„Black Lives Matter“-Bewegung Die Macht des Protests in sozialen Medien

Analyse | Bonn · Der Tod des Afroamerikaners George Floyd löste weltweit massive Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt aus. Die Solidarität war enorm. Zwei Monate später stellt sich die Frage: Was bleibt eigentlich von diesem Aktivismus, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit wieder schwindet?

   „Their lives mattered, we demand equality“:     Junge Frauen bei einer Demonstration in Berlin. Nach dem Tod des Afroamerikaners   George Floyd protestierten weltweit Hunderttausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt  XXX   Foto: Britta Pedersen/dpa

„Their lives mattered, we demand equality“: Junge Frauen bei einer Demonstration in Berlin. Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd protestierten weltweit Hunderttausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt XXX Foto: Britta Pedersen/dpa

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Knapp acht Wochen sind vergangen, seit das Internet am 2. Juni buchstäblich verdunkelt wurde. Wer sich an jenem Dienstag auf Facebook, Twitter oder Instagram einloggte, der sah nur eines: schwarze quadratische Bilder, millionenfach veröffentlicht von Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf der gesamten Welt. In den sozialen Medien, dort wo üblicherweise die nahezu perfekte Selbstinszenierung dominiert und Menschen präsentieren, wie glücklich sie ihr Leben doch leben, entfaltete sich an jenem Tag der sogenannte „Blackout Tuesday“. Mit komplett schwarzen Bildern wurde das Internet ausgebremst, um auf ein dringliches Problem dieser Gesellschaft aufmerksam zu machen: Die Aktion, die ursprünglich aus der schwarzen Musikszene stammt, prangerte im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung strukturellen Rassismus und Polizeigewalt an. Auslöser war der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota. Der 46-Jährige starb am 25. Mai, nachdem ihm ein Polizist bei einem Einsatz minutenlang das Knie auf den Hals gedrückt hatte.

Die Welle der Solidarisierung war enorm. Auf Facebook, Twitter und Instagram dominierten die Debatten um Rassismus wochenlang. Weltweit strömten Demonstranten auf die Straßen und erhoben ihre Stimmen lautstark gegen die systematische Unterdrückung von Schwarzen. Doch mittlerweile, so scheint es zumindest, ist das Leben online wie offline wieder zur Normalität zurückgekehrt. In den sozialen Medien sind die mahnenden Wortmeldungen nunmehr erneut in der Minderheit angekommen.

Unweigerlich stellt sich die Frage, was eigentlich von diesem (Online-)Aktivismus bleibt, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit allmählich wieder schwindet?

Soziale Medien haben mehr als 3,8 Milliarden Nutzer weltweit

Die digitale Welt ist schnelllebig und flüchtig. Themen tauchen unvermittelt auf und verschwinden ebenso schnell wieder von der Bildfläche. Das gilt auf den ersten Blick auch für politisches Engagement in sozialen Medien. Wenige Tage nach dem „Blackout Tuesday“ schreibt etwa die britische Journalistin Eni Subair in einem Editorial: „Als schwarze Social-Media-Userin ist es schwer, jene Aktion nicht als performativen Instagram-Aktivismus zu sehen.“ Zwar stehe durchaus eine positive Absicht dahinter. Aber ein schwarzes Quadrat reiche schlichtweg nicht aus, wenn der Aktivismus nicht auch offline weitergeführt werde.

Seit es die sozialen Medien gibt, hat sich die politische Teilhabe gewandelt. Debatten können nunmehr auf einer weiteren, digitalen Bühne ausgetragen werden. „Das ermöglicht für Aktivisten eine direkte, schnelle und grenzüberschreitende Vernetzung des Protestes“, sagt Marianne Kneuer, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Hildesheim. „Im Internet können Menschen leichter mobilisiert und emotional berührt werden.“ Dass sich dabei allerdings nicht jeder Nutzer im gleichen Maße für politische Themen engagiere, dass nicht jeder eigene Beiträge verfasse und wiederholt auf Missstände hinweise, liege an der Funktionslogik der sozialen Medien. „Es ist ein einfacher Schritt, Beiträge lediglich zu teilen oder sie mit einem »Gefällt mir« zu markieren“, sagt die Expertin. Es handele sich dann um eine passive, eher symbolische Teilhabe an Diskursen.

„Black Lives Matter“ gründete sich bereits 2013

Weltweit gibt es laut „Digital Report 2020“ mehr als 3,8 Milliarden Nutzer von sozialen Netzwerken. Die Studie wird jährlich von der britischen Digitalagentur „We are Social“ in Zusammenarbeit mit dem kanadischen Software-Anbieter Hootsuite durchgeführt. Knapp 2,5 Milliarden Profile sind demnach bei Facebook registriert, eine Milliarde auf Instagram und 340 Millionen auf Twitter. Die (globale) Reichweite der Plattformen ist enorm. Dieses Potenzial haben Aktivisten längst für sich erkannt. Gleichzeitig betont Politikwissenschaftlerin Kneuer jedoch, dass soziale Medien nur als einzelner Baustein in gesellschaftlichen Debatten gelten können. Denn: Protest ist im Internet alleine nicht sichtbar genug. „Die stärkste Wirkungskraft entfalten Bewegungen, die sowohl im digitalen Raum als auch auf den Straßen Präsenz zeigen.“

So etwa „Black Lives Matter“. Die Protestbewegung formierte sich erstmalig im Jahr 2013, initiiert von den Gründerinnen Alicia Garza, Patriss Cullors und Opal Tometi. Auslöser war damals der Tod des 17-jährigen Trayvon Martin. Der junge Afroamerikaner wurde im Februar 2012 in seiner eigenen Nachbarschaft in Florida von einem Anwohner erschossen, weil er diesem „verdächtig“ vorkam. US-weite Proteste folgten monatelang. Dann wird „Black Lives Matter“ im Juli 2014 erneut aktiv, als der Afroamerikaner Eric Garner in New York bei einer gewaltsamen Polizeikontrolle an Atemnot stirbt. Unzählige solcher erschütternden Todesfälle folgen. Jedes Mal organisieren die Aktivisten von „Black Lives Matter“ Demonstrationen, leisten Aufklärungsarbeit, prangern die systematische Polizeigewalt gegen Schwarze unermüdlich an.

Wurden die dadurch angestoßenen Debatten um Rassismus bislang überwiegend in den USA geführt, so erfasste die Welle der Empörung nach dem Tod von George Floyd die gesamte Welt. Diesmal war es anders. Anders als Journalistin Eni Subair zunächst befürchtete, als die Aufmerksamkeit in den Medien wieder zurückging. Der Online-Protest spiegelt sich immer noch auf den Straßen wieder. Weiterhin finden Demonstrationen statt, Denkmäler mit rassistischem Hintergrund werden entfernt, erste Gesetze in den Vereinigten Staaten geändert. Mehrere US-Bundesstaaten und Städte – darunter Minneapolis, Atlanta, New York und Washington – brachten Polizeireformen auf den Weg.

„Eine solche Bewegung war längst überfällig“

„Ich habe noch nie so eine breit geführte gesellschaftliche Debatte erlebt“, sagt dazu Aminata Touré, Grünen-Politikerin und Vizepräsidentin des Landtags in Schleswig-Holstein. Die Zivilbevölkerung sei aktiver als je zuvor. Auch in Deutschland. „Eine solche Bewegung war hierzulande längst überfällig“, bestätigt auch Kassandra Kate Ramey. Die 27-Jährige lebt seit acht Jahren in Bonn, steht kurz vor ihrem ersten Staatsexamen in Jura und engagiert sich als Sozialaktivistin. Nach dem Tod von George Floyd hat Ramey die Kampagne „I See Racism“ (englisch: „Ich sehe Rassismus“) gestartet, um dafür zu sorgen, dass die Problematik in der Gesellschaft präsent bleibt. Zu oft schon habe sie als Tochter eines Afroamerikaners und einer Philippinin wahrgenommen, dass ihre eigenen Erfahrungen mit Alltagsrassismus in Deutschland relativiert worden seien. In den vergangenen Wochen habe sie Kommentare gehört wie: „Was da in den USA passiert ... du musst doch froh sein, hier in Deutschland zu leben.“ Doch, und das betont die 27-Jährige mit Nachdruck: „Deutschland ist kein Schlaraffenland.“ Rassismus sei auch hierzulande real und ein immenses Problem.

Die Schnelllebigkeit der sozialen Medien sieht die Aktivistin dabei allerdings durchaus kritisch. Ein Problem bestehe nun einmal darin, so sagt sie im Gespräch mit dem General-Anzeiger, dass dringliche Themen oftmals zu kurzzeitigen Trends verkommen. „Jetzt gerade beschäftigen wir uns alle intensiv mit Rassismus, doch das kann genauso schnell wieder vorübergehen“, sagt die Studentin. Das will sie mit ihrer Initiative „I See Racism“ verhindern. Täglich veröffentlicht sie auf Facebook, Instagram und Twitter ihre eigenen und fremde Erfahrungen mit Rassismus, um zu zeigen, wie sich weiße Privilegien und schwarze Unterdrückung überhaupt darstellen.

Der digitale Aktivismus bietet für Ramey dementsprechend auch große Chancen: „Es ist eine neue Form des Protests.“ Eine Form, die vor allem während der Corona-Krise unverzichtbar geworden sei, gab es doch plötzlich digitale Demonstrationen, Online-Petitionen oder Podiumsdiskussionen im Livestream. „So können auch jene Menschen am Diskurs teilhaben, die sich als Risikopatienten schützen müssen“, resümiert Ramey.

Corona sorgt für eine intensivere Mediennutzung

Tatsächlich ist die Nutzung der sozialen Medien während der Pandemie angestiegen. Laut Angaben des Digitalverbands Bitkom sind 75 Prozent aller Internetnutzer in Deutschland aktiver als je zuvor. Demnach geben 62 Prozent der Internetnutzer an, seit Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland vermehrt Beiträge zum aktuellen Geschehen in sozialen Netzwerken zu lesen. Fast jeder Dritte (32 Prozent) postet häufiger eigene Beiträge. Ebenso viele verfassen mehr Kommentare als vorher. „Vielleicht hat der Tod von George Floyd gerade deswegen so viele Menschen wachgerüttelt“, mutmaßt Aktivistin Ramey. „Wir alle waren zu Hause, wir alle haben soziale Medien konsumiert – und das Video war omnipräsent.“

Ob sich diesmal nachhaltig etwas bewegen kann, ob die Macht des Protests wirklich länger anhält als nur wenige Wochen, wird sich erst noch zeigen müssen. Nikita Dhawan, Politikwissenschaftlerin an der Universität Gießen, ist skeptisch, ob etwa die Demonstrationen in den USA schnell zu Änderungen im System führen könnten: „Ich glaube, dass alle, die gerade die Ereignisse verfolgen oder sich daran beteiligen, hoffen, dass diese eine Reform des Systems, wenn nicht gar eine Revolution auslösen werden. Aber wir wissen auch, wie schwer es ist, Strukturen wirklich zu verändern“, sagte sie im Deutschlandfunk. Für die Aktivisten bedeutet dies schlichtweg, dass sie weitermachen werden, sagt Kassandra Kate Ramey mit Nachdruck. „Denn selbst wenn unser Protest nur ein paar wenige Menschen berührt, dann ist das schon ein großer Erfolg.“

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