Kommentar Zwei Jahre nach Fukushima - Das dritte Mahnmal

Als am 11. März 2011 ein 9,0-Erdbeben vor Japan den Meeresboden auf einer Länge von 240 Metern aufreißt, ahnt niemand, dass menschliches Versagen Jahre zurück liegt: Die Schutzwälle vor den Fukushima-Reaktoren für den folgenden Tsunami sind zu niedrig geraten.

Die Kernschmelzen treffen eine Welt, die im Angesicht des Klimawandels gerade ein leises Comeback der Atomenergie zulässt. Trotz ungelöster Endlagerfragen und vielleicht wegen der beruhigenden 10 000-Jahre-Mathematik, wonach ein GAU nur einmal in 100 Jahrhunderten eintritt. Doch nun passierte die zweite Havarie schon 24 Jahre nach Tschernobyl und dazu in einer Hochtechnologie-Nation. Plötzlich verflüchtigte sich jegliche Selbstgewissheit in der Atommeiler-Sicherheitsfrage.

In Deutschland hatte die Regierungskoalition gerade den Ausstieg aus Atomenergie ausgebremst. Stunden nach dem Fukushima-GAU setzt Angela Merkel noch auf Abwarten. Motto: Aus Fehlern lernen. Die Bundeskanzlerin will die Kühlsysteme deutscher Atommeiler überprüfen lassen. Bloß keine Grundsatzdebatte. Die läuft aber längst in den TV-Arenen, wo sich alte Argumente mit neuen Einsichten mischen. Selten irrt Merkel so. Am Ende verkündet sie den Ausstieg vom Ausstieg - und Deutschlands Energiewende, die rasch proklamiert ist, aber gerade im gründlichen Klein-Klein deutscher Bürokratie einen Marathon bedeutet.

Heute gilt Fukushima nach Harrisburg und Tschernobyl als drittes Mahnmal für die Unbeherrschbarkeit der Kernenergie, aber auch für die Untauglichkeit aller GAU-Vertuschungsversuche. Zunächst hatte auch die Demokratie Japan, wie die einstige sowjetische Diktatur bei Tschernobyl, eine Verharmlosungsstrategie versucht. Doch neuzeitliche Kommunikationskanäle durchkreuzten die Pläne.

Ein GAU bedeutet den Verlust von Heimat. Zehntausende Japaner können nicht zurück, und das große Aufräumen, das Abtragen kontaminierter Erdschichten, hat gerade erst begonnen. Wohin damit? Japans Atommüllproblem hat eine neue Dimension erreicht und erinnert Deutschland an sein eigenes. Hochradioaktives lagert hierzulande weiter oberirdisch: eine offene Flanke für das Unvorstellbare, zum Beispiel einen Flugzeugabsturz.

In Japan ist nicht nur ein Lebensraum physikalisch zerstört. Eine Art kulturelle Seismologie berichtet, dass die Menschen einstweilen mehr mit psychischen Erkrankungen als mit Radioaktivitätsängsten kämpfen. Auch das Misstrauen gegenüber der politischen Klasse ist gewachsen und ein unausgesprochenes Tabu gefallen: Monatelang demonstrierten Zehntausende gegen die Kernenergie. Mit Erfolg. Der Inselstaat will nach Deutschland, Belgien und der Schweiz als viertes Land eine Energiewende wagen.

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