Konsenskandidat Bürgers Liebling: Steinmeier soll Bundespräsident werden

Berlin · Nun also doch: Frank-Walter Steinmeier soll Bundespräsident werden. Die große Koalition geht mit dem SPD-Außenminister als Konsenskandidaten in die Bundesversammlung. Repräsentieren kann er. Große Reden sind von ihm bisher nicht in Erinnerung geblieben.

Dass dies keine Routinereise würde, wusste Frank-Walter Steinmeier. Erst nach Brüssel, um mit den EU-Kollegen den Schock der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten zu verdauen. Dann in die Türkei, wo deutsche Politiker heute längst nicht mehr so willkommen sind.

Doch dann kommt alles anders, ganz anders. Kurz vor dem Abflug nach Brüssel erhält der Außenminister den entscheidenden Anruf. Die Union kann sich nun doch damit anfreunden, dass er Bundespräsident wird. Die SPD jubelt. Die Aufregung ist groß. Steinmeier fliegt trotzdem nach Brüssel. Noch ist es nicht offiziell. Ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Presse beginnt. Jetzt nur nichts Voreiliges sagen. Denn die Parteichefs wollen ihre Entscheidung erst später verkünden.

Trotzdem kürzt Steinmeier seinen Besuch in Brüssel ab, um auf dem Weg nach Ankara einen Zwischenstopp in Berlin einzulegen. Auch im Flugzeug auf dem Weg nach Deutschland lässt er sich nichts anmerken. Kein strahlender Triumph, nur ein verschmitztes Lächeln. Wie es ihm geht? Er sagt: "Gefasst". Nach der Landung in Berlin-Tegel fährt er in die Stadt. Wen er da treffen will, sagt er nicht.

Der 60-jährige ist nun offizieller Kandidat der großen Koalition für die Nachfolge von Joachim Gauck. In der Bundesversammlung, am 12. Februar, kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen. 43 Jahre nach der Wahl von Walter Scheel käme damit erstmals wieder ein Außenminister ins höchste Amt. Und, nach Gustav Heinemann und Johannes Rau, wäre Steinmeier dort erst der dritte Sozialdemokrat.

Im Ausweichen auf die P-Frage hat Steinmeier schon eine gewisse Routine erworben. Mehr als fünf Monate hielt sich Steinmeier bedeckt. Als Bundespräsident Joachim Gauck Anfang Juni seinen Verzicht auf eine zweite Amtszeit erklärte, war er gerade in Südamerika. Seither blockte er alle Fragen nach weiteren Ambitionen ab. Jüngst, in Vietnam, sagte er nur noch: "Sie müssen das kommentieren. Ich muss es nicht." Alles Weitere war zwecklos.

Dass der Tischlersohn aus Westfalen am Schloss Bellevue Interesse hat, merkte man aber schon. Zum Beispiel daran, wie er immer noch einen Termin in das ohnehin übervolle Programm presste, das ein Außenminister hat. Mehr als sieben Jahre - mit der Unterbrechung zwischen 2009 und 2013 - war Steinmeier im Auswärtigen Amt. In diesem Monat sind es genau 2500 Tage. Nur Joschka Fischer und, natürlich, Hans-Dietrich Genscher kommen auf mehr.

Und irgendwann war dem Mann mit annähernd 400 000 Flugkilometern pro Jahr die Außenpolitik nicht mehr genug. Kultur, Wirtschaft, Kirche - auch dazu hatte er in den letzten Monaten stets etwas zu sagen. Auch, weil die Dinge in der Diplomatie zunehmend zur Sisyphus-Arbeit wurden: die Dauerkrisen in Syrien und in der Ukraine, der Brexit, der Putschversuch in der Türkei und jetzt auch noch die Wahl von Trump, den er "Hassprediger" genannt hatte.

Nicht, dass Steinmeier so etwas wie Amtsmüdigkeit hätte erkennen lassen. Aber es wäre bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 ein äußerst mühsames Geschäft geblieben.

Dagegen Bundespräsident: Im Mai vergangenen Jahres bekam er schon einmal einen Eindruck davon, wie es ist, als Staatsoberhaupt auf Reisen zu sein. An der Hebräischen Universität von Jerusalem erhielt er den Ehrendoktor-Titel. Die Rede hielt Schimon Peres, die Kulisse war großartig, die Stimmung perfekt. Abends saß Steinmeier mit seiner Frau, die ihn sonst nie begleitet, und seiner erwachsenen Tochter zufrieden im King-David-Hotel.

Obwohl die Einigung für viele nun doch überraschend kam, galt der Außenminister zuvor schon als quasi natürlicher Kandidat: angesehen über die Parteigrenzen hinweg, diplomatisch erfahren, international respektiert und krisenerprobt. Der Ex-Kanzleramtschef, zwischenzeitliche Fraktionsvorsitzende und Jetzt-Wieder-Außenminister liegt seit langem auch in allen Umfragen vorn. Er ist Bürgers Liebling. Und weißere Haare hatte seit Richard von Weizsäcker auch keiner mehr.

Steinmeier ist Jurist (Titel der Doktor-Arbeit: "Bürger ohne Obdach"). Staatstragend kann er, gewiss. Aber brillante Reden sind von Steinmeier bislang keine in Erinnerung. In der Welt der Diplomatie ist es von Vorteil, mit vielen Worten wenig zu sagen, umständlich zu formulieren und etwas unscharf. An ihr Staatsoberhaupt haben die Deutschen andere Erwartungen.

Zudem trägt sich Steinmeier seit der ersten Zeit als Leiter von Gerhard Schröders Staatskanzlei in Hannover mit dem Ruf herum, ein manchmal arg bedächtiger und im Grunde langweiliger Bürokrat zu sein. Das trug auch zur gescheiterten Kanzlerkandidatur 2009 bei. Die 23 Prozent gegen Angela Merkel - schlechtestes SPD-Ergebnis überhaupt - nennt er den "Tiefpunkt meiner politischen Karriere".

Dabei kann Steinmeier durchaus mit Menschen. Ein schneller Satz, ein Klaps auf die Schulter, ein dröhnendes Lachen: Kontakt findet er schnell. Auf seinen Reisen sind regelmäßig Leute aus Wirtschaft und Kultur dabei. Es wird kräftig geduzt, nicht nur zwischen Genossen. Steinmeier gehört auch zu den Politikern - keineswegs selbstverständlich -, die einem in die Augen schauen können.

Viel Respekt verschaffte er sich vor ein paar Jahren, als er seiner Frau eine Niere spendete. Den Tag der Transplantation, den 24. August, feiern Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender, die künftige First Lady, seither als zusätzlichen Geburtstag.

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