Bundeskunsthalle Judith Hermann und Manuela Reichart sprechen über Alice Munro

BONN · Wie man weiß, reist die amtierende Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro nicht mehr. Die 83-jährige Schriftstellerin ist gesundheitlich ziemlich angeschlagen; bei der Preisverleihung in Stockholm im Vorjahr wurde sie durch ihre Tochter vertreten.

Unter dem Motto "Liebes Leben", zugleich Titel des jüngsten und vermutlich auch letzten Erzählbandes Munros, widmete das Literaturhaus Bonn der kanadischen Grande Dame der Kurzgeschichte eine Hommage.

Die ursprünglich dafür angesetzte Lounge der Bundeskunsthalle erwies sich überraschungsfrei als viel zu klein, und selbst im Forum des Hauses mussten die Sitzreihen kräftig erweitert werden: Mehr als 500 Zuhörer drängten hinein, um die profunde Würdigung Munros durch die deutsche Autorin Judith Hermann, welche ebenfalls im Genre der Kurzgeschichte reüssierte, und die Kulturjournalistin und Filmemacherin Manuela Reichart zu verfolgen.

Hermann begann im Alter von 30 Jahren, Alice Munro zu entdecken. "Sie war ja ein Geheimtipp, ich wollte sie für mich behalten und habe daher auch gehofft, dass sie den Nobelpreis nicht bekommt", verrät die Schriftstellerin, die für Munros Kurzgeschichtenband "Der Traum meiner Mutter" ein Nachwort verfasste. "Man muss sich vom eigenen Schreiben distanzieren, wenn man sie liest. Sie ist unerreicht gut."

Reichart bezeichnete die Kanadierin als "Meisterin der kleinen Form". Zum Erfolgsrezept der Nobelpreisträgerin zähle für sie auch die "genaue Menschenbeschreibung und nicht zuletzt die Fähigkeit, mit Auslassungen Geschichten zu erzählen". Judith Hermann ergänzt: "Ihr Schreiben gründet sich oft auf einem bestimmten Moment, in dem jemand etwas sagt oder denkt."

"Wenn ich ein Mann wäre, würde ich das immer lesen", sagt Reichart über Munros Werke, "man lernt so viel über Frauen." Im Schlusskapitel des Abends, Alice Munro und der Sex, versteigen sich die beiden ansonsten famos fachsimpelnden Literaturexpertinnen auf dem Podium zu der These, dass männliche Autoren nun mal nicht in der Lage seien, so großartig leichthändig über Sex zu schreiben. Reichart: "Was denen meistens fehlt, ist, Humor und Sex zusammen zu bringen."

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