Premiere Im Jungen Theater Bonn Plädoyer gegen Propaganda und Fanatismus

Bonn · Fulminanter Applaus für die Uraufführung von „Das letzte Aufgebot“ im Jungen Theater Bonn.

 Dramatischer Moment: Kameraden kümmern sich um einen Verletzten.

Dramatischer Moment: Kameraden kümmern sich um einen Verletzten.

Foto: Thomas Kölsch

Waren wir Verbrecher oder Opfer von Verbrechern? Diese ungelöste Frage steht am Ende des Stückes, mit dem das Junge Theater Bonn (JTB) sich auf eine Forschungsreise in die deutsche Vergangenheit begeben hat. Es geht um den sogenannten „Volkssturm“, zu dem im Herbst 1944 das Nazi-Regime alle „waffenfähigen Männer von 16 bis 60 Jahren“ verpflichtete, um den „Heimatboden des Deutschen Reiches“ zu verteidigen.

„Das letzte Aufgebot“ ist ein beklemmendes Drama um Propaganda, Fanatismus und Gruppenzwänge. Auf Anregung von Oscar Kafsack (Jahrgang 2003, erfahrenes Mitglied des JTB-Nachwuchs-Ensembles und Darsteller der zentralen Figur des Jakob) hat Intendant Moritz Seibert das Stück zusammen mit den Jugendlichen Fabiola Mon de la Fuente (Marie) und Karl Junker (Franz) verfasst. Seiberts Inszenierung (Regie und Bühne) ist kein Dokumentar-Theater, setzt aber auf Authentizität (historische Kostüme: Katharina Kastner), psychologische Genauigkeit und große Emotionen. Der ausdrückliche Brückenschlag zur Gegenwart ist da gar nicht nötig, sondern stellt sich ohne didaktisch erhobenen Zeigefinger von selbst her.

Schnarrende Kommandos

Der Krieg ist in dem kleinen Eifeldorf noch nicht angekommen, nur die daraus erwachsene Not. Die Männer sind irgendwo auf den Schlachtfeldern, alle Arbeitskräfte werden gebraucht für die Landwirtschaft. Klar: Es sind ganz normale Jungs, die da schuften und gern mal was echt Großes erleben möchten. Pubertär neugierig auf den ersten Sex, ab und zu besoffen und anfällig für vaterländische Parolen. Franz (hervorragend: Karl Junker) zum Beispiel, Sohn des mächtigen Gauleiters Hans Gause (erschreckend selbstsüchtig: Nima Conradt), der bei der Bürgermeistertochter Gerti (Tamina Friedrich) kein Glück hat und auch als schwer verwundeter Heimkehrer nicht begreifen will, dass er bitter getäuscht wurde. Oder der sensible Walter (Tristan Witzel), der beim ersten Angriff der „Feinde“ zusammenbricht. Einen Vorgeschmack auf die brutale Realität im „Kampfausbildungslager“ liefern die schnarrenden Kommandos der SS-Männer (Lukas Maurer und Sandra Kernenbach).

Der fünfzehnjährige Jakob, blitzgescheiter Sportstar des Dorfes, hat die Liebe der Bürgermeisternichte Maria gewonnen, kann sich aber trotz aller Warnungen seiner Mutter (Olja Artes) der Freundschaftsdynamik nicht entziehen. Das mit dem Vaterwerden hat noch Zeit, aber bei der heimlichen Verlobung offenbart Maria ihm ein gefährliches Geheimnis: Sie ist Jüdin und weiß von den Vernichtungslagern im Osten. Bürgermeister Gustav Völker (Jan Herrmann) verhilft dem jungen Paar zur Flucht. Keine Lovestory-Sentimentalität: Es geht ums Überleben und die Entlarvung von Lügen.

Die mitreißende Vorstellung berührt Verstand und Herz, ist ein Plädoyer für die Verweigerung von geistigem Missbrauch und geht in rund zweieinhalb Stunden unter die Haut. Nach einem kurzen Moment des Atemholens fulminanter Uraufführungs-Applaus für eine der besten Produktionen der gesamten Bonner Saison 2018/19.

Nächste Abendaufführungen (nicht geeignet für Publikum unter 13 Jahren, empfohlen auch für Erwachsene) am 7./8./12. Juni jeweils um 19.30 Uhr. Karten u.a. bei allen Ticketshops des GA.

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