Richtig runterfahren - Arbeitnehmer brauchen echte Auszeiten

Regensburg · Die Digitalisierung führt häufig dazu, dass Arbeitnehmer rund um die Uhr erreichbar sind. Doch schnell wird die grenzenlose Bereitschaft zur psychischen Belastung. Ein Vorsatz fürs Neue Jahr könnte da lauten: Mehr auf Erholungszeiten achten.

 Nicht jeder findet eine Störung in der Freizeit als unangenehm - es kommt auf die individuelle Bewertung an. Foto: Franziska Koark

Nicht jeder findet eine Störung in der Freizeit als unangenehm - es kommt auf die individuelle Bewertung an. Foto: Franziska Koark

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Zu viel Arbeit und zu wenig Freizeit: Das kann der Gesundheit schaden. Nicht nur das "emotionale Wohlbefinden" sei dann eventuell beeinträchtigt, was sich zum Beispiel durch Gereiztheit bemerkbar macht, sagte Karl Kubowitsch, Wirtschaftspsychologe in Regensburg. Auch gesundheitliche Folgen seien möglich, etwa indem psychische Störungen auftreten oder der Körper immer anfälliger wird. "Allerdings hängt Stress sehr stark von der individuellen Bewertung ab." Außerdem trage jeder auch selbst Verantwortung dafür, wie es ihm geht.

Die Frage ist also, wie jemand damit umgeht, dass ihn sein Job zeitlich sehr fordert und es oft keinen richtigen Feierabend gibt. "Aus Belastung wird nicht automatisch Beanspruchung", betonte Kubowitsch, der Mitglied im Berufsverband Deutscher Psychologen und Psychologinnen ist. Ein Mensch ärgere sich vielleicht und empfinde die Störung in der Freizeit als Bedrohung. Der andere mache bewusst ein paar Überstunden und sage sich dann: "Ich bin froh, dass ich das erledigt habe." Definitiv gesundheitsgefährdend sei es aber, wenn jemand 24 Stunden am Tag an sieben Tage der Woche und 365 Tagen im Jahr erreichbar ist.

Wenn die Arbeitsabläufe es erfordern - etwa, weil Geschäftspartner in einer anderen Zeitzone sitzen -, seien auch mal Telefonate zu ungewöhnlichen Uhrzeiten sinnvoll. Aber manchmal eben auch nicht. Daher sei es grundsätzlich ratsam, mit dem Chef und den Kollegen feste Zeiten zu vereinbaren, in denen man außerhalb der regulären Arbeitszeiten erreichbar ist. Aber dann müssten auch Zeiten abgesprochen werden, in denen kein Kontakt aufgenommen werden darf. "Definieren Sie Muss-Zeiten und vereinbaren Sie Aus-Zeiten, also bestimmte Tage, an denen Sie nicht erreichbar sind", rät Kubowitsch.

Wenn Arbeitnehmer das störende Gefühl haben, rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen, sollten sie das nicht stillschweigend hinnehmen. Dabei gehen sie am besten taktisch vor, empfiehlt der Experte: "Sprechen Sie Ihren Chef offen und konstruktiv darauf an und legen Sie sich ein, zwei positive Beispiele zurecht, wo die unbeschränkte Erreichbarkeit einen Nutzen hatte." Damit zeigten Mitarbeiter, dass sie sich engagieren und es nicht grundlegend ablehnen, auch mal nach Feierabend erreichbar zu sein.

Sie sollten dann aber sagen, dass ihnen zwei Dinge wichtig sind, um den Spaß an der Arbeit nicht zu verlieren. Ein Punkt lautet: "Ich brauche meine Erholungszeiten, um leistungsfähig zu bleiben." Der zweite: "Ich arbeite sehr gern, bin aber auch noch in anderen Lebensbereichen aktiv." Dafür sollten sie den Chef um Verständnis bitten, sagte Kubowitsch.

Zu den anderen Lebensbereichen gehören etwa Angehörige oder Freunde, denen man in seiner Freizeit Zeit widmen möchte. In diesem Zusammenhang sei es sinnvoll, seinen Chef zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass bei einem Kino- oder Theaterbesuch das Handy dann eben ausgeschaltet ist.

Der Diplom-Psychologe und Coach empfiehlt, bewusst mit Freizeit und Erholung umzugehen - und gezielt auch mal nichts zu tun. "Viele kennen das Gefühl, dass sie die Freizeit rumgebracht haben, ohne etwas Schönes gemacht zu haben." Aber nicht nur schöne Aktivitäten seien wichtig, sondern auch das sogenannte euthyme Erleben. Gemeint ist damit bewusste Passivität: zum Beispiel zehn Minuten auf der Couch liegen und gezielt an nichts denken. "Entscheidend ist nicht nur, was ich tue, sondern dass ich es bewusst mache, genieße und dadurch runterfahre."

Wenn Weihnachten der Job ruftSelbst an den Weihnachtsfeiertagen schalten viele vom Beruf nicht komplett ab. Drei von vier Beschäftigten (74 Prozent) sind auch in dieser Zeit für den Job erreichbar. Das hat eine repräsentative Aris-Umfrage unter Berufstätigen ergeben. Damit ist der Anteil der Arbeitnehmer, die auch an Weihnachten für den Chef oder die Kollegen erreichbar sind, im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken: 2012 waren es 76 Prozent.

Ob Mitarbeiter erreichbar sind, hängt auch vom Alter ab. Häufiger als der Schnitt schalten etwa Arbeitnehmer unter 30 Jahren ihr Telefon ab und lesen ihre geschäftlichen E-Mails nicht. Von ihnen ist mehr als jeder Dritte (35 Prozent) für den Job nicht erreichbar. Im Auftrag des Branchenverbands Bitkom wurden 1010 Personen ab 14 Jahren befragt, darunter 537 Berufstätige.

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