Kommentar zu den Demonstrationen in Russland Mit dem Knüppel

Meinung | Moskau · Russland feiert Feste, die es nicht kennt, aber gegen Übel, die es nur zu gut kennt, will es nicht auf die Straße gehen. Auch die Opposition kauert in einem Ghetto aus Radio Free Europe und Facebook. Ein Kommentar zu den Demos gegen Putin von GA-Korrespondent Stefan Scholl.

 In der Twerskaja Straße im Zentrum Moskaus demonstrieren Hunderte junger Russen gegen Präsident Wladimir Putin.

In der Twerskaja Straße im Zentrum Moskaus demonstrieren Hunderte junger Russen gegen Präsident Wladimir Putin.

Foto: AFP

Die Menge der Demonstranten pfiff und buhte ein ums andere Mal, als die Greifkommandos der Polizei am Moskauer Puschkin-Platz neue Opfer aus ihrer Mitte zerrte und davon schleppte. Dazwischen aber wehte immer wieder die Schlagermusik des Volksfests zum „Tag Russlands“ vom Twersker Boulevard zur Anti-Putin-Kundgebung herüber. Eine nicht genehmigte Demonstration, zersplittert zwischen Bauzäunen und Polizeikompanien, so zersplittert wie Russlands Wirklichkeit.

Die Mehrheit der Russen ist überzeugt, dass die Staatsmacht korrupt ist, aber am gestrigen Antikorruptionsmeeting nahmen kaum mehr als 25 000 Moskauer teil. Während nach offiziellen Angaben 2,5 Millionen Bürger die Moskauer Straßenfeste anlässlich des Nationalfeiertages besuchten. Obwohl die Hälfte der Russen nicht weiß, was an diesem Tag gefeiert wird.

Russland feiert Feste, die es nicht kennt, aber gegen Übel, die es nur zu gut kennt, will es nicht auf die Straße gehen. Man mag die Obrigkeitshörigkeit und die Angst der noch in der Sowjetunion geborenen Bevölkerungsmehrheit dafür verantwortlich machen. Aber auch die Opposition kauert in einem Ghetto aus Radio Free Europe und Facebook. Es fehlt an Medien, an Themen und an Ideen, die allen Russen gemeinsam wichtig sind. Und auf der Demo gestern klagten auch Neuntklässler, außer ein paar Mitschülern interessiere sich in ihrer Klasse niemand für Politik.

Die russische Staatsmacht aber scheint dazu entschlossen sein, auch diese drei bis vier Aufrührer pro Schulklasse auf Linie zu bringen. Wenn nötig mit dem Gummiknüppel.

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