Kommentar Der NSU-Prozess - Gebot der Sachlichkeit

Bonn · Die Gefühle der Opfer dürfen mit Blick auf das Gerichtsverfahren keine Rolle spielen. Was als kalt oder gefühllos erscheinen mag, ist Grundlage des Rechtsstaates.

Die Stimmung im Saal war über Tage gereizt. Zu groß sind im NSU-Prozess die Emotionen - bei den Anwälten, den Angehörigen der Opfer, den Zuschauern. Das ist verständlich, denn es geht um sehr viel. Es geht um das Leid vieler Familien, um das Unfassbare der Taten, um die Abscheu, die der mutmaßlichen Täterin Beate Zschäpe und den Mitangeklagten entgegenschlägt. Diese Gefühle sind nachvollziehbar, weil menschlich.

Doch mit Blick auf das Gerichtsverfahren dürfen sie keine Rolle spielen. Was als kalt oder gefühllos erscheinen mag, ist Grundlage des Rechtsstaates. Hier gibt es Gesetze, hier gibt es Regeln, hier gibt es auch die Rechte, die die Verteidiger im Interesse ihrer Mandanten wahrzunehmen haben.

Und dazu gehören Befangenheitsanträge oder das Bestreben der Verteidiger, die Akten aus dem NSU-Untersuchungsausschuss zum Versagen der Sicherheitsbehörden hinzuzuziehen. Dieses Vorgehen ist üblich, denn es ist der legitime Versuch, auf Seiten des Gerichts oder der Anklage Fehler zu dokumentieren oder zu provozieren.

Der NSU-Prozess macht jetzt eine Pause. Nach den Pfingstferien wird in zwei Wochen die Beweisaufnahme beginnen. Mit Blick auf das Gericht muss man sich weiterhin darauf verlassen können, dass es agiert wie bisher: kühl, sachlich, geduldig, ohne Ansehen der Personen. Und es gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Die Angeklagten sind - ob man es angesichts der Morde wahrhaben will oder nicht - "mutmaßliche" Täter.

Beate Zschäpe und die Mitangeklagten sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht schuldig gesprochen. Daran müssen sich im Übrigen auch manche Medien halten, die mit ihrer Berichterstattung gerade in derart sensiblen Fällen eine besondere Verantwortung tragen. Ob dies in jedem Fall gelingt, darf angesichts mancher Schlagzeile und mancher Kommentierung bezweifelt werden. Auch hier zeigt sich die notwendige Professionalität in sachlicher und korrekter Berichterstattung.

Die Erfahrung aus vergleichbaren Fällen, etwa der juristischen Aufarbeitung der RAF-Taten, zeigt: Je größer die Emotionen, desto schwerer fällt es, die Grundsätze des Rechtsstaates zu respektieren. Doch gerade hierin besteht im NSU-Verfahren die große Chance für das Gericht. Dessen Unaufgeregtheit bildet die Grundlage für das Vertrauen in ein ordnungsgemäßes Verfahren.

Dies ist umso wichtiger, als der NSU-Untersuchungsausschuss während seiner Ermittlungen haarsträubende Fehler und Versäumnisse der Sicherheitsbehörden zutage förderte. Nach bisherigen Erkenntnissen arbeitete dieser Ausschuss gut und effizient, über individuelle oder parteipolitische Grenzen hinweg. Im Interesse der Sache. Gleiches muss das Gericht leisten. Nur so kann verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden.

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