Buchbesprechung: "Hool" Schlacht auf freiem Feld

Dieses Buch hat Chancen auf den Deutschen Buchpreis: Philipp Winklers Roman „Hool“ taucht ins Milieu der Fußballhooligans ein.

 Gründlich informiert: Autor Philipp Winkler.

Gründlich informiert: Autor Philipp Winkler.

Foto: Aufbau Verlag

Erst mal den Zahnschutz anwärmen – „keines dieser Billoteile aus Massenproduktion“. Dann mit dem Wagen hinter Olpe in den Wald, zum „Match“ mit den Kölnern, 15 Mann auf beiden Seiten. „Das Adrenalin pumpt durch meinen Körper. Der Kopf wird leicht.“ Dann geht's los, Fäuste krachen gegen Kieferknochen, und am Ende hat Heiko mit seinen Hannoveraner Fußballhooligans gewonnen.

Jetzt noch ein paar Pils im „Zapfhahn“ und zurück nach Wunstorf, in die niedersächsische Provinz. So sehen sie aus, die Höhepunkte im Leben von Heiko Kolbe, Mitte 20. Der Schulabbrecher jobbt bei seinem Onkel Axel im „Wotan Boxing Gym“, wo - wen wundert's - auch schon mal ein paar Nazis die Sandsäcke traktieren. Die Mutter ist abgehauen, der Vater Alkoholiker mit neuer Thai-Frau, und Heikos Freundin Yvonne hat der Drogennebel verschluckt. Dann gibt es da noch seinen Mitbewohner Arnim, der illegale Hundekämpfe veranstaltet und gern einen sibirischen Tiger hätte. Das alles ist verdammt weit weg von den Beziehungskrisen besserverdienender Paare am Prenzlauer Berg, aber für die „behütete Gutbetuchtes-Elternhaus-Scheiße“ hat Heiko ohnehin nichts übrig.

Kein Zweifel, mit seinem Debütroman „Hool“ taucht Philipp Winkler ganz tief in ein Milieu ein, das sonst nicht unbedingt als literaturtauglich gilt. Viel Blut, Schweiß und wenig Tränen. Der Sound dieser Prosa erinnert ein wenig an Clemens Meyers furioses Debüt „Als wir träumten“ - jene Jugendballade voll verzweifelter Lebensgier, die manche der lädierten Helden in üble Sackgassen trieb.

Winkler, Jahrgang 1986, hat sich über das Hooligan-Milieu so gründlich informiert, dass man den Macho-Mief von Heiko, Kai, Jojo und den anderen Blutsbrüdern fast riechen kann. Irgendwie hängen sie an Hannover 96, doch statt um Flanken und Tore geht es eher um knallharte Körpertreffer gegen die Erzfeinde von Eintracht Braunschweig.

Den Schlachten auf freiem Feld oder abgewracktem Industriegelände gibt Winkler knochensplitternde Härte, zeigt aber auch, wie langsam all das heilt, was da kaputt geschlagen wird. Und immer folgt dem Adrenalinrausch der Kater.

Die Traurigkeit darüber lässt Philipp Winkler eher zwischen den Zeilen in seinen Roman einsickern, der zickzack durch die Zeiten läuft. Dass Heiko als Junge bei Jojo alte Kicker-Hefte durchblätterte, dass er noch eine Familie mit Vater, Mutter, Opa und Oma hatte - das alles ist längst unter bleigrauer Tristesse begraben.

Das Talent dieses Autors zeigt sich im Grotesken (der Tiger-Transport aus Polen) wie in der Gabe, das Elend der Figuren ohne Weinerlichkeit, eher mit zusammengebissenen Zähnen zu beschwören. Einziges Manko ist Winklers literarische Ambition. Denn dass er über ausrangierten Fabriken einen „feinen Schleier, wie Flaum auf einem jungen Tier“ sieht, passt nicht zu diesem Ich-Erzähler mit den blutigen Fäusten.

Dennoch hat sich dieses Buch gewissermaßen als Schmuddelkind zu Recht in die Endrunde des Deutschen Buchpreises geboxt. Und am Ende wird es einsam um Heiko, weil sich die lädierten Gefährten einer nach dem anderen vom Kampfplatz trollen. Kein Rausch mehr, keine Ablenkung – aber vielleicht ein neues Leben.

Philipp Winkler: Hool. Roman, Aufbau, 311 S., 19,99 Euro.

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