Kommentar zum Umfrageschock für die SPD Tief unten

Meinung · Die SPD kann für sich in Anspruch nehmen, dass sie diese Legislaturperiode der großen Koalition tatsächlich sozialdemokratisch geprägt hat. Nur werden die Ergebnisse von den Wählern nicht honoriert, kommentiert GA-Redakteur Holger Möhle.

 Das Rednerpult von SPD-Kanzlerkandidat Schulz steht zum Verpacken bereit.

Das Rednerpult von SPD-Kanzlerkandidat Schulz steht zum Verpacken bereit.

Foto: dpa

Martin Schulz: 100 Prozent, SPD: 20 Prozent. Eine Medaille, zwei Seiten. Politik ist auch ein Ergebnisgeschäft, manchmal ein gnadenloses. Jener Martin Schulz, den ein euphorisierter Bundesparteitag am 19. März mit 100 Prozent zum 16.

SPD-Vorsitzenden der Nachkriegsgeschichte wählte, hat in diesen Septembertagen ein wenig romantisches Rendezvous mit der Realität. Genau jener Schulz, der nach Ankündigung seiner Kanzlerkandidatur die SPD über die 30-Prozent-Umfragemarke hievte und die Genossen wieder vom Einzug ins Kanzleramt träumen ließ, zieht beim Wahlvolk nicht mehr.

Was ist los? Was ist passiert? Nichts. Vielleicht ist es gerade das. In Deutschland fehlt jene Wechselstimmung, die Helmut Kohl 1998 aus dem Amt gefegt hat. Die Menschen sind in ihrer Mehrheit der seit zwölf Jahren regierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (noch) nicht überdrüssig. Und: Sie hat angekündigt, die vollen vier Jahre weiter zu machen, wenn sie eine Mehrheit erhält. Zur Zeit nach 2021 hat sie nichts gesagt. Typisch Merkel.

Schulz jedenfalls rennt und kämpft und rackert sich ab. Durchgeschwitzte Hemden und der Versuch, mit Diesel, Abrüstung, Europa, sicheren Renten und gerechten Löhnen in die Offensive zu kommen. Doch die Botschaften wollen einfach nicht wirken. Noch zwölf Städte, dann beendet der SPD-Kanzlerkandidat am kommenden Samstagmittag mit einem Auftritt in Aachen seine aufreibende Wahlkampftour durch die Republik.

Schulz hat alles gegeben. Nach dem derzeitigen Stand sieht es so aus: Es wird nicht genug sein. Eine jüngste Umfrage schockt die SPD mit 20 Prozent. Tiefer geht es für eine Volkspartei kaum mehr. Dagegen fühlen sich die 23 Prozent, die tags danach für die Sozialdemokratie gemeldet werden, beinahe schon so an, als habe ein Antibiotikum gewirkt.

Die SPD kann für sich in Anspruch nehmen, dass sie diese Legislaturperiode der großen Koalition tatsächlich sozialdemokratisch geprägt hat. Nur werden die Ergebnisse, die die SPD mit Mindestlohn, Rente mit 63, Frauenquote in Dax-Konzernen oder Mietpreisbremse in Koalitionsverhandlungen durchgesetzt hat, von den Wählern nicht honoriert.

Merkel steht für Stabilität und Sicherheit. Dagegen scheint kein Schulz gewachsen. Ob er die SPD und sich in eine nächste Auflage der großen Koalition retten kann, ist offen. Und es ist auch die Frage, ob man der SPD dies wünschen soll. Schlägt die traditionsreiche Sozialdemokratie am Wahlsonntag tatsächlich hart unterhalb der 23-Prozent-Marke auf, dürfte in der Partei kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Ein solches Ergebnis müsste unweigerlich einen Generationswechsel an der SPD-Spitze zur Folge haben. Schulz wäre dann Geschichte, Sigmar Gabriel auch. Gabriel war 2009 der Trümmermann für den Wiederaufbau der Partei. Und 2017? Vielleicht brauchen sie eine Frau – gegen Merkel.

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