Herr der Uhren im Hause Adenauer

Zeitmesser sind Karl Schürmanns Leidenschaft, auch noch als Rentner. Um ihn herum muss es ticken

Rhöndorf. Er läuft wie ein Uhrwerk. Welchen "Wecker" Karl Schürmann auch in die Finger bekommt, er bringt jeden in die Gänge. Hoffnungslose Fälle, die gibt es für den "Uhren-Doktor" nicht. Der Rhöndorfer macht alle Zeitmesser wieder heile. Das wusste auch schon Konrad Adenauer.

Der Bundeskanzler schätzte Pünktlichkeit und Uhren, die auf die Sekunde genau die Zeit anzeigen. So avancierte Karl Schürmann schnell zum "Herrn der Uhren" im Hause Adenauer. Ab und zu war der "Alte" auch schon mal am Telefon und bat ungeduldig: "Sofort kommen, die Uhr streikt!"

Karl Schürmann hat noch Rechnungen von damals. Das Überweisungsformular vom 23. September 1963 etwa trägt die Unterschrift von Konrad Adenauer. 24,40 Mark hatte er zu zahlen. Aber Konrad Adenauer war ja nicht nur für seine Pünktlichkeit, sondern auch für seine Sparsamkeit bekannt. "Einmal forderte ich für meine Leistungen 14,50 Mark. Adenauer handelte: “Sagen wir mal 12„", erinnert sich Karl Schürmann noch genau. Aber: "Es war eine Ehre, für Adenauer arbeiten zu dürfen."

Der Uhrenfachmann führte von 1960 bis 1988 in Königswinter ein Uhren- und Schmuckgeschäft. 1954 war der Sauerländer nach seiner Lehre schon einmal für zwölf Monate als Gehilfe in der Drachenfelsstadt. Dann absolvierte er zunächst die Uhrmacherfachschule in Dortmund, um sich 1957 der Meisterprüfung zu unterziehen.

Als Abschlussarbeit entstand ein wahres Prachtexemplar, das einen Ehrenplatz in seiner Werkstatt hat, die der 78-Jährige in seiner Wohnung in Rhöndorf nach seinem "Rentenantritt" einrichtete. Denn um ihn herum muss es ticken. Seine Uhren-Charité ist sein Reich.

Schürmanns Meisterstück ist komplett selbst entworfen, selbst gebaut. Auch das winzigste Schräubchen hat er dazu auf der Drehbank eigenhändig hergestellt. Und diese kleine Standuhr läuft wie eine Eins. Als Uhren-Heiler entpuppte sich Schürmann schon als Schuljunge. In den Ferien bei einer Tante fand er einen kaputten Wecker. Er nahm ihn auseinander, formte aus Blech einen Zeiger, brachte nicht nur alle Einzelteile wieder passgenau zusammen, sondern fand auch noch heraus, wo es hakte. Ein Naturtalent.

Von da an hatte Karl Schürmann einen besonderen Tick. Gegen Speck und Butter organisierte der Vater für ihn 1947 eine Lehrstelle. Seither dreht sich bei Karl Schürmann alles im Uhrzeigersinn. Gute Augen, eine ruhige Hand und Geduld sind Voraussetzungen für diesen Beruf. Und Können. Den Uhrmacher um die Ecke gibt es immer seltener.

"Der Trend geht zu den Großwerkstätten", so Schürmann. Besonderen Spaß bereitet es ihm, wenn ihm jemand eine Uhr bringt, die zur Reparatur abgelehnt wurde. "Das stachelt meinen Ehrgeiz an, und es macht mich stolz, wenn ich sie hinbekomme. Jede Uhr ist zu reparieren. Die mechanischen sind mir die liebsten."

Manchmal überlegt der Rhöndorfer dann schon vorm Aufstehen, wie er denn die Unruh reparieren oder andere Mängel abstellen kann. Kein Wunder also, wenn Schürmann die Geheimadresse für knifflige Fälle ist: ob es sich nun um zarte Armbanduhren, antike Standuhren oder auch alte Turmuhren handelt. "Ich bin fasziniert, mit welcher Hingabe er sich um diese kleinen Wegbegleiter des Lebens kümmert", staunt Schürmanns Frau Edda.

In Schubladen hat er Kästchen mit Ersatzteilen wie winzige Zeiger, Schräubchen oder Federstege. Runde, drei- oder viereckige Feilen, Triebnietmaschinen, feine Pinzetten und Schraubenzieher so dünn wie eine Nadel mit unvorstellbaren Durchmessern wie etwa 50 Hundertstel Millimeter sind die Werkzeuge des Uhren-Chirurgen. Lupen gelangen zum Einsatz, die bis zu zwanzigfach verstärken.

Um das Uhrenlager zu ölen, verfügt der Meister über einen automatischen Ölgeber, der nur winzige Tröpfchen absondert. Aber die können lebensrettend wirken wie eine Infusion. Denn: "Das Öl ist das Blut einer Uhr, die Unruh das Herz", sagt Schürmann. Und: "Eine Uhr muss laufen, sonst wird das Öl harzig, es vertrocknet." Es ist ein bisschen so wie beim Menschen: Wer rastet, der rostet.

Auf unglaubliche 36 000 Schwingungen pro Stunde bringt es die Unruh einer guten Uhr; 18 000 ist der Durchschnitt der meisten Zeitmesser. Und alle haben ein anderes Innenleben. Aber für Karl Schürmann kein Problem. Bei ihm bleibt kein Schräubchen locker.

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