Die Millionenfalle, Teil 47

Die in Berlin beschlagnahmten 3,3 Millionen Euro erhärten den Verdacht, dass die Baukasse ein Selbstbedienungsladen war

Die Millionenfalle, Teil 47
Foto: Barbara Frommann

Freundlich, sympathisch, authentisch - so empfindet nahezu jeder, der mit Young-Ho Hong spricht. Ein privater Ermittler beschreibt den ehemaligen Bauchef des World Conference Center Bonn (WCCB) als "katzenfreundlich".

Ein Synonym-Wörterbuch erklärt: "Unter der Hand, verborgen, unauffällig, verstellt, klanglos, unbemerkt, still und leise, verschwiegen, ohne etwas zu sagen" - und vieles mehr. Wer also ist Hong? Einer, wie Hans Ulrich Lang vom Bürgerbund im September 2009, vermutet, "der uns ein X für ein U vormacht?"

Am Anfang der Geschichte einer sich auf leisen Sohlen ankündigenden Katastrophe steht die erstaunliche Tatsache, wie lange verschworenes Teamwork einen Misthaufen unter der Decke halten kann. Das Rathaus ist in Sachen WCCB seit Anfang 2008 eine Art Fort Knox des Schweigens.

Allen Eingeweihten ist längst klar: Mit Investor SMI Hyundai Corporation hat man auf Sand gebaut. Ärger an allen Fronten. Und die Frage, ob die Stadt betrogen wurde oder sich eher selbst betrogen hat, liegt noch in weiter Ferne. Spätestens Anfang 2009 steckt die WCCB-Expedition in einer Situation, in der auch ein letztmaliges Auftanken der Fahrzeuge nicht mehr zum Ziel führen wird. Dennoch wird die Zapfpistole nochmal in die Baukasse gehalten.

Hongs RechnungenNach GA-Informationen war die eigens zum WCCB-Bau gegründete Baufirma SMI Hyundai Europe GmbH (Berlin) von Young-Ho Hong, heute insolvent, das zentrale Drehkreuz des Geldes (siehe Kasten "Der rote Faden").

Zwei vom GA recherchierte Beispiele, die der RPA-Bericht (dort standen nur städtische Unterlagen zur Verfügung) nicht enthält. Erstens: Eine Planungsfirma hat über viele Monate 43 000 Euro pro Monat ohne Gegenleistung erhalten. Im Gegenzug wurde Hong über eine Firmenbeteiligung am Erlös beteiligt.

Zweitens: das Parkhaus. Es wurde für einen Pauschalpreis von einem Dritten errichtet. Später legte Hong dem SGB Rechnungen für drei von ihm (angeblich) erbrachte Leistungsphasen des - bereits bezahlten - Parkhauses vor: 76 000 Euro, 41 000 Euro, 197 000 Euro. Das SGB genehmigt.

Hong kassierte als SMI-Geschäftsführer pro Monat durchschnittlich rund 24 000 Euro. Seine Firma erhielt pro Monat eine Pauschale von rund 420 000 Euro aus der Baukasse für Planung und Personal, obwohl vertraglich nur 180 000 Euro vereinbart waren.

Dazu ist eine Schmierenkomödie nötig: Der Stadtrat erlebt im Mai 2009 hinter dem Vorhang der Öffentlichkeit eine listige Aufführung. Die Hauptrolle spielt Hong, während Friedhelm Naujoks, damals Chef des Städtischen Gebäudemanagements (SGB) und WCCB-Controller, in einer Nebenrolle assistiert. Beide begründen eine Baukostenexplosion um fast 60 Millionen Euro mit Kokolores-Argumenten ( siehe Chronik).

Hong spricht dabei einen Satz, der nicht oft genug wiederholt werden kann: "Seien Sie froh, dass Sie mit mir gebaut haben, sonst wäre es noch teurer geworden." Und Friedel Frechen, damals wie heute Pressesprecher der Stadt Bonn, erklärt dem GA auch nach " Millionenfalle 3" immer noch: Das städtische Controlling habe bestätigt, "die Firma Hong ist nachweislich die preisgünstigste Lösung".

Dem Stadtrat wird im Frühsommer 2009 ein Baustopp als denkbar schlimmstes Gespenst geschildert, dabei ist gar nicht mehr zu verhindern, was verhindert werden soll. Der Rat bewilligt dennoch 30 Millionen Euro frisches Baugeld - nach bewährtem Muster: Sparkasse zahlt, Stadt haftet.

Was der Rat damals nicht weiß: Von den 30 Millionen bleiben nur 15,7 Millionen für die Baustelle übrig, der Rest dient der Bezahlung leerer Versprechen von SMI Hyundai und ihres Blenders Man-Ki Kim. Da die Baustelle pro Monat rund 7,5 Millionen schluckt, reicht auch die "letzte Tankfüllung" nicht lange. Aber sie könnte reichen, damit das WCCB-Kartenhaus erst nach der Kommunalwahl Ende August 2009 - öffentlich - zusammenbricht.

Dass das WCCB direkt auf den Abgrund zusteuert, hat seit Januar 2009 keiner genauer vor Augen als Hong. Jeden Tag kann "es" passieren - "es", der Baustopp. Hongs SMI Hyundai Europe schreibt ihre ureigensten Rechnungen für Planungs- und Projektkosten nun immer früher, bereits im März 2009 für Mai 2009, und das SGB setzt - "sachlich und rechnerisch richtig" - seine Häkchen, damit der Zahlungsverkehr wie geschmiert läuft. Doch die Handwerker vor Ort spüren von den zusätzlichen Millionen kaum etwas. Meist rechnet nur Hong für sich ab. Jeder ist sich selbst der Nächste.

Die städtischen Rechnungsprüfer werden 2010 herausfinden: Am Ende (2009) sind die Projekt- und Planungskosten gegenüber 2006 um 116 Prozent, die Baukosten aber nur um 20,8 Prozent gestiegen. Da grummelt nicht nur Staatsanwälten der Magen. Über diesem Missverhältnis thront ein Hong-GmbH-Trio.

Es war naheliegend, wohin die Gelder flossen und wo sie im Insolvenzfall der Baufirma (SMI Europe) sicher waren - ohne Zugriffsmöglichkeit von irgendwem. Das gängige Prinzip spiegelt sich in vielen Wirtschaftsdelikten der Republik: Eine GmbH wird insolvenzreif "gemolken", während andere, assoziierte GmbHs vor "Milch" überquillen. Nicht naheliegend, aber menschlich: Der Feind eines perfekten Plans, gemeinhin "Teufel" genannt, schlummert im Detail und heißt gelegentlich "Schludrigkeit".

Seit Monaten jagen die Fahnder nach verschwundenen Millionen. Vor ihnen türmt sich das Papiergebirge der SMI Europe. Korrespondenz und Rechnungen summieren sich auf eine Viertelmillion Seiten. Ein 10 000-Teile-Puzzle vom Matterhorn ist nichts gegen den Rechnungsirrgarten bei mehr als 500 WCCB-Nachunternehmern. Wer hat eine Leistung doppelt abgerechnet, aber nur einfach erbracht? Wer hat gar nichts geleistet, aber trotzdem abgerechnet? Wer hat eine Leistung zu Mondpreisen abgerechnet?

Professionelles Schnüffeln ist geduldige Sisyphusarbeit. Seite für Seite. Eines Tages greift unverhofft "Kommissar Zufall" ein: Eine von 250 000 Seiten hat hier nichts zu suchen. Inhalt: eine Gewinn- und Verlustrechnung einer nicht-insolventen Hong-GmbH. Hier Festgelder, dort Wertpapiere. Das riecht nach Vermögen.

Das Blatt stammt aus September 2009, als Hong das erste Mal aus der U-Haft entlassen wird, aber über die geforderte 50 000-Euro-Kaution jammert. Er sei "vermögenlos", soll er dem Haftrichter erzählt haben, müsse sich eine so große Summe erst bei seinen Freunden besorgen. Am Donnerstag dann mit richterlichem Segen: Zugriff. Die bei Hong in Berlin beschlagnahmten 3,3 Millionen Euro sind nach GA-Informationen jedoch nur ein Anfang. Die Schatzsuche geht weiter.

In den 3,3 Millionen sind auch jene 450 000 Euro enthalten, die Hong im Rahmen eines Scheinarbeitsverhältnisses an Michael Thielbeer gezahlt hatte. Nicht auf einen Schlag, sondern verteilt auf viele kleine Rechnungen für "Beratungsleistungen". Die Staatsanwaltschaft wertete diese als "Leistungen ohne Gegenleistungen", weil Hong das nach GA-Informationen gestanden hatte. Deshalb kam er auch früh unter Auflagen aus der U-Haft im Herbst 2009 wieder auf freien Fuß.

Für SMI Hyundai hatte Thielbeer aber durchaus Leistung gebracht: Als "unabhängiger" Berater der Stadt hatte er Hyundai-Kontrahenten schlecht- und "Hyundai-Kim" schöngeredet (siehe "Millionenfalle 7"). Später wurde Thielbeer von SMI Hyundai mehrfach Danke gesagt: Geschäftsführerposten bei der WCCB-Betriebsgesellschaft, dazu vier Prozent ihrer Anteile, ein fürstliches Gehalt und die genannten 450 000 Euro aus der Baukasse. Im Herbst 2009 saß er von allen Verdächtigen am längsten in U-Haft.

Wie viele WCCB-Millionen sind wo versickert? Wer allein die Insolvenzverwalterberichte und die 475 RPA-Seiten "mit Taschenrechner" liest, ist bald über zehn Millionen Euro. Der "Spiegel" berief sich auf Fahnderwissen und nannte 25 Millionen. Ursache: viel heiße Luft in vielen Rechnungen.

Die Sicherstellung der Hong-Millionen erscheint als gute Nachricht. Für Bonn ist sie allerdings ernüchternd: Denn die Stadt erhält davon nicht einen Cent, obwohl es sich letztlich um Steuerzahlergeld handelt.

Die Baukasse gefüllt hat vor allem ein privater 102-Millionen-Kredit der Sparkasse an den privaten Bauherrn. Dass Bonn für den Kredit bürgt, macht jedoch aus einer privaten noch keine öffentliche Veranstaltung. Eine Kon-struktion mit verheerenden Folgen, wenn der Bauherr ohne ausreichend Eigenkapital losbauen darf. So wandern die 3,3 Millionen Euro jetzt in die Insolvenzmasse - und nicht in die Stadtkasse.

Der rote FadenDer WCCB-Bericht des Rechnungsprüfungsamtes (RPA), Insolvenzverwalter-Berichte und GA-Informationen legen nahe, dass beim WCCB Millionen Euro zweckentfremdet und abgezweigt wurden.

Auf vielerlei Wegen (nicht zurückbezahlte Darlehen, Berater-Honorare ohne Gegenleistung, doppelte Abrechnungen, überhöhte Rechnungen) addieren sich viele Kleinbeträge und sechsstellige Summen zu Millionen, die dann der Baukasse zum eigentlichen Zweck, Bau des WCCB, fehlten.

Ermöglicht wurde das alles, weil das Städtische Gebäudemanagement (SGB) als WCCB-Kontrollinstanz weitgehend ausfiel. Für den Stadtrat ließ sich Bauchef Young-Ho Hong, abgesegnet vom SGB, eine andere Begründung für die Baukostenexplosion um rund 60 Millionen einfalle.

Mit anderen Worten: Die WCCB-Kosten stiegen durch mutmaßlich korrupte Handlungen, während die Argumente "höhere Hotelzimmerzahl" oder "Steigerung des Baukostenindexes" nur dazu dienten, um das unlautere Treiben (siehe " Millionenfalle 8") zu kaschieren.

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