Arbeitszeugnis nicht wichtigstes Papier in der Bewerbungsmappe

Erfurt · Egal ob neues Jobangebot oder Arbeitsplatzwechsel - mit glänzenden Zeugnissen wollen Bewerber auf dem Arbeitsmarkt punkten. Bei einer schlechten Bewertung seitens des Chefs zieht manch einer vor Gericht. Doch welche Aussagekraft haben solche Zeugnisse überhaupt noch?

Der Streit um bestimmte Formulierungen in Arbeitszeugnissen landet immer häufiger vor Gericht. Meistens geht es darum, ob der Chef die Gesamtleistung des Ex-Mitarbeiters zutreffend beurteilt hat - so auch im Fall einer 25-Jährigen, die am Dienstag vor dem Bundesarbeitsgericht gegen ihren früheren Arbeitgeber klagte. Sie wollte das Wörtchen "stets" ergänzen lassen in der Formulierung, ihre Aufgaben "zur vollen Zufriedenheit" erledigt zu haben. Manche Experten sehen darin nur Wortklauberei: Viel wichtiger sei ohnehin der persönliche Eindruck, den ein Bewerber beim potenziellen Chef hinterlasse.

"Insgesamt kann man feststellen, dass die Bedeutung von Arbeitszeugnissen deutlich abgenommen hat", sagt Joachim Sauer, Präsident des Bundesverbands der Personalmanager. Seiner Einschätzung nach haben positive Arbeitszeugnisse kaum noch eine Aussagekraft, weil inzwischen fast 90 Prozent ein "gut" oder "sehr gut" enthielten.

Viel entscheidender als ein Zeugnis sei deshalb der Eindruck, den ein Bewerber im persönlichen Gespräch hinterlasse. Das sieht auch Kai Haake, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater, so. "Das persönliche Kennenlernen ist extrem wichtig." Denn ein Zeugnis spiegele nur eine Momentaufnahme, wohingegen es bei einem neuen Posten häufig um einen Karriereaufstieg und neue Funktionen gehe.

Zumal gerade bei unschmeichelhaften Zeugnissen in Wahrheit auch etwas anderes dahinterstecken kann als eine Kündigung wegen schlechter Arbeitsleistung - Umstrukturierungen etwa oder die persönliche Chemie, die einfach nicht mehr passt. In einem Gespräch ließen sich solche Zusammenhänge leichter erklären, schildert Haake.

Auch wenn der persönliche Eindruck im Gespräch bei einer Bewerbung oft entscheidend sei, sollte man die Bedeutung von Arbeitszeugnissen nicht unterschätzen, mahnt hingegen Cynthia Sende vom Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Universität Erlangen-Nürnberg. "Sie sind sicherlich nicht das Hauptkriterium bei der Beurteilung eines Bewerbers, aber wenn sie eine Vorauswahl machen auf Basis der Bewerbungsunterlagen, haben sie noch keine weitergehenden Informationen."

Zumal die meisten Personaler Studien zufolge weiterhin der Meinung seien, dass ein Arbeitszeugnis wichtig ist. Trotz der Inflation positiver Formulierungen hätten die Beurteilungen nämlich "noch immer einen Wert, weil Sie zumindest hinreichend differenzieren können zwischen wirklich guten und durchschnittlichen Arbeitnehmern". Noch wichtiger als die Zeugnisse sei aber der Lebenslauf, auch aus dem Anschreiben zögen die Personalchefs wichtige Informationen.

Die Rolle von sozialen Netzwerken schätzt Sende, die derzeit zum Thema "Aussagekraft von Arbeitszeugnissen" promoviert, deutlich geringer ein. "Recherchen in sozialen Netzwerken sind sicherlich im Kommen", schildert sie zwar. Doch bislang setzten noch längst nicht alle Unternehmen auf Online-Recherchen. "Man darf dabei auch nicht vergessen: Nicht jeder Bewerber ist online tatsächlich aktiv und kann da gefunden werden."

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