regierung eine Wende nach der anderen und veränderte Stück für Stück die Willkommenskultur gesetzlich in einen strikten Begrenzungskurs. Doch Seehofer behielt seine Verbalattacken bei, statt zu feiern, was er alles bewirkt hatte. Dadurch entwickelte sich die Annahme, es gehe ihm tief im Innern vor allem um eine persönliche Auseinandersetzung und einen finalen Triumph über Angela Merkel.

„Schmutzeleien“ und charakterliche Defizite

Dafür hatte er bereits Ende Dezember 2015 die Bilder geliefert, als er Merkel auf der Bühne des CSU-Parteitages maßregelte und die Kanzlerin und Staatsfrau von Weltrang wie ein Schulmädchen neben sich stehen ließ. In den folgenden Jahren unterschätzte Seehofer seine Möglichkeiten, den CSU-Politiker Markus Söder zu verhindern. Er warf ihm öffentlich „Schmutzeleien“ vor und attestierte ihm charakterliche Defizite. Doch sein Versuch, ihn durch die Übertragung des Amtes des CSU-Chefs als Ministerpräsident zu verhindern, scheiterte, wie nun die Variante scheiterte, selbst CSU-Chef bleiben und mit einem grandios vergrößerten Innenministerium sowohl die Flüchtlingspolitik bestimmen als auch über den Wohnsektor zu seinen Wurzeln als Sozialpolitiker zurückkehren zu können.

Nach der Wahlkatastrophe von Bayern unterschätzte er die Kanzlerin und hatte damit auch den Kampf um den besseren Abgang verloren. Merkel vollzog am Tag nach der Hessenwahl, was er zwei Wochen zuvor am Tag nach der Bayernwahl hätte tun müssen: Seinen Rückzug vom Parteivorsitz ankündigen. Zwar deutete er an, dass es irgendwann demnächst auch um personelle Konsequenzen gehen werde. Aber erst sollte noch mit den Freien Wählern sondiert, erst der Koalitionsvertrag verhandelt, erst Markus Söder als Ministerpräsident gewählt, erst Manfred Weber EVP-Spitzenkandidat für die Europawahlen werden, erst das Landeskabinett vereidigt werden. Erst musste noch das Verb „seehofern“ eine neue Umschreibung bekommen, erst sein Ruf restlos ramponiert sein.

Die für Anfang nächsten Jahres erfolgte Abtritts-Ankündigung in der Runde der Bezirksvorsitzenden ging nicht ohne eine neue Spitze gegen Merkel. Diese werde auch noch merken, dass man auf Dauer nicht ohne den Parteivorsitz seine Stellung im Regierungsamt behalten könne, soll der Noch-Parteichef und Noch-Minister gesagt haben. Da wird Seehofer sich beeilen müssen, um nicht noch den Nachweis zu bringen, dass es auch auf kurze Dauer schon das Innen- und Bauministerium schädigt, wenn man zu lange seehofert.

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