SPD Rufe nach einem Kurswechsel

BERLIN · Zumindest für die Öffentlichkeit kommt dieser Angriff völlig unerwartet. Denn ein Angriff ist es ja wohl, wenn der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil seine Partei, die SPD, mit kräftigen Formulierungen zu einem Kurswechsel auffordert.

 Mit einem Schutzhelm steht Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Hürth auf der Baustelle des Gas- und Dampfturbinenkraftwerks Knapsack. Wie wirtschaftsfreundlich soll seine SPD sein?

Mit einem Schutzhelm steht Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Hürth auf der Baustelle des Gas- und Dampfturbinenkraftwerks Knapsack. Wie wirtschaftsfreundlich soll seine SPD sein?

Foto: DPA

Wirtschaftspolitische Profilierung sei "in den letzten Jahren zugunsten eines starken Profils bei der sozialen Gerechtigkeit in den Hintergrund getreten", sagte er. "Das müssen wir ändern."

Weil kritisiert in diesem Zusammenhang den vergangenen Bundestagswahlkampf seiner Partei. Dort habe die SPD an ein "diffuses Zusammengehörigkeitsgefühl" appelliert. Die SPD müsse sich aber generell nicht nur für Umverteilung, sondern auch für die Erwirtschaftung des Bruttosozialprodukts verantwortlich fühlen. Deshalb distanziert er sich von dem erz-sozialdemokratischen Projekt einer Vermögenssteuer. Die sei "nicht sinnvoll, solange es kein schlüssiges Konzept gibt, das alle rechtlichen Zweifelsfragen beantwortet".

Es gab Zeiten, da hätte eine solche Attacke die Sozialdemokratie erschüttert. Zumal sich die Vorwürfe direkt gegen Sigmar Gabriel richten. Jedenfalls muss er das so auffassen, schließlich ist er nicht nur Parteichef, also für Kurs und möglichen Kurswechsel verantwortlich, sondern auch Wirtschaftsminister.

Doch das ist auffällig: Das große Aufheulen in der Traditionspartei bleibt aus. Auch die Linke in der SPD äußerte sich erstaunlich differenziert.

Am deutlichsten wurde noch die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, die auch Vorsitzende des Forums Demokratische Linke innerhalb der SPD ist. "Verteilungsgerechtigkeit" gehöre zur Kernkompetenz der SPD. Da müsse die SPD einen langen Atem haben, denn es brauche Zeit, "Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückzugewinnen", sagte sie unserer Zeitung.

Das geschehe aber am besten dadurch, dass die SPD innerhalb der großen Koalition klarmache, welche Ziele sie verfolge. Für Mattheis ist das vor allem eines: "Steuergerechtigkeit". Jeder Bürger müsse "nach seiner wirtschaftlichen Stärke zum Steueraufkommen beitragen". Deshalb könne sie "nur warnen, dass Projekt der Vermögensteuer aufzugeben".

Das ist in der SPD-Linken durchaus Konsens. Auch Ralf Stegner, Koordinator der Linken im SPD-Vorstand, sagte unmissverständlich: "Soziale Gerechtigkeit ist unser Kernprofil. Es zu ersetzen wäre die falsche Botschaft."

Aber niemand zettelt einen Konflikt mit Stephan Weil an. Ernst-Dieter Rossmann, einer der Sprecher der organisierten Linken in der Bundestagsfraktion, sagte unserer Zeitung: "Dass Stephan Weil zu einem Zeitpunkt einen Eröffnungszug getan hat, der recht kurz nach der Wahl und noch längere Zeit vor der nächsten Bundestagswahl liegt, ist richtig."

Tatsächlich gibt es nämlich auch bei den Linken in der Partei eine Debatte darüber, wie die SPD "aus dem 20-Prozent-Turm" entkommen kann, wie es Weil genannt hat. Dass Weil eine Verbreiterung des SPD-Profils anstrebt, wird durchaus als sinnvoll erkannt. So sagte der Vize-Vorsitzende der Partei, Hessens Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel fast wortgleich: "Wir müssen uns breiter aufstellen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Kompetenz bei Arbeit und Wirtschaft auf den Mindestlohn reduziert wird."

Und auch der Berliner Landesvorsitzende Jan Stöß, der doch allgemein als Linksaußen in der SPD angesehen wird, gibt zu Protokoll: "Die SPD hat immer dann Erfolg, wenn ihr zugetraut wird, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen." Das alles erklärt, warum sich der oberste Sozialdemokrat Sigmar Gabriel am Montag mit einer Reaktion zurückgehalten hat.

Nicht nur, weil er weiß, dass in der nachrichtenarmen Sommerzeit jeder kleine Disput zum großen Streit aufgeblasen zu werden droht. Der Punkt ist eher, dass er in der Sache Weil durchaus nicht widerspricht. Gabriel hatte auf dem vergangenen Bundesparteitag der SPD die Genossen ausdrücklich dazu aufgefordert, sich der Lebensrealität der Menschen mehr zu widmen als allen Theoriedebatten.

So wird es ihm vielleicht auch gefallen haben, dass sich der baden-württembergische Wirtschaftsminister Nils Schmid an die Seite Weils stellte, wobei auch er in der Wortwahl jede Schärfe vermied. Schmid, der auch Landeschef der Südwest-SPD ist, sagte unserer Zeitung: "Die SPD war immer dann erfolgreich, wenn sie Wirtschaftskompetenz und soziale Gerechtigkeit miteinander verbunden hat."

Deshalb müsse sie "konsequent auf die Zukunftsthemen setzen". Konkret sei die Frage zu beantworten: "Wie erarbeiten wir den Wohlstand der Zukunft und wie sorgen wir dafür, dass er möglichst allen Menschen zu Gute kommt. Dazu müssen wir beweisen, dass das Land bei der SPD in guten Händen ist, etwa beim Thema Haushalt."

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