Interview mit Dagmar Freitag Die Sportausschuss-Vorsitzende des Bundestags fordert härtere Dopingbekämpfung

BERLIN · Dagmar Freitag ist die erste Frau im Vorsitz des Sportausschusses in der Geschichte des Deutschen Bundestages. Die SPD-Politikerin ist „very busy“. Sie muss dieser Tage alles geben, um ihr Direktmandat im Märkischen Wahlkreis II zu verteidigen. Besonders engagiert sich die 60-Jährige in der Dopingbekämpfung.

 Dagmar Freitag (MdB / SPD), anlässlich eines Interviews in Berlin mit den Redakteuren Holger Möhle und Berthold Mertes vom Bonner Generalanzeiger.

Dagmar Freitag (MdB / SPD), anlässlich eines Interviews in Berlin mit den Redakteuren Holger Möhle und Berthold Mertes vom Bonner Generalanzeiger.

Foto: Uwe Steinert

Mit ihrer Fraktion hat sie den Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes in den Bundestag eingebracht – nicht gerade zum Gefallen von Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). „Deshalb streiten wir gerade“, räumt Freitag im Gespräch mit den GA-Redakteuren Berthold Mertes und Holger Möhle im Berliner Regierungsviertel ein. Die Unterhaltung beginnt mit der „Causa Hoeneß“.

Frau Freitag, Sie verdienen als Bundestagsabgeordnete 91.000 Euro pro Jahr, das lässt sich online nachlesen. Davon zahlen Sie etwa 30.000 Euro Steuern. Wie haben Sie die Enthüllung der Steueraffäre Hoeneß empfunden?
Dagmar Freitag: Mit unterschiedlichen Empfindungen. Zum Einen war ich persönlich enttäuscht, weil Uli Hoeneß eine wirklich interessante Persönlichkeit im deutschen Sport war. Er war als Welt- und Europameister ein sehr erfolgreicher Fußballer und spielt seit Jahrzehnten im Fußball eine ganz wichtige Rolle – nicht nur für den FC Bayern. Hoeneß ist einer der großen Player im deutschen Fußball-Geschäft und auch darüber hinaus, weil er anders als viele andere ehemalige deutsche Fußballer auch ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden ist und sich nicht nur einmal sozial engagiert hat. Darüber hinaus hat er sich immer wieder öffentlich auch zu fußballfernen Themen geäußert – unter anderem auch zum Thema soziale Gerechtigkeit.

Also ist seine Steueraffäre keine Privatsache, sondern ein sozialpolitisches Thema …
Freitag: Genau. Zu sozialer Gerechtigkeit gehört auch, dass diejenigen, die es können, höhere Steuern zahlen. Vor allem aber muss der Grundsatz für alle gelten: Ich muss meine Steuern nach den Buchstaben des Gesetzes zahlen. Das scheint Herr Hoeneß nicht getan zu haben. Darüber bin ich wirklich enttäuscht. Ich war dabei, als er in Berlin mit der Goldenen Sportpyramide ausgezeichnet wurde. Das ist eine der höchsten Auszeichnungen, die man im deutschen Sport bekommen kann, und die erhält man eben auch für Verdienste außerhalb des Sports. Ich habe die Laudatio gehört und sie als glaubwürdig empfunden wie wahrscheinlich alle anderen. Von diesen Verdiensten hat sich sicher auch die Jury leiten lassen, die ihn ausgewählt hat.

[kein Linktext vorhanden]Ist Enttäuschung nicht ein zu schwaches Wort?
Freitag:
Neben der persönlichen Enttäuschung empfinde ich schon auch Zorn. Zorn deshalb, weil wir über vieles in unserem Land anders diskutieren könnten, wenn die Menschen nach ihrer Leistungsfähigkeit und nach Recht und Gesetz Steuern zahlen würden. Wenn ich in Kommunen komme, höre ich aufgrund der Finanznot immer wieder von Hallenbad-Schließungen oder anderen Maßnahmen, die die Menschen in ihrem Wohnumfeld direkt betreffen. Wenn Steuern so gezahlt würden, wie das Gesetz es vorsieht, würden wir manche Diskussionen in den Kommunen anders führen können und hätten mehr finanzielle Spielräume.

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Wie sehr hat der Fall Hoeneß dem Image des deutschen Spitzensports geschadet? Muss das Publikum nicht denken, dass es im Sport generell unsauber zugeht: Es wird genauso munter gedopt wie Steuern hinterzogen?
Freitag: Das würde ich vom Fall Hoeneß abkoppeln wollen. Es gibt in der öffentlichen Wahrnehmung etliche Beispiele von gutverdienenden Sportlern fast mit Kultstatus, die kaum die erste Million verdient und schon den Wohnsitz ins Ausland verlegt hatten. Ich finde es bedauerlich, dass sie anscheinend ihre gesellschaftliche Verantwortung nicht anerkennen und wahrnehmen. Ich würde mir sehr wünschen, dass all diejenigen, die im Sport so erfolgreich werden konnten, sich auch ihrer sozialen Verantwortung für ihr eigenes Land bewusst sind. Sie durften alle Vorzüge unseres Gemeinwesens genießen – das fängt schon mit dem kostenlosen Besuch einer öffentlichen Schule an. Damit will ich auf keinen Fall die Verdienste der Betreffenden für ihre Sportart und ihre Erfolge in Frage stellen. Aber warum zahlt jemand, der mehr Geld verdient, als man je ausgeben kann, nicht einfach ordentlich seine Steuern – schließlich würde niemand dieser Großverdiener dadurch ein armer Mensch.

Warum ist der Sport-Millionär als Steuerflüchtling trotzdem akzeptiert vom Publikum?
Freitag: Das ist eine Frage, die ich mir ebenfalls stelle. Es ist sicher auch eine Frage der medialen Darstellung. Die Medien leisten einen großen Beitrag zur Imagebildung von Sportlern – im positiven wie im negativen Sinne.

Ihr Sportausschuss-Kollege Klaus Riegert von der CDU sieht die Causa Hoeneß ein wenig anders. Riegert sieht seine Verfehlungen in erster Linie als Privatsache.
Freitag: Der „Fall Hoeneß“ ist über die Sportpolitik und die persönlichen Finanzen hinaus ein gesellschaftspolitisches Thema. Ob Uli Hoeneß in der Schweiz gezockt hat, spielt zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Seine Steuerhinterziehung wird aber in dem Moment auch gesellschaftspolitisch relevant, wenn er als Vorbild gesehen wird – oder sich selbst so präsentiert. Spätestens dann geht es eben über eine Privatsache hinaus.

Sie wurden als erste Frau an die Spitze des Sportausschusses im Bundestag gewählt. Was hat Sie dafür qualifiziert?
Freitag: Ich würde gerne mit einer Gegenfrage die Antwort einleiten: Hätten Sie diese Frage auch meinen Vorgängern gestellt? Aber bitte: Sport hat sich wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen. Sport war für mich schon als Kind und Jugendliche wichtig. Mit dem Ehrenamt im kleinen Verein in meiner Heimatstadt Iserlohn fing dann das gesellschaftliche Engagement an. Mein weiteres Handwerk habe ich im sportwissenschaftlichen Studium gelernt, zusätzlich auch Erfahrung in der kommunalen Sportpolitik gesammelt – ziemlich früh war ich Sportausschussvorsitzende in meiner Heimatstadt.

Warum gibt es so wenige Frauen in Führungspositionen im Sport?
Freitag: Die Frage stellen sich viele, die im Sport Verantwortung tragen. Ich kann sie auch nur unzureichend beantworten. Es ist wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen immer noch so, dass Frauen mehr im Bereich der familiären Verantwortung gebunden sind als Männer. Der Sport ist nach wie vor eine Männer-Domäne. Ein Beispiel: In Diskussionen bin ich sehr häufig die einzige Frau auf dem Podium. Es ist manchmal nicht einfach, sich in der Männer-Welt durchzusetzen. Man muss ab und an schon hart im Nehmen sein. Aber ich kann Frauen auch nur empfehlen, sich nicht entmutigen zu lassen und stattdessen zu sagen: Ich kann das auch.

Werden sie häufig untergebuttert?
Freitag: Ich lasse mich nicht unterbuttern. Natürlich gibt es gelegentlich solche Versuche. Ich gehe auch nicht immer als Sieger vom Platz. Aber das ist in einer Demokratie völlig normal – im Sport auch.

Es heißt ja, ohne seriösen Lobbyismus sei keine gute Gesetzgebung möglich. Welchen Lobby-Zwängen ist die Sportausschuss-Vorsitzende ausgesetzt?
Freitag: Zwängen bin ich überhaupt nicht ausgesetzt. Als Vorsitzende und als Abgeordnete entscheide ich grundsätzlich, was ich an Informationen an mich heranlasse. Vor allem entscheide ich selbst, welche Rückschlüsse ich aus dem ziehe, was man versucht hat, mir nahezubringen. In dieser Frage bin ich sehr selbstbewusst: Ich lasse mich nicht instrumentalisieren, sondern wäge Pro und Contra sachlich ab.

Aber Sport ist ein Milliardengeschäft. Welche Lobbyisten sprechen bei ihnen vor, um was zu erreichen?
Freitag: Das ist wie bei allen anderen Ausschüssen im Bundestag. In der Gesundheitspolitik sprechen auch der Präsident der Ärztekammer oder Vertreter der Pharma-Industrie vor. Dieser Mechanismus funktioniert im Sport entsprechend. Der Deutsche Olympische Sportbund ist mit einem eigenen Büro in Berlin vertreten. Der Generaldirektor, Herr Dr. Vesper, wird in den Bundestags-Liegenschaften rund um den Reichstag häufig gesehen. Er sieht sich, so hat er mir das kürzlich noch gesagt, als denjenigen, der die Interessen des Sports vor den Vertretern des Parlaments zu vertreten hat. Das ist aus seiner Sicht sicherlich zutreffend. Aber ich sage noch einmal: Jeder Abgeordnete entscheidet für sich selbst, wie sehr er sich von Lobbyisten tatsächlich beeinflussen lässt.

Herr Vesper möchte im Kampf gegen Doping die ganz harte Linie nicht beschreiten und verweist auf das aus seiner Sicht funktionierende Doppelsystem aus Sportgerichtsbarkeit und Strafrecht. Wie finden Sie diese Argumentation?
Freitag: Nicht besonders originell. Es ist eines der Totschlag-Argumente, die ich vom organisierten Sport höre, seit ich mich mit der Gesetzgebung in sportpolitischen Themen beschäftige. Es gibt zu juristischen Fragestellungen bei identischen Sachverhalten immer unterschiedliche Einschätzungen von Juristen. So wie Herr Vesper den einen oder anderen findet, der seine Einschätzung stützt, finde ich auch welche, die meine Auffassung und die meiner Fraktion stützen. Von daher streiten wir gerade…

Warum reichen die Selbstreinigungskräfte des Sports für eine wirksame Dopingbekämpfung nicht aus?
Freitag: Das Strafrecht hat andere Möglichkeiten. Vor allem bekommen Staatsanwälte überhaupt erst die Möglichkeit, tätig zu werden, wenn wir ihnen die entsprechenden Instrumente in der Gesetzgebung zur Verfügung stellen. Ich kenne den hartnäckigen Kampf von großen Teilen des organisierten Sports gegen eine strengere Doping-Gesetzgebung – aber ich bin sicher, wir werden ein Gesetz in Deutschland bekommen. Dafür werde ich kämpfen.

Herr Vesper meint, durch ein Anti-Doping-Gesetz würde die Verfolgung von Dopingvergehen verzögert und erschwert. Weil staatliche Organe mehr Zeit benötigen und zwei konkurrierende Sanktionssysteme die Sache erschweren.
Freitag: Das ist eine Annahme, die durch nichts zu belegen ist. In anderen Lebensbereichen haben wir vergleichbare Fälle. Nehmen Sie zum Beispiel das Beamtenrecht: Es gibt das beamteninterne Disziplinarrecht. Wenn jemand als Beamter eine Straftat begeht, muss er sich dennoch vor einem ordentlichen Gericht verantworten. Das eine schließt das andere nicht aus. Es gibt andere Beispiele im Sport: Bei einem schweren, absichtlichen Foul im Fußball fliegt der Sünder möglicherweise in der nächsten Sekunde vom Platz, wird vom Sportgericht gesperrt. Der Geschädigte kann zudem zivilrechtlich klagen. Es sind seit Ewigkeiten dieselben Argumente, die gegen ein Anti-Doping-Gesetz gebracht werden. So kommen wir im Kampf gegen Doping in Deutschland nicht wirklich weiter.

Schnelle Sanktionen kann aber doch nur der Sport selbst ziehen, oder?
Freitag: Das will auch niemand abschaffen und daran wird sich auch durch ein Anti-Doping-Gesetz nichts ändern.

Anders gedacht und provokant formuliert: Warum traut sich der organisierte Sport nicht ans organisierte Dopen?
Freitag: Die Frage müssten Sie denen stellen, die eine relativ zurückhaltende Marschroute in der Dopingbekämpfung vertreten.

Aber Ihre Meinung interessiert uns!
Freitag: Ich kann nur mutmaßen. Auf der einen Seite ist der Sport natürlich daran interessiert, erfolgreich dazustehen. Das verstehe ich auch. Wer Sport, zumal Hochleistungssport, treibt, möchte nach Möglichkeit gewinnen. Ich bin früher auch nicht in den Startblock gegangen, um Letzte zu werden, sondern um zu gewinnen. Das hat leider oft genug nicht funktioniert, aber der Sieg oder eine persönliche Bestleistung ist das Ziel jedes Sportlers. Wir reden jetzt nicht nur über Spitzensport, das gilt genauso für eine Hobbymannschaft. Die Leute haben Spaß, aber gezählt wird trotzdem – und gewinnen will man vielleicht auch.

Und Sie möchten auch, dass Ihre deutschen Leichtathleten erfolgreich sind …
Freitag: Sie wissen, dass ich an meinem Amtssitz in Berlin meine Rollen – einerseits Vorsitzende des Sportausschusses und anderseits ehrenamtliche Vizepräsidentin im Deutschen Leichtathletik-Verband – immer sehr genau trenne, das tue ich auch in diesem Fall. Deswegen blicke ich jetzt mal über die Leichtathletik hinaus. Auf der einen Seite wollen wir erfolgreiche Athleten. Wir, das ist die Gesellschaft. Und wir freuen uns mit diesen Athletinnen und Athleten über ihre Erfolge. Das Entscheidende ist, dass wir in der Gesellschaft ein Bewusstsein schaffen, dass wir uns nur über Spitzenleistungen freuen können, von denen wir ausgehen dürfen, dass sie auf saubere Weise erzielt worden sind. Ein Sieg, ein Rekord durch Manipulation ist wertlos. Ich möchte, dass wir eines Tages die vielen, vielen Fragezeichen aus den Gesichtern wieder rausbekommen, wenn ein Weltrekord in welcher Sportart auch immer aufgestellt wird. Ich möchte auch, dass der sportinteressierte Zuschauer, der Fan oder der Sponsor sagt: Ich freue mich über exzellente Leistungen, aber ich akzeptiere auch, wenn der von mir geförderte Sportler oder die Mannschaft vielleicht mal Vierter bei hochkarätigen internationalen Meisterschaften wird. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Es ist auch Aufgabe der Medien, das deutlicher herauszustellen. Wer Vierter oder Fünfter bei Weltmeisterschaften oder Olympischen und Paralympischen Spielen wird, ist eben auch Weltklasse, nicht nur der Medaillengewinner.

Zurück zu dem, was Sie zum System Doping und den gewünschten Erfolgen im Spitzensport gesagt haben. Wählt deshalb der Bund Deutscher Radfahrer lieber Herrn Scharping zum Präsidenten als Frau Schenk?
Freitag: Ich bin bei der Sitzung nicht dabei gewesen und kann den Diskussionsverlauf nicht beurteilen – das maße ich mir nicht an.

Wie schätzen Sie den Stand der Dopingbekämpfung im Jahr 2013 ein, weltweit und in Deutschland – Geht es voran?
Freitag: Es geht insofern voran, dass man mittlerweile mehr Staaten ins Boot geholt hat, als das noch vor Jahren der Fall war. Aber das reicht natürlich nicht. Insgesamt glaube ich nicht, dass wir da sind, wo wir sein könnten. Ich persönlich würde mir sehr wünschen, dass Deutschland sich nicht nur an der Spitze der Bewegung sieht, sondern auch tatsächlich dort wäre.

Aber wir haben doch in den Augen vieler die am strengsten kontrollierten Sportler der Welt …
Freitag: Richtig ist, dass Deutschland sehr intensiv über Doping und Manipulation im Sport diskutiert. Dabei muss man die Rolle der Medien ausdrücklich loben. Es war unverzichtbar, was in den letzten Jahren in Deutschland berichtet wurde zum Thema Betrug im Sport – und Doping ist für mich Betrug. Ich persönlich glaube, dass wir auf nationaler Ebene weiter sein könnten. Einerseits mit einer schärferen Gesetzgebung, aber auch mit einer schlagkräftigeren NADA, die finanziell deutlich besser ausgestattet sein müsste. Das hätte viele Auswirkungen – auch auf die Dopingkontrollen. Ich halte unsere NADA für chronisch unterfinanziert und würde mir mehr Mut wünschen, ergebnisoffen zu diskutieren, ob die 2002 gewählte Form einer Stiftung wirklich so erfolgreich ist, wie es sich die Gründungsväter damals gewünscht haben. Ich habe daran große Zweifel.

Was schlagen Sie vor?
Freitag: Eine ergebnisoffene Diskussion auch mal mit Blick auf andere Länder. Es gibt ja unterschiedliche Finanzierungsmodelle. In den USA beispielsweise leistet der organisierte Sport einen deutlich höheren Betrag als in Deutschland. Es gibt rein staatlich finanzierte nationale Anti-Doping-Agenturen, die den Vorteil haben, dass der Einfluss des organisierten Sports, der in Deutschland relativ groß ist, eingeschränkt würde. Ich weiß auch kein Allheilmittel, aber ich bin verwundert, dass schon mein Vorschlag, aufgrund der Finanzlage der NADA ergebnisoffen zu diskutieren, sehr harsch zurückgewiesen worden ist – übrigens auch von der NADA. Wobei ich mit Interesse zur Kenntnis genommen habe, dass der neue Aufsichtsratsvorsitzende, Professor Näder, sich dahingehend geäußert hat, dass man, wenn auch das neue, sich noch in der Planung befindliche Vermarktungskonzept der NADA nicht erfolgreich sein sollte, in der Tat über eine neue Struktur nachdenken müsse.

Im Kern sagen Sie, in einem alternativen Konzept wäre die NADA mehr Staatsangelegenheit. Entlässt man damit nicht den Sport selbst und seine Sponsoren aus der Verantwortung?
Freitag: Ich finde, dass insbesondere der Sport eine besondere Verantwortung hat, schließlich zerstört Doping die ethische Basis des Sports. Aber die Summe, die vom deutschen Sport an die NADA fließt und immer hochgehalten wird mit dem Hinweis „Wir zahlen so viel“ – die beinhaltet zum größten Teil bestellte Leistungen, die eben auch bezahlt werden müssen. Der Sport bekommt für sein Geld eine Gegenleistung, und damit ist das keine Unterstützung der NADA im engen Sinne. Für die Sponsoren handelt es sich hingegen „nur“ um eine moralische Verantwortung; wir können niemanden zwingen, die NADA finanziell zu unterstützen. Ich habe viele Gespräche mit Vertretern großer DAX-Unternehmen und von Sponsoren-Vereinigungen miterlebt. Da wurde klar gesagt – übrigens auch am Runden Tisch des Bundesinnenministers: „Dopingbekämpfung ist nicht unsere Sache, das ist keine Aufgabe der Wirtschaft.“ Deshalb muss man die Frage stellen, wenn man ernsthaft an einer vernünftigen, erfolgversprechenden Bekämpfung von Doping interessiert ist: Gibt es andere Wege? Und wenn wir über stärkere staatliche Finanzierung sprechen würden, dann weiß ich, dass ich schwierige Gespräche mit den Haushältern auch meiner Fraktion vor mir hätte. Eine offene Diskussion darüber, wie wir besser werden können, müssen wir trotzdem führen.

Ist der Appell des Bundesinnenministers an die Länder, sich angemessen an der NADA-Finanzierung zu beteiligen, endgültig gescheitert?
Freitag: Es hat marginale Zugeständnisse der Länder gegeben, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern haben sich mit unterschiedlichen Summen beteiligt.

Nämlich Jahresbeträgen von 43.000 Euro seitens Baden-Württemberg und verschwindend geringen 7.500 Euro von Mecklenburg-Vorpommern …
Freitag: Das ist löblich, aber damit bringe ich den Kampf gegen Doping in Deutschland doch nicht wirklich voran. Das ist eben nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Müssen über betrügende Sportler hinaus nicht auch die Teammanager, die zu Doping anleiten, stärker ins Visier geraten?
Freitag:Ja natürlich. Der Sportler dopt nie alleine. Dahinter steckt ein kompliziertes System: Er braucht Biochemiker in seinem Umfeld, er braucht Ärzte, die Infusionen geben können. Er braucht also ein hoch spezialisiertes Umfeld, das natürlich auch zur Sanktionierung herangezogen werden muss. Ich bin nach wie vor dafür, dass Ärzten, die der Beihilfe zum Doping überführt werden, die Approbation entzogen gehört.

Demnach ist der spanische Dopingarzt Fuentes nicht ausreichend bestraft worden, oder?
Freitag: Fuentes… Fuentes verdient ja jetzt wohl das große Geld, indem er offensichtlich erwägt, häppchenweise die Namen seiner „blutkranken“ Kunden preiszugeben. Wir brauchen aber gar nicht nach Spanien zu schauen. Es hat auch in Deutschland Manipulationen am Blut von Athleten gegeben. Unabhängig davon, ob das zu Leistungssteigerungen bei Athleten geführt hat oder nicht, halte ich es in der heutigen Zeit, in der jeder Athlet – auch schon als Jugendlicher – über die Gefahren und das Verbot von Doping aufgeklärt ist, für absolut abenteuerlich, dass im Umfeld eines Olympiastützpunktes ein Arzt das Blut von Athleten manipulieren konnte.

Sie haben damit Erfurt angesprochen, die Vorkommnisse am OSP Thüringen …
Freitag: Das meinte ich.

Die Athleten reklamieren für sich, sich auf den OSP-Arzt verlassen zu haben und verstehen die Welt nicht mehr, wenn man ihnen sagt, sie hätten dessen Auskunft hinterfragen müssen. Wo im System liegt der Fehler?
Freitag: Grundsätzlich muss man einem Arzt natürlich vertrauen können. Aber als Athlet, der an einem OSP betreut wird, weiß man, dass Manipulationen des Blutes hochbrisant sind. Als Athlet würde ich keinem Arzt erlauben, Manipulationen an meinem Blut vorzunehmen – es sei denn, es ist medizinisch zwingend indiziert. Dann muss ich es aber entsprechend anmelden.

Ist die Tour de France für Sie weniger spannend, wenn nur noch mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von38 Stundenkilometern gefahren wird statt mit 48?
Freitag: Nein. Dann würde ich vielleicht wieder Tour de France schauen.

Stichwort Homosexualität im Profifußball: Was glauben Sie, muss passieren, damit das kein Tabuthema mehr ist. Nur Corny Littmann als früherer Präsident des FC St. Pauli hat sich dazu bekannt. Ansonsten ist es eine geschlossene Gesellschaft.
Freitag: Wenn ich mir die gesellschaftliche Entwicklung in den letzten zehn Jahren anschaue, dann hat sich auch in unserer Gesellschaft unendlich viel verändert. Und gelegentlich hilft das Bundesverfassungsgericht einer trägen Regierung auch mal auf die Sprünge, wie erst kürzlich wieder geschehen. Selbst in konservativ strukturierten Teilen unserer Gesellschaft ist eine zunehmende Akzeptanz auch von homosexuellen Lebensformen zu erkennen. Der Fußball ist da sicherlich noch ein besonderes Problemfeld. Einfach verordnen können Sie mehr Akzeptanz natürlich nicht. Ich bin aber zuversichtlich, dass eine zunehmende Offenheit der Gesellschaft insgesamt dazu beitragen wird, dass irgendwann auch der Fußball erreicht wird. Dazu kann die Politik und die aufgeklärte Gesellschaft viel beitragen, indem sie Mut macht und im Zweifel zu denen steht, die sich selbst outen oder im Einzelfall unfreiwillig geoutet werden. Dann fände ich es schön, wenn sich die Gesellschaft einig zeigt und sagt: Leute, wo ist euer Problem?

Würden Sie sich wünschen, dass ein Aushängeschild des deutschen Fußballs mit dem Namen XY den Mut hätte, voranzuschreiten und sich zu outen?
Freitag: Das kann man sich nur dann wünschen, wenn man sich ganz sicher wäre, dass ein solches Outing nicht beispielsweise zu heftigen Attacken im Stadion führen würde. Ob man damit jedoch ein Umdenken bei homophoben „Fans“ erreicht, weiß ich nicht. Wenn aber von der großen Zahl der toleranten Fußballfans Zuspruch käme und diese für eine Normalität in den Stadien aufstehen würden, wäre das großartig. Eigentlich hoffe ich, dass wir solche Fragen bald überhaupt nicht mehr stellen müssen.

Noch einmal ein Schwenk zu einem anderen Thema: Wie klar trennen Sie zwischen Ihren Rollen als Sportausschussvorsitzende, DLV-Vizepräsidentin und NADA-Aufsichtsratsmitglied? Wie gehen Sie mit diesem Interessenkonflikt um?
Freitag: Es gibt weniger Berührungspunkte, als man vielleicht denkt. Ich habe das für mich sehr klar definiert. An erster Stelle steht mein Job. Das kann jeder, der mich in meinem Wahlkreis wählt, auch erwarten – und meine Fraktion im Übrigen auch. An zweiter Stelle stehen die Verpflichtungen, die ich mit der Übernahme des Sportausschuss-Vorsitzes qua Amt bekommen habe, zum Beispiel Mitglied im Aufsichtsrat der NADA zu sein. Da sitze ich nicht als Privatperson, sondern das hängt an meiner Funktion als Ausschussvorsitzende. Und wenn in einem der beiden Bereiche deutsche Leichtathleten oder der Verband betroffen sein sollten, dann werden die Problembereiche von mir behandelt wie alle andere auch.

Die Leichtathletik hat Sie ihr Leben lang begleitet – auf die kommende WM geschaut: Was trauen Sie unseren in London so erfolgreichen Athleten mit dem Olympiasieger Robert Harting an der Spitze denn in Moskau zu – ein ähnlich gutes Ergebnis?
Freitag: Kein Jahr ist mit dem anderen vergleichbar, und Olympische Spiele sind für alle Athleten immer der absolute Höhepunkt. Von daher glaube ich, dass zumindest einige ihren Fokus auf dem letzten Jahr hatten. Alle, die in London gepunktet haben, liefern aber derzeit sehr positive Schlagzeilen. Ich denke an unsere Stabhochspringer mit den Olympia-Medaillengewinnern Björn Otto und Raphael Holzdeppe an der Spitze. Es sind noch viele andere: Robert Harting, Linda Stahl, Christina Obergföll. Auch im Laufbereich tut sich etwas: Wir haben hoffnungsvolle junge Läuferinnen, z.B. über die Hindernisse Gesa Krause. Oder Corinna Harrer aus Regensburg, um nur zwei Namen von vielen zu nennen.

Welcher Sportler und welches Ereignis hat sie am meisten beeindruckt?
Freitag: Mein emotionalstes Erlebnis war das olympische Stabhochsprung-Finale der Männer 2012. Da saß ich auf der Tribüne, als Raphael Holzdeppe die 5,90 m sprang und schon wie der Sieger aussah. Dann packte auch Björn Otto die Höhe, und am Ende gewann doch der Franzose Lavillenie mit 5,95 m im dritten Versuch. Ein anderes Highlight ist meine erste Erinnerung an Hochleistungssport: Der 1500-m-Zieleinlauf des Zehnkampfs, in dem Willi Holdorf 1964 in Tokio Olympia-Gold gewann.

Wie kann man denn einem Goldmädel oder Goldjungen im Big Business Spitzensport noch glauben - insbesondere in einer Sportart wie Leichtathletik, in der Doping besonders viel bringt?
Freitag: Ich kann die Frage nur so beantworten: Wenn ich nicht daran glauben würde, dass es auch saubere Athleten gibt, dann würde ich dieses Ehrenamt im Leichtathletik-Verband beenden. Aber ich glaube daran, dass es saubere Sportler gibt. Es wird auch in der deutschen Leichtathletik den ein oder anderen geben, der der Versuchung nicht widerstehen kann zu dopen. Aber denen gilt mein Engagement nicht. Mein Engagement ist für die sauberen Sportler. Solange ich die Überzeugung habe, dass es sie gibt, macht mir das auch Spaß.

Wo sehen Sie die größte Herausforderung der nächsten Jahre für den deutschen Sport generell?
Freitag (lacht): Wie viele Stunden haben wir noch?

Fangen Sie beispielsweise mit dem Nachwuchs an …
Freitag: Der Schul- und der Vereinssport werden sich durch die veränderte Schul-Landschaft anders aufstellen müssen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Die bisherigen Generationen waren in der Regel am frühen Nachmittag zu Hause, wenn der Schulweg nicht übermäßig lang war. Das kennen Schüler heute schon von der Grundschule an nicht mehr. Das heißt also, die Kinder können nicht mehr so zeitig in den Sportverein gehen wie das früher der Fall war. In Individualsportarten mag das noch gehen. Aber Mannschaften haben teilweise Probleme, überhaupt noch gemeinsam zu trainieren. Es gibt Lösungsansätze, die Deutsche Sportjugend engagiert sich und die Kreissportbünde koordinieren, wie Schulen und Vereine in Sachen Ganztag zusammenarbeiten können. Es wird zusehends schwieriger, Kinder in die Vereine zu holen. Das wird für eine Übergangszeit vielleicht auch Auswirkungen bis in den Spitzensport haben…

Muss sich unser System vielleicht künftig an dem der US-Amerikaner orientieren, in dem Schulen und Universitäten seit jeher eine größere Rolle spielen?
Freitag: Das wäre ein gravierender Systemwechsel. Der Vereinssport hat in den USA nicht annähernd die Bedeutung wie in Deutschland. Unsere Vereinslandschaft ist ziemlich vorbildlich in der Breite, in der Leistungsfähigkeit und im ehrenamtlichen Engagement. Ich würde es als großen Verlust sehen, wenn wir diese Vereinslandschaft verlören.

Aber es muss doch zwangsläufig transformiert werden, oder?
Freitag: Es wird Veränderungen geben, aber wir müssen das Zusammenspiel zwischen Schule und Verein optimieren und die Vorzüge unserer Vereine weiterhin nutzen. Ein Kind, das im Sportverein groß wird, hat nicht nur gesundheitliche Vorteile im Leben, wenn unser Ziel eines lebenslangen Sporttreibens realisiert wird. Es kommt zwar auch häufig in den Sonntagsreden vor, ist deshalb aber nicht falsch: Im Sportverein lernt man eben mehr als technisch raffinierte Dribblings oder einen sauberen Aufschlag beim Volleyball. Ich lerne auch, mit Anstand zu gewinnen und mit Anstand zu verlieren, Regeln einzuhalten, mit anderen Menschen respektvoll und fair umzugehen.

Auf der anderen Seite die demografische Entwicklung, was muss am anderen Ende der Altersstruktur getan werden?
Freitag: Ich glaube, da werden insbesondere die Bundesländer und Kommunen schauen müssen, wie Sportstätten der Zukunft aussehen. Wir reden zunehmend über Inklusion und Integration, dann müssen Sportstätten aber auch behindertengerecht sein. Ansonsten bleibt Inklusion nur das berühmte Schlagwort in irgendwelchen Parteiprogrammen und Koalitionsvereinbarungen. Darüber hinaus werden wir uns fragen müssen, brauchen wir überall, wo Sport getrieben werden soll, wirklich genormte Mehrfelder-Sporthallen oder brauchen wir darüber hinaus auch kreativere Lösungen.

Auf jeden Fall benötigt man viel Geld. Ist es angesichts dieser großen Herausforderungen überhaupt vertretbar, wenn die Bundesregierung jedes Jahr 132 Millionen Euro in den Spitzensport steckt?
Freitag: Das ist noch mehr, alles zusammengenommen.

Wie viel ist es?
Freitag: Ressortübergreifend, also beispielsweise inklusive der Spitzensportförderung durch die Sportfördergruppen der Bundeswehr, der Bundespolizei und des Zolls investiert der Bund rund 220 Mio. Euro pro Jahr.

Müsste man das Geld nicht dem Spitzensport wegnehmen und in Breitensport und damit Volksgesundheit investieren?
Freitag: Selbst wenn wir das wollten, könnten wir es nicht aufgrund klarer Zuordnungen, die in unserem föderalen System gelten. Es gibt beispielsweise keine direkten Finanzbeziehungen vom Bund direkt zu den Kommunen.

Aber die prinzipielle Ausrichtung könnte man doch überdenken. Ist das Geld im Spitzensport in unserer Welt weiterhin richtig investiert?Freitag: Ich weiß nicht, ob man ein Gegeneinander konstruieren muss. Entscheidend wird sein, dass die Kommunen wieder in eine bessere finanzielle Situation kommen, die ihnen ermöglicht, auch wieder freiwillige und nicht nur sogenannte Pflichtaufgaben zu tätigen. Darüber wird ganz sicher in der nächsten Wahlperiode auch auf Bundesebene zu reden sein.

Vollenden Sie bitte: Der Bund muss Geld für den Spitzensport bereitstellen, weil …
Freitag: ... ich glaube, dass es gut angelegtes Geld ist. Ich bin von vielen unserer Spitzensportler beeindruckt. Sie können Vorbilder für die Gesellschaft sein. Wie etwa die Speerwerferin Linda Stahl, immerhin Olympiadritte, die neben einer erfolgreichen Sportkarriere ein Studium der Humanmedizin in Regelstudienzeit absolviert hat. Das sind Geschichten, die vorbildlich sind. Die Athletin hat sich für die WM in Moskau qualifiziert, steht aber jeden Tag stundenlang im Krankenhaus und macht im Rahmen ihrer weiteren Ausbildung ihr praktisches Jahr. Wenn wir solche Vorbilder unterstützen, dann ist das gut angelegtes Geld. Zumal Sport für so viele Menschen in unserem Land eine wichtige Rolle spielt, egal, ob sie selber aktiv sind oder begeisterte Fans. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Gesellschaft sich vom Spitzensport verabschiedet.

Bleibt Ihnen selbst angesichts der vielen Aufgaben – insbesondere im Wahljahr-denn noch Zeit zum Sporttreiben?
Freitag: Man soll ja ehrlich sein: Leider nein.

Nein heißt null Prozent?
Freitag: In sitzungsfreien Wochen sitze ich, allerdings auch das eher unregelmäßig, auf dem Fahrrad – bei gutem Wetter draußen, ansonsten auf dem Hometrainer. Aber in Berlin komme ich zu nichts.

Ist es Ihr größter Wunsch, dafür wieder mehr Zeit zu finden?
Freitag: Nein. Mein größter Wunsch ist es, mein Direktmandat im September zu verteidigen.

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