Freiwilliges Soziales Jahr Was junge Bonner aus dem FSJ mitnehmen

Bonn · Viele junge Leute absolvieren vor dem Beginn ihrer Ausbildung oder ihres Studiums ein Freiwilliges Soziales Jahr. Warum engagieren sie sich und was halten sie von dem jüngsten Vorschlag einiger Politiker, das soziale Engagement für alle Schulabgänger für eine gewisse Zeit verpflichtend zu machen?

In der Villa Noah hat Victoria Culoso vor zwei Jahren ihr FSJ absolviert. Heute arbeitet die 21-Jährige neben ihrer Ausbildung zur Sozialassistentin weiter im Haus.

In der Villa Noah hat Victoria Culoso vor zwei Jahren ihr FSJ absolviert. Heute arbeitet die 21-Jährige neben ihrer Ausbildung zur Sozialassistentin weiter im Haus.

Foto: Benjamin Westhoff

„Ich habe meine Vorurteile verloren und die Geschichte hinter den Menschen kennengelernt“, sagt Victoria Culoso. In der Villa Noah in Bad Godesberg arbeitet die 21-jährige Bonnerin mit Menschen zusammen, die an Alkoholsucht leiden. Vor zwei Jahren hat sie hier ihr Freiwilliges soziales Jahr (FSJ) begonnen. „Am Anfang war es erschreckend. Manche Bewohner waren grummelig und trotzig“, erinnert sie sich heute.

Eigentlich wollte Culoso in die Wirtschaft gehen. Doch sie hat ihr Wirtschaftsabitur 2019 nicht geschafft. Das warf ihre Pläne durcheinander. So informierte sie sich im Internet und stieß auf das FSJ-Angebot in der Villa Noah. Eine Einrichtung, die in der Nähe ihres Elternhauses liegt.

Die junge Frau fing mit einfachen Aufgaben in der Villa Noah an, half beim Zimmer aufräumen und unterstützte die Bewohner in ihrem Alltag. „Das Team hat mich immer unterstützt und mich super aufgenommen“, sagt sie. Irgendwann trauten die anderen Mitarbeiter ihr mehr Aufgaben zu. „Ich leitete zum Beispiel die Hirnleistungstrainingsgruppe.“ Sie war bei Arbeits- und Beschäftigungstherapiestunden mit den Bewohnern dabei, um sie vom Alkoholkonsum abzulenken. Dabei habe sie sich nie überfordert gefühlt: „Ich konnte immer auch Aufgaben ablehnen, wenn ich mir Sachen nicht zugetraut habe.“

Heute versteht sie sich gut mit den Bewohnern und hat gelernt, sich auch einmal Respekt zu verschaffen. „Ich bin mutiger und selbstbewusster geworden. Das FSJ hat mir ganz viel Lebenserfahrung gebracht.“ Inzwischen macht sie eine Ausbildung zur Sozialassistentin, arbeitet nebenbei aber immer noch in der Villa Noah. Ihr Ziel ist anschließend die Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin, um im sozialen Bereich bleiben zu können.

Persönliches einbringen

„Die FSJlerinnen und FSJler sollen keine Stelle ersetzen, sie sind immer zusätzlich und übernehmen Aufgaben, für die Hauptkräfte keine Zeit mehr haben. Es geht darum, Menschliches und Persönliches einzubringen“, sagt die Pressesprecherin der Caritas, Mechthild Greten. Das bestätigt auch Wassili Weckauff vom Diakonischen Werk Bonn, wo viele Freiwillige tätig sind. „Die FSJler sind eine wichtige Stütze unserer Arbeit und unserer Nachwuchsgewinnung. Sie werden quasi arbeitsmarkt-neutral eingesetzt.“

Wer ein FSJ absolviert, sei ganz unterschiedlich, so Susanne Hartmann. Sie leitet das ASB-Bildungswerk in Bonn. „Das sind Abiturientinnen und Abiturienten, die Medizin studieren möchten, aber auch junge Leute ohne einen Schulabschluss. Viele von ihnen bleiben im sozialen Bereich. Beim ASB ist das FSJ oft ein Einstieg in die Berufsausbildung“, so Hartmann.

Auch Florian Kriechel wollte nach dem Abitur eigentlich direkt studieren. Seine Wunschuniversität lehnte ihn jedoch ab. Also bewarb er sich für ein FSJ und arbeitete für ein Jahr an einer Grundschule mit Inklusion. „Ich habe gelernt, auf die Kinder und ihre Bedürfnisse einzugehen. Ich hatte aber auch das Gefühl, dass ich den Kindern etwas mitgeben konnte“, so Kriechel. Er sei inzwischen „ziemlich froh“, dass es vor einem Jahr mit dem Studium nicht sofort geklappt hat, denn er habe Erfahrungen gemacht, die er heute nicht missen wolle.

Interessierte werden weniger

Die Zahl der FSJlerinnen und FSJler ist seit Jahren konstant. Laut Statistik des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gab es nur in den Pandemiejahren 2020 und 2021 einen leichten Rückgang der Zahlen. Die Träger und Anbieter von FSJ-Stellen stehen dennoch vor einer herausfordernden Situation: „Der Anteil der interessierten Altersgruppe sinkt und somit proportional auch die Anzahl der Teilnehmenden. Durch eine aktive Akquise konnten wir jedoch die Anzahl der Menschen im FSJ/Bundesfreiwilligendienst auf einem guten Niveau halten. Nur mit dem großen Elan, den wir in das Gewinnen der Menschen investieren, können wir dem Trend entgegenwirken“, sagt Weckauff vom Diakonischen Werk.

Die Frage, ob das FSJ für alle Schulabgänger verpflichtend werden sollte, sorgt unter den Engagierten jedoch für Diskussionen. „Ich finde, dass es Leuten hilft, einmal richtig gearbeitet und Geld verdient zu haben. Das muss aber freiwillig sein, sonst fehlt die Motivation“, sagt Culoso. Kriechel hingen unterstützt den Vorschlag einiger Politiker: „So viel Erfahrung und Empathie kann man nur im sozialen Jahr lernen. Es sollte für alle verpflichtend sein, auch für Leute, die nicht in den sozialen Bereich wollen.“

Viele Träger haben inzwischen eine Stellungnahme zum Sozialen Pflichtjahr abgegeben. Die meisten befürworten das Pflichtjahr nicht. „Freiwilligkeit und persönliche Überzeugung müssen entscheidend bleiben. Freiwilliges Engagement ist eine wichtige Säule der Zivilgesellschaft und zentral für unsere Demokratie“, sagt beispielsweise die Diakonie. Die Freiwilligendienste des Deutschen Roten Kreuzes hingen vertritt die Meinung, dass es einen Eingriff in den Lebenslauf junger Menschen nicht geben dürfe.

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