Friedensruf Öcalan fordert das Ende des bewaffneten Kampfes

ISTANBUL · Ein Meer von bunten Fahnen und Bändern glänzte im strahlenden Licht der Frühlingssonne. Mehrere hunderttausend Menschen, viele von ihnen in den kurdischen Farben Rot, Gelb und Grün gekleidet, versammelten sich Donnerstag im südosttürkischen Diyarbakir zur Feier des kurdischen Neujahrsfestes Newroz.

Sie hielten Poster und Fahnen mit dem Bild des kurdischen Rebellenchefs Abdullah Öcalan in die Höhe und feierten den Gründer der als Terrororganisation verbotenen PKK in lauten Sprechchören.

Und dann geschah das Sensationelle: Alles blieb friedlich - und Öcalan selbst rief aus seiner Gefängniszelle heraus das Ende des bewaffneten Kurdenkonfliktes aus. Noch in diesem Jahr sollen die Kämpfe endgültig beendet werden.

Im vergangenen Jahr hätten Sympathiebekundungen für die PKK und deren Chef noch ausgereicht, um ein Eingreifen der türkischen Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas zu provozieren. Doch gestern wussten auch die türkischen Behörden, was auf dem Spiel stand: Öcalans Friedensaufruf könnte das Ende des Kurdenkrieges nach fast 30 Jahren Gewalt und mehr als 40.000 Toten einleiten. Ankara reagierte positiv - lediglich das Fehlen türkischer Fahnen auf dem Kundgebungsplatz wurde von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und anderen türkischen Politikern kritisiert.

Parlamentsabgeordnete der Kurdenpartei BDP verlasen Öcalans fünfseitige Erklärung zuerst auf Kurdisch und dann auf Türkisch - auch das wäre früher unmöglich gewesen. Öcalan hatte den Text in seiner Zelle auf der Gefängnisinsel Imrali dem türkischen Geheimdienst übergeben, der ihn an die BDP weiterleitete.

Was Öcalan darin zu sagen hatte, wurde von Beobachtern als möglicher Wendepunkt im Kurdenkonflikt bewertet. "Eine neue Ära beginnt", betonte Öcalan. Die PKK solle die Waffen schweigen lassen und ihre Kämpfer aus der Türkei zurückziehen. Nicht mehr die Waffen, sondern die Politik solle in den Vordergrund rücken. Öcalan formulierte keine konkreten Forderungen an den türkischen Staat, verlangte aber ein Ende der Diskriminierung der Kurden - der Ruf war an das türkische Parlament gerichtet, das derzeit an einer neuen Verfassung arbeitet.

Rüstem Erkan, ein Soziologe an der Dicle-Universität in Diyarbakir, sieht Öcalans Erklärung als erste Stufe der endgültigen Entwaffnung der PKK. Bemerkenswert sei, dass Öcalans Erklärung nichts enthalte, was nicht auch von der türkischen Regierung unterschrieben werden könne, sagte Erkan. Das sieht auch Erdogan so.

Die Waffenruhe markiert die erste Stufe in einem Plan, den Öcalan in Verhandlungen mit dem türkischen Geheimdienst ausgearbeitet hat. Nach Angaben des türkischen Justizministers Ergin sieht der Plan einen Rückzug der PKK aus der Türkei und damit ein endgültiges Ende der Gewalt bis Ende des Jahres vor. Für den Abzug hat Erdogan den Rebellen freies Geleit zugesagt. Danach soll die PKK ihre Waffen offenbar der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak übergeben und ihre Kampfverbände auflösen. Unklar ist bisher, was Ankara den Kurden im Gegenzug für den Gewaltverzicht anbieten wird.

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