Trauer um Ariel Scharon Tod nach acht Jahren im Wachkoma

JERUSALEM · "Kadima" - übersetzt "Vorwärts" - hatte Ariel Scharon seine Parteineugründung genannt, mit der er 2005 nach dem Austritt aus dem Likud weiter Politik machen wollte. Der Name war Programm: Vorwärts, nicht rückwärts wollte er blicken, denn sonst hätte er sich erklären müssen. Warum, so fragten seine entsetzten Anhänger, konnte der Mann, der den Israelis in den 90er Jahren zugerufen hatte, "so viele Berggipfel wie möglich" von den Palästinensern zu nehmen, zehn Jahre später einen 180-Grad-Schwenk machen und diese Siedlungen räumen?

Der 85-Jährige kann sich nicht mehr erklären. Am Samstag ist Ariel Scharon gestorben, nachdem er bereits über acht Jahre infolge eines Schlaganfalls im Wachkoma gelegen hatte. Ariel, der "Löwe Gottes", verkörperte zu Lebzeiten für viele Landsleute das Selbstbewusstsein Israels.

Sohn jüdischer Einwanderer aus Weißrussland, wurde Scharon am 27. Februar 1928 im britischen Mandatsgebiet geboren. Seine erste Lebenshälfte verbrachte er in der Armee, vom 14-jährigen Kämpfer in der Haganah, der jüdischen Untergrundorganisation, stieg er nach der Staatsgründung 1948 bis zum Divisionsgeneral auf. 1973 ließ er sich als Held feiern, als er gegen den Willen seiner Vorgesetzten den ägyptischen Suezkanal überquerte und damit das Blatt im Jom-Kippur-Krieg für Israel wendete. Fotos von damals zeigen den 45-Jährigen mit einem blutverschmierten Kopfverband, lachend.

Die zweite Lebenshälfte widmete Scharon der Politik. Den Spitznamen "Bulldozer", den schon seine spätere Leibesfülle nahezulegen schien, hatte er sich durch sein hartes Vorgehen gegen die Araber erworben. Es erschien ihm selbstverständlich, dass das Land zwischen Jordan und Mittelmeer den Juden gehöre und alle Mittel zu seiner Eroberung Recht seien, auch wenn sie sich gegen die arabische Zivilbevölkerung richteten. Als Bau- und Infrastrukturminister trieb Scharon den Siedlungsbau im Gaza-Streifen und im Westjordanland voran.

Die politische Wende kam nach 2001, als Scharon erstmals zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Bis heute wird gerätselt, welche Ziele der damalige Likud-Vorsitzende mit dem vollständigen Rückzug aus dem Gaza-Streifen verband. Gegen den mächtigen Widerstand der Betroffenen ließ er im August 2005 rund 1900 jüdische Siedlerfamilien in das israelische Kernland verlegen. Da hatte er schon entlang der Waffenstillstandslinie von 1948 den Sperrzaun zum besetzten Westjordanland hochziehen lassen - offiziell, um palästinensische Terroristen abzuwehren. Manche vermuteten aber auch, dass Scharon damit die Grenzen eines künftigen Palästinenserstaates vorzeichnen wollte.

"Ich bin überzeugt, dass wir mit den Palästinensern zusammenleben können", sagte Scharon im Jahr 2000, als er den von Jordanien verwalteten Tempelberg mit der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem besuchte. Scharons Geste wurde als Provokation empfunden und gilt gemeinhin als Auslöser der zweiten Intifada. Israelis glauben allerdings, dass die Provokation den Palästinensern durchaus willkommen war.

Reaktionen

"Mit seiner mutigen Entscheidung, die israelischen Siedler aus dem Gazastreifen abzuziehen, hat er einen historischen Schritt auf dem Weg zu einem Ausgleich mit den Palästinensern und zu einer Zwei-Staaten-Lösung getan."
Bundeskanzlerin Angela Merkel

"Wir schließen uns dem israelischen Volk bei der Ehrung seines Einsatzes für sein Land an."
US-Präsident Barack Obama

"Er war ein tapferer Soldat und kühner Anführer, der seine Nation liebte und von seiner Nation geliebt wurde."
Israels Präsident Schimon Peres

"Scharon wird für seinen politischen Mut und seine Entschlossenheit in Erinnerung bleiben, den schmerzhaften und historischen Abzug israelischer Siedler und Soldaten aus dem Gazastreifen durchzuziehen."
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon

"Er wollte uns töten, doch am Ende des Tages ist Scharon tot und das palästinensische Volk lebt."
Taufik Tirawi, ein ehemaliger palästinensischer Geheimdienstchef

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