Norddeutsche Tradition im Rheinland Mit Bollerwagen geht es in Siegburg zum Sommerboßeln

Siegburg · Die Segelfreunde Rheinland sind auch an Land sportlich unterwegs und rollen die Kugeln über die Straßen. Sogenannte Graber helfen, dass kein Spielgerät verlorengeht.

 Perfekte Haltung: Astrid Steen von den Segelfreunden wirft die Boßelkugel.

Perfekte Haltung: Astrid Steen von den Segelfreunden wirft die Boßelkugel.

Foto: Meike Böschemeyer

Es ist erstaunlich kalt für einen Samstag Ende Juni. 16 Grad sagt das Thermometer, gefühlt ist es noch fünf Grad kälter. Nach und nach versammeln sich die Teilnehmer für das traditionelle Sommerboßeln, zu dem die Segelfreunde Rheinland geladen haben. Manche spielen regelmäßig mit, andere sind zum ersten Mal dabei und können sich unter dem Spiel nichts vorstellen. Die Regeln sind schnell erklärt: Ein Ball wird eine festgelegte Strecke entlanggeworfen. Sieger ist, wer die wenigsten Würfe braucht.

Zunächst einmal werden vier bunte Bälle ausgepackt und auf den Boden gelegt. „Historisch wurden Holzkugeln verwendet“, erklärt Hildegard Schwarze vom Vorstand der Segelfreunde. „Heute sind sie aus Plastik.“ Die Bälle sind etwa so groß wie eine Orange und schwerer, als sie aussehen. „Wir machen das jetzt mit den Teams ganz einfach“, so Hildegard Schwarze weiter. „Jeder stellt sich hinter einen Ball, und so bilden wir die Mannschaften.“ In kurzer Zeit haben sich vier Teams gebildet.

Mit einem prall gefüllten Bollerwagen voller Leckereien und natürlich auch Kölsch machen sich die Spieler auf den Weg zum Startpunkt. Die Verpflegung ist auch nötig, denn so ein Spiel dauert gerne drei Stunden. Beim Boßeln der Segelfreunde handelt es sich um eine Traditionsveranstaltung. Angefangen hat alles mit Winterboßeln. Irgendwann wurde sich überlegt, das Ganze auch im Sommer zu veranstalten. „Eines der Gründungsmitglieder hat die Idee aus Ostfriesland mitgebracht, dort gibt es sogar richtige Ligen und Wettbewerbe“, sagt Kay Steen.

Bloß nicht in Brennnesseln geraten

An der Alexianerallee, die von der Wahnbachtalstraße direkt neben der Autobahnbrücke abgeht, ist es Zeit für den ersten Wurf. Team Rot darf anfangen. Astrid Steen von den Segelfreunden stellt sich an die imaginäre Startlinie. Sie konzentriert sich, holt aus und wirft. Der Ball rollt und rollt und verschwindet hinter der ersten Kurve. Gut, die Straße ist an dieser Stelle ein wenig abschüssig, was allen Werfern zum Vorteil gereicht. Ab dem Punkt, wo der Ball liegen bleibt, darf der nächste im Team weiterwerfen. Astrids Mann Kay hat an diesem Tag eine ganz besondere Aufgabe übernommen. Er sorgt mit den Grabern dafür, dass kein Ball verloren geht. Die Graber, oder auch Kraber genannt, sind lange Stangen aus Metall mit einer Art Korb vorne dran. Das sind sehr nützliche Helfer, wenn der Ball mal in einem Strauch Brennnesseln landet, denn da mag niemand gerne reinfassen. Hin und wieder müssen die Spieler Radfahrern, Wanderern und auch Autos Platz machen und das Spiel unterbrechen.

Die Stimmung ist von Anfang an ausgelassen. Auch der zwischendurch eintretende Nieselregen kann daran nichts ändern. Nach den ersten drei Würfen und etwa 100 Metern ist es Zeit für die erste Pause. Und hier wurde an alles gedacht: Würstchen, Käsewürfel, Frikadellen, Brot und Paprika. Hunger muss niemand haben. Und gegen den Durst gibt es Kölsch oder Mineralwasser. Nachdem sich alle gestärkt haben, geht das Spiel weiter. Wer gewinnt, ist hier nebensächlich, im Vordergrund steht der Spaß.

Hochburg des Sports, der ursprünglich Klootschießen hieß, ist Norddeutschland. In den Anfängen handelte es sich um eine Verteidigungstechnik der Friesen. Dabei wurden getrocknete Kleieklumpen geworfen. Irgendwann wurden daraus Holzkugeln, die mit Blei gefüllt waren. Bereits 1888 beschrieb Theodor Storm in seinem Werk „Der Schimmelreiter“ ein Boßelspiel. Das Wort boßeln stammt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet so viel wie „stoßen“ oder „Kegel schieben“, was vermutlich auf die Wurftechnik zurückzuführen ist. Seit 1999 gibt es Deutsche Meisterschaften in dieser Sportart, die zunächst alle zwei Jahre stattfanden. Seit 2014 finden sie im Vierjahresrhythmus statt.

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