Lesung bei Böttger Udo Di Fabio stellt neues Buch in Bonn vor

Bonn · In Alfred Böttgers Buchhandlung in Bonn stellt der renommierte Rechts- und Sozialwissenschaftler Udo Di Fabio sein im vorigen Jahr erschienenes Buch „Die Weimarer Verfassung - Aufbruch und Scheitern“ vor.

 Der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio hat ein Buch über die Weimarer Verfassung geschrieben.

Der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio hat ein Buch über die Weimarer Verfassung geschrieben.

Foto: Benjamin Westhoff

„Man wird schnell gesteinigt für diese Aussage“, sagt Udo Di Fabio und macht eine Kunstpause. „Aber das Deutsche Kaiserreich war im weltweiten Vergleich recht demokratisch geprägt.“ Die Weimarer Verfassung von 1919 „wollte die demokratischen Mängel beheben“. In Alfred Böttgers Buchhandlung stellt der renommierte Rechts- und Sozialwissenschaftler sein im vorigen Jahr erschienenes Buch „Die Weimarer Verfassung - Aufbruch und Scheitern“ vor. Das Interesse ist so groß, dass die Buchhandlung im Handumdrehen vollbesetzt ist; viele Besucher müssen am Eingang abgewiesen werden.

„In meiner Schulzeit lernte ich, dass diese Verfassung eine Fehlkonstruktion gewesen sei“, erinnert sich der frühere Richter des Bundesverfassungsgerichts im Zweiten Senat (1999 bis 2011), der seit 2003 als Professor für Öffentliches Recht an der Bonner Universität lehrt. „Aber auch die Fünf-Prozent-Klausel, wenn es sie gegeben hätte, hätte den Aufstieg der NSDAP nicht verhindert. 1919 waren die Väter und Mütter stolz auf diese Verfassung, sie hielten sie für die demokratischste weltweit.“ Udo Di Fabio gliedert seinen fundierten, scharfsinnigen und klar argumentierenden Vortrag bei Böttger in drei Teile.

Weil in Berlin geschossen wurde, wich man nach Weimar aus

Der Aufbruch habe seinen Antrieb aus der Revolution bezogen, die den Kaiser „aus der Geschichte weggespült“ habe. Weil in Berlin  auf den Straßen noch geschossen wurde, wich man nach Weimar aus - im dortigen Nationaltheater wurde am 6. Februar die Nationalversammlung eröffnet. Vorausgegangen war die Volkswahl am 19. Januar, zu der erstmals Frauen zugelassen waren. 1924 habe sich die Lage stabilisiert, erläutert Di Fabio: „Da begannen die Goldenen Zwanziger Jahre.“ Und sagt auch: „Fiktive Geschichte ist eigentlich etwas für die Belletristik, aber ich bin sicher, das Grundgesetz wäre nicht bis 1924 gekommen.“

Die sich ausbreitende Massenarbeitslosigkeit, das insolvenzgefährdete Reich und eine fatale Schwachstelle in der Weimarer Verfassung ließen allerdings schnell dunkle Wolken aufziehen - „das Hineinkopieren aus der kaiserlichen Verfassung mit der Unklarheit, wer die eigentliche Richtlinienkompetenz hat.“ Hindenburg als Reichspräsident zu installieren, schien in der stabilen Phase  ein „kalkulierbares Risiko“, aber Hindenburg „war nur so lange verfassungstreu, wie er musste. Er wollte keine Sozialdemokraten in der Regierung sehen“.

Eine „fragmentarisierte Gesellschaft“ traf auf die Weltwirtschaftskrise, auf ein „bürgerkriegsähnliches Klima“ - und sowohl die Nationalsozialisten als auch die Kommunisten „wollten diese Dynamik für sich nutzen“, so Di Fabio. Dabei hätte die Weimarer Verfassung „alle Mittel“ in der Hand gehabt, „um mit dem Nazi-Spuk aufzuräumen. Aber Hindenburg wollte das nicht.“ Schließlich sei der „desaströse Plan“ gereift, einen Mann zum Reichskanzler zu machen, der niemals eine Mehrheit erhalten hätte - Franz von Papen. „Ein Dilettant auf dem politischen Parkett“, urteilt Di Fabio.

Die Deutschen haben damals die Demokratie abgewählt, befindet der ehemalige Verfassungsrichter. „Gewiss, das geschah in einer existenziellen Krise, aber muss man deswegen die Demokratie abwählen? Eine offene Frage.“ Weimar sei nicht an seiner Verfassung gescheitert, geht Di Fabio in die Bilanz über. „Aber mit den Personen auf der politischen Bühne konnte diese Verfassung nur noch destruktiv wirken.“ Das Grundgesetz von 1949 habe aus Weimar gelernt - „eine Versicherungspolice auf den Fortbestand der Demokratie ist es aber nicht.“ Diese Versicherungspolice „gibt es nur im Kopf jedes einzelnen.“

In der aktuellen Politik, sei es in Deutschland, in Europa oder auf dem gesamten Globus, erkennt Udo Di Fabio einen „tiefen Graben“, der durch die Gesellschaften gehe. „Aus dem parteipolitischen Gegeneinander wird wieder ein Kulturkampf.“ Über die Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold sagt er: „Das war immer eine untadelige Fahne, sie stand immer für Freiheit und Demokratie, es sei denn, man baute Hammer und Zirkel ein. Patriotismus darf man nicht illiberalen Kräften überlassen.“ Eine kleine Ergänzung macht der Professor dann doch: „Ich würde mich nicht trauen, diese Fahne im Garten zu hissen. Außer vielleicht zur Fußball-WM.“

Udo Di Fabio: Die Weimarer Verfassung. Aufbruch und Scheitern. C.H. Beck, 300 S., 19,95 Euro

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