Ermittlungen gegen Ex-VW-Chef Winterkorn

Wolfsburg · Bei der Aufarbeitung des Abgas-Skandals gerät nun Ex-Volkswagen-Chef Martin Winterkorn ins Visier der Justiz. Nach mehreren Strafanzeigen leitete die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein.

Der Fokus liege auf dem Vorwurf des Betrugs durch den Verkauf von Autos mit manipulierten Abgaswerten, teilte die Behörde mit. Während die Aktie an der Frankfurter Börse um fast acht Prozent einbrach, wurden weitere Beurlaubungen von Top-Managern bekannt. Am Mittwoch steht nach dpa-Informationen ein Krisentreffen des Aufsichtsrats-Präsidiums an.

Nach Angaben einer Justizsprecherin wird geprüft, ob gegen Winterkorn ein Anfangsverdacht bestehe. Derzeit werde er noch nicht als Beschuldigter in dem Verfahren geführt; allerdings sei sein Name der einzige eines VW-Managers, der in den Anzeigen auftauche. Vor allem wollen die Ermittler klären, wer für die Manipulationen die Verantwortung trägt und welches Ziel sie hatten. Bisher seien rund zehn Anzeigen eingegangen, mit weiteren werde gerechnet.

Das genaue Ausmaß des Skandals ist rund eine Woche nach Bekanntwerden der Affäre ebenso unklar wie alle konkret betroffenen Marken, Modelle und Märkte. Der neue Konzernchef Matthias Müller hatte nach seiner Ernennung "maximale Transparenz" angekündigt - er will kommende Woche nach Betriebsratsangaben die Belegschaft in Wolfsburg informieren.

Berichte über einen möglichen Einstellungsstopp als Konsequenz aus dem Skandal dementierte ein VW-Sprecher mit den Worten: "Es gibt keinen Einstellungsstopp." Die Stadt Wolfsburg erwartet deutliche Gewerbesteuereinbußen. "Als Sofortmaßnahme habe ich für die Stadtverwaltung bereits eine sofortige Haushaltssperre sowie einen Einstellungsstopp angewiesen", sagte Oberbürgermeister Klaus Mohrs.

Dem Präsidium des Aufsichtsrats soll nach dpa-Informationen am Mittwoch bei einer erneuten Krisensitzung nach internen Ermittlungen ein erster Zwischenbericht vorgelegt werden, wie die Deutsche Presse-Agentur am Montag aus Konzernkreisen erfuhr.

Demnach fiel die Entscheidung zum Einbau der Manipulations-Software in Diesel-Fahrzeugen bereits in den Jahren 2005 und 2006, und zwar in der Motorenentwicklung in der VW-Zentrale in Wolfsburg. Mit Hilfe der Software hatte VW Abgaswerte in US-Dieselfahrzeugen manipuliert.

Damals, zu Zeiten von Bernd Pischetsrieder als Konzernchef und Wolfgang Bernhard als VW-Markenchef, wollte Volkswagen angesichts von Problemen auf dem US-Markt mit Dieselfahrzeugen punkten. Die Vorgabe sei gewesen, die Autos trotz der schärferen Abgaswerte kostendeckend anzubieten, hieß es in den Konzernkreisen.

Die Einhaltung der Grenzwerte, zumindest auf dem Prüfstand, sei aber nur mit Hilfe der Manipulations-Software möglich gewesen. VW habe darauf verzichtet, eine bestimmte Technologie zur Abgasreinigung in die Autos einzubauen, weil dies als zu teuer angesehen wurde, wie es hieß.

Bisher ist unter anderem klar, dass weltweit 11 Millionen Autos betroffen sind, davon 2,8 Millionen in Deutschland. Ebenfalls offen ist, wie VW mit den betroffenen Autos umgehen wird.

Vorermittlungen hatte die für Wirtschaftsstrafsachen zuständige Staatsanwaltschaft in Braunschweig bereits in der vergangenen Woche eingeleitet - auch auf Grundlage mehrerer Strafanzeigen. Auch das Präsidium des VW-Aufsichtsrates hatte vergangenen Mittwoch eine Strafanzeige angekündigt und erklärt: "Es steht nach Ansicht des Präsidiums fest, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, die auch strafrechtlich relevant sein können." Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft würden vom Konzern in aller Form unterstützt.

VW-Markenchef Herbert Diess soll am Dienstag in Brüssel Gespräche mit der EU-Kommission über den Abgas-Skandal führen. Der Top-Manager werde Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska treffen und über die jüngsten Entwicklungen informieren, teilte die EU-Kommission am Montag mit. Die EU-Kommission hatte jüngst die vollständige Aufklärung des Skandals von den nationalen Behörden verlangt.

Daneben wurden auch weitere personelle Konsequenzen des Diesel-Dramas bekannt. So wurden nach dpa-Informationen mehrere Top-Manager des Konzern beurlaubt, darunter Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg. VW äußerte sich nicht dazu, auch Audi lehnte eine Stellungnahme ab.

Den Informationen zufolge wehrt sich Hackenberg juristisch gegen seine Suspendierung. Bereits am vergangenen Donnerstag musste nach Angaben aus Unternehmenskreisen Porsche-Forschungsvorstand Wolfgang Hatz gehen.

Volkswagen hatte am vergangenen Freitag erklärt, erste Manager "beurlaubt" zu haben. Im Intranet wurde Volkmar Tanneberger als derjenige vorgestellt, der vorübergehend das Entwicklungsressort der Marke VW leiten wird. Angaben zum bisherigen Amtsinhaber Heinz-Jakob Neußer, der nach Informationen der "Autogazette" seinen Posten räumen musste, gab es allerdings offiziell nicht.

Die Manipulationen bei Abgaswerten von Diesel-Fahrzeugen war am vorvergangenen Freitag in den USA bekanntgeworden. Innerhalb weniger Tage musste Konzernchef Martin Winterkorn seinen Posten räumen. In den USA und in Kanada rollt nach Medienberichten zudem eine Flut von Sammelklagen auf die Wolfsburger zu. Unklar ist, welche Auswirkungen die Ermittlungen auf mögliche Abfindungsansprüche Winterkorns haben.

Volkswagen hatte bereits eingeräumt, dass es bei insgesamt rund 11 Millionen Fahrzeugen weltweit "Abweichungen" gebe. Eine genaue und vollständige Liste der betroffenen Modelle gibt es jedoch noch nicht. Die Motoren vom Typ EA 189 wurden mit einer Software ausgestattet, die die Messung des Ausstoßes von Stickoxiden manipulierte.

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