Kino-Start von „Joker“ Der Clown wird böse

Bonn · Finsteres Psychogramm: Todd Phillips entwickelt die Figur des „Joker“ ins Monströse und taucht tief ein in die Seelenstruktur des Bösewichtes. „Joker“ startet am Donnerstag in den Kinos und läuft in Bonn im Woki, Kinopolis und Stern.

 Joaquin Phoenix in einer Szene von „Joker“.

Joaquin Phoenix in einer Szene von „Joker“.

Foto: AP/Niko Tavernise

Helden werden überschätzt. Es sind oft die Antagonisten, die einen Film tragen. „Goldfinger“ gehört nicht wegen Sean Connery zu den besten Bond-Filmen aller Zeiten, sondern weil Gerd Fröbe darin den finsteren Schurken spielte. So ist es auch mit den Comic-Verfilmungen: Die Weltenretter in ihren Elastan-Anzügen kommen nur in Auseinandersetzung mit veritablen Widersachern wirklich zur Geltung und manchmal ist es dennoch der Bösewicht, der die Gunst des Publikums gewinnt.

Als Christopher Nolans „The Dark Knight“ vor elf Jahren in die Kinos kam, sprach keiner über Christian Bales Batman-Figur, sondern alle über Heath Ledgers Joker. Das unkalkulierbare Böse nahm in Ledgers Performance haptisch Gestalt an und bündelte die Tiefenverunsicherung der Post-9/11-Gesellschaft auf der Leinwand. Joker wurde zur wichtigsten Kinoikone seines Jahrzehnts und der frühe Tod Heath Ledgers wenige Monate nach Ende der Dreharbeiten ließ die Figur mit dem Schauspielermythos verschmelzen.

Todd Phillips macht den „Joker“ zum Protagonisten

Nun geht Todd Phillips („Hangover“) mit seinem neuen Film „Joker“ noch einen Schritt weiter: Er macht den Mann mit dem Clownsgesicht zum alleinigen Protagonisten und taucht tief ein in die Seelenstruktur des angehenden Bösewichtes. Die Handlung ist in den frühen 1980er Jahren von Gotham City angesiedelt. Der Müll stapelt sich auf den Straßen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist größer denn je. Die Kriminalitätsrate schnellt in die Höhe. Kein Superheld weit und breit. In der Stadt, in der es nichts mehr zu lachen gibt, schlägt sich Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) als Straßenclown durch und wird von ein paar Jugendlichen brutal verprügelt – die erste von vielen Erniedrigungen, die Arthur im Verlauf des Films zunehmend emotional radikalisieren.

Der Clown ist ein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs, der von grotesken Lachanfällen heimgesucht wird. Sieben verschiedene Psychopharmaka nimmt er zu sich und träumt davo, ein berühmter TV-Komiker zu werde, so wie sein großes Vorbild Murray Franklin (Robert De Niro). Als ihn in der U-Bahn drei betrunkene Banker belästigen, zieht Arthur die Pistole und schießt die Angreifer nieder. Die Morde machen Schlagzeilen und werden als politische Tat gewertet. „Tötet die Reichen“ steht auf den Schildern der Demonstranten, die Clowns-Masken tragen.

Phoenix spielt den Psychopathen beklemmend intensiv

Während er als Held der Armen missverstanden und gefeiert wird, verliert Arthur zunehmend die Kontrolle, kann Imagination und Wirklichkeit nicht mehr auseinander halten und beginnt sich für die erlittenen Erniedrigungen zu rächen. Joaquin Phoenix spielt den Psychopathen mit einer sich langsam steigernden Intensität, die gleichzeitig Empathie und Beklemmung hervorruft.

Der heruntergehungerte Körper ist der eines Schmerzensmannes, der enorme Energien freisetzt, wenn sich sein Leid in Aggression verwandelt. In die zwanghaften Lachanfälle mischt sich ein bedrohliches Röcheln, das sich tief aus der Seele den Weg durch den Körper frei kämpft. Es ist eine Performance, die zweifellos in die Filmgeschichte eingehen wird, auch weil sie die widersprüchlichen Ängste und Aggressionen unserer Zeit in sich aufnimmt.

„Joker“ ist fern von 1:1-Analogien

Regisseur Phillips hält sich fern von plumpen 1:1 Analogien, aber die Assoziationen, die der Film vor allem auf die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit in den USA freisetzt, sind unübersehbar: Die unerträgliche Kluft zwischen Arm und Reich, ein zynischer Bürgermeister, der sich über die Systemverlierer lustig macht, die alltägliche Wut auf der Straße, die fehlende Hoffnung auf eine produktive, gesellschaftliche Veränderung, die dazu führt, dass sich der Mob ausgerechnet einen wahnsinnigen Clown als Leitfigur wählt.

Mit erstaunlicher Konsequenz beharrt Phillips auf seinem düsteren Szenario, in dem es keine Erlösung, sondern nur den Weg in die aggressive Entladung der sozialen Spannungen gibt. Brachte „The Dark Knight“ den Seelenzustand Amerikas nach dem 9/11 auf den Punkt, ist es nun „Joker“, der ein Psychogramm der zutiefst gespaltenen US-Gesellschaft in der Ära Trump metaphorisch abbildet und den Finger fest an den Puls unserer finsteren Zeit legt.

Kino-Start: 10. Oktober. Woki, Kinopolis, Stern

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