Kommentar Lage an der türkisch-syrischen Grenze - Spirale der Gewalt

Nach dem Beschuss der türkischen Grenzstadt Akcakale und der Artillerie-Antwort der Türkei besteht die Gefahr, dass die Region in eine Spirale aus Gewalt und Gegengewalt hineingerät und auf diese Weise in einen Krieg hineinschlittert, ohne es zu wollen.

Vor allem in einem von Nationalstolz geprägten Land wie der Türkei liegt die Schwelle dafür sehr niedrig. Selbst wenn die Erdogan-Regierung nun erst einmal kühlen Kopf bewahrt, kann es schon bei der nächsten Provokation anders ausgehen. Deshalb fällt den westlichen Partnern Ankaras eine Schlüsselrolle zu.

Grundsätzlich will die Türkei nicht alleine in Syrien eingreifen. Ankara fordert zwar die Schaffung einer Schutzzone für Flüchtlinge auf syrischem Boden und hat dabei auch den Hintergedanken, dass ein solches Sperrgebiet für syrische Regierungstruppen den Sturz der Assad-Regierung in Damaskus beschleunigen würde.

Doch im Alleingang will Erdogan dieses Abenteuer nicht beginnen. Unterstützung aus dem Westen und der arabischen Welt ist ein Muss für Ankara. Daran hat das Artillerie-Duell von Akcakale nichts geändert, und das gibt den westlichen Verbündeten der Türkei die Möglichkeit, ihren Einfluss geltend zu machen - und zwar nicht nur auf die Erdogan-Regierung.

Die syrischen Verbündeten wie Russland und der Iran geraten durch den Tod der türkischen Zivilisten in die Defensive. Ihre Unterstützung für eine syrische Regierung, die nicht nur die eigenen Bürger tötet, sondern jetzt auch noch Menschen in anderen Ländern, wird zu einem großen Problem. Schließlich warnen Moskau und Teheran ständig vor einer Einmischung des Auslands in Syrien. Wenn jetzt Damaskus selbst den Konflikt über die syrischen Grenzen hinaus ausweitet, wird diese Linie völlig unglaubwürdig.

Diese Schwäche der Syrien-Unterstützer sollte der Westen nutzen, um vor allem Russland zu mehr Druck auf Assad zu bewegen. Ein solcher Druck würde zugleich die Gefahr eines Krieges zwischen der Türkei und Syrien senken.

Ein weiterer kleiner Lichtblick im Tunnel ist die Stimmung in der türkischen Öffentlichkeit. Es gibt - jedenfalls derzeit noch - keinen Hurra-Patriotismus und keine Kriegsbegeisterung im Land. Die größte Oppositionspartei im Parlament stimmte gestern gegen die Vollmacht für eine Syrien-Intervention. Alle Umfragen zeigen, dass die türkischen Wähler kein militärisches Abenteuer im Nachbarland wollen. Ein Jahr vor wichtigen Kommunalwahlen wird Erdogan eher vorsichtig als draufgängerisch handeln.

An der grundsätzlichen Gefahr, die von den Unruhen in Syrien ausgeht, ändert das alles aber nichts. Die Lage entlang der 900 Kilometer langen Grenze bleibt also brisant, der Krieg, den niemand will, ist eine reale Möglichkeit.

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