Die GA-Tatort-Kolumne Bonbonfarbene Erinnerungen

Bonn · Robert Karow muss fortan allein klarkommen im Schmuddel-Berlin. Der Tatort geht die Flucht nach vorn an und spinnt sich eine Geschichte zusammen, die den Ermittler ganz persönlich trifft. Unser Rückblick auf den neuesten Tatort.

 Camilla (Kim Riedle, r.) schleppt den verletzten Robert Karow (Mark Waschke, l.) zum Auto in einer Szene aus dem Berliner «Tatort: Das Opfer»

Camilla (Kim Riedle, r.) schleppt den verletzten Robert Karow (Mark Waschke, l.) zum Auto in einer Szene aus dem Berliner «Tatort: Das Opfer»

Foto: dpa/Stefan Erhard

Karow ist kaputt. Das war der Berliner Tatort-Ermittler schon bei seinem ersten Sonntagabendkrimi-Auftritt. Es schien, als hätte sich Karow von Folge zu Folge etwas mehr gen Licht bewegt, je länger er sich an seiner Partnerin Rubin reiben konnte. Die war nämlich auch kaputt, anders als Karow, im Leben gescheitert, während Karow erst gar kein eigenes Leben haben durfte. Jetzt bekommt er eins. Rubin ist tot, und sie fehlt ab Minute eins des ersten Solo-Berlin-Tatorts von Mark Waschke. Dem Zuschauer allerdings fast mehr als dem Ermittler, der zwar noch an seine Partnerin denken mag, aber ganz klar betont: Geliebt hat er in seinem Leben nur einen Menschen. Dummerweise ist der auch tot. Kein Wunder, dass Karow das bisschen Halt, das er mit Rubin gefunden zu haben schien, jetzt auch noch verliert.

Wie gut, dass es kein Geruchsfernsehen gibt

Karow zwangsbeurlaubt sich selbst, tauscht den schicken schwarzen Mantel gegen Jogginghose und Bomberjacke. Immerhin beides auch schwarz. Gut, dass es kein Geruchsfernsehen gibt (noch nicht). Das Klamottenodeur wäre zum vierten Advent eine heftige Zumutung gewesen.

Nun gut – weil Karow, diesmal einigermaßen eindeutig homosexuell, seelisch noch nicht kaputt genug ist, kriegt er auch noch Pfefferspray ab, muss sich mit malträtierten Fingern herumschlagen, die er aber nicht im Krankenhaus zu Ende behandeln lässt. Ein wahrer Held entlässt sich selbst, selbst dann, wenn eine Sepsis droht. Die Bilder vom schmuddeligen Berlin, in dem Karow jetzt kurzzeitig mit einer ganz großartigen Kim Riedle als Clubmitarbeiterin Camilla ermittelt – Camilla bleibt leider Karows blond-hübsches Anhängsel, das erst von zwei Clanmitgliedern, zwischendrin vom Urlaubskommissar, dann von zwei Polizisten beschützt werden muss – machen die angedrohte Sepsis spürbar wahrscheinlich.

Bonbonfarbene Erinnerungen

Berlins gewohnter Schmuddel-Look wechselt sich ab mit einem seltsam künstlichen Grünstich, der sogar Karows Bartbehaarung ergrünen lässt. Immer dann, wenn der Kommissar von seiner Liebe zu Maik spricht, ehemaliger Nachbarsjunge, später verdeckter Ermittler, noch später, pünktlich zu Tatort-Beginn, tot. Die Erinnerungen an die Kindheit, die erst vorsichtigen, dann offensiven Annäherungen der beiden Jungs, sind dann auch in Billigbonbonfarben getaucht – das ist so konsequent wie unnötig.

Dabei war der Fall so gut

Stichwort unnötig: Da stellt sich irgendwann in den ersten 15 Tatort-Minuten nach WM-bedingter Durststrecke ganz grundsätzlich die Frage, wie notwendig dieses tiefe Eindringen in Karows Gefühlswelt, in Karows Vergangenheit, in Karows Sexualität denn überhaupt ist. Mit Rubin wirkte der Kommissar zwar ebenso kaputt, aber mysteriöser. Genervt hat Rubin, manchmal in positivem, manchmal im negativen Sinne, weil es viel zu oft um ihr eigenes kaputtes Leben ging, während Karow einfach stoisch kaputt nebenherlaufen konnte und mindestens so genervt war wie der Durchschnittszuschauer. Dieses Zusammenspiel fehlt im ersten Karow-Alleingang, den auch die großartige Jasmin Tabatabai als Staatsanwältin nicht zu retten vermag. Karow braucht dringend wieder einen Gegenpart, damit die Fälle wieder den Krimi bestimmen. Der Fall nämlich, der sich – falls jemand das bei der ganzen Karow-Schicksalsnummer jemand nicht mitbekommen haben sollte – war famos. Ein Clanboss verliebt sich in einen Mann. Das darf nicht. Und der Clanboss geht lieber für einen Mord hinter Gitter, den er gar nicht begangen hat, als seine Homosexualität einzugestehen. Sahin Eryilmaz als Mesut Günes war ohnehin das mit Abstand beste, was der neue Berlin-Tatort am Sonntag zu bieten hatte.

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