Mehr als 500 Seiten David Yaffe veröffentlicht Biografie über Joni Mitchell

Bonn · David Yaffe hat eine Biografie der Musikerin Joni Mitchell mit vielen Originalzitaten geschrieben. Yaffe hat die heute 76-Jährige 2007 und 2015 interviewt und lässt sie ausführlich zu Wort kommen – und was Mitchell so von sich gibt, ist oft alles andere als nett.

 Charismatische Musikerin: Cover von Joni Mitchells Album „Hejira“.

Charismatische Musikerin: Cover von Joni Mitchells Album „Hejira“.

Foto: Mitchell

Eigentlich wünscht man sich, dass die Biografie einer Lieblingsmusikerin einem diese näherbringt, man Dinge erfährt, die sie sympathischer machen, mehr Licht in die Entstehungsprozesse von Alben und Songs gebracht wird. Letzterem wird David Yaffe auf den mehr als 500 Seiten in seinem Buch über Joni Mitchell über weite Strecken ihrer 55-jährigen Karriere gerecht. Doch ansonsten möchte man die Zeile, die der Rapper Q-Tip 1997 zu Janet Jacksons „Got ’til It’s Gone“ besteuerte, umdichten: Von „Joni Mitchell never lies“ zu „Joni Mitchell isn’t nice“.

Yaffe hat die heute 76-Jährige 2007 und 2015 interviewt und lässt sie entsprechend ausführlich zu Wort kommen – und was Mitchell so von sich gibt, ist oft alles andere als nett. Aber man kann es auch so sehen, dass sie niemals lügt, um jemandem zu gefallen. Weder Journalisten oder Fans, noch Ex-Liebhabern, Kollegen oder der Plattenindustrie. Und weiß Gott nicht Judy Collins, deren Aufnahme von „Both sides now“ Joni Mitchell 1968 den ersten kommerziellen Erfolg bescherte.

Und so arbeitet sich Yaffe von ihrer Kindheit, die geprägt war vom schwierigen Verhältnis zu den Eltern und der Polioerkrankung mit neun Jahren,  über erste Erfolge, den Durchbruch, Höhen und Tiefen der Karriere bis 2015, als ein Gehirnaneurysma sie dauerhaft erkranken lässt. Neben den eigenen Interviews mit Weggefährten bemüht er viele andere Quellen, die fast wie bei einer Doktorarbeit minuziös aufgelistet werden.

Melodien und Rhythmen

Der rote Faden sind dabei die Alben vom 1968er „Song To A Seagull“ bis zu „Shine“ aus dem Jahr 2007. Yaffe analysiert Melodien und Rhythmen, betrachtet Texte unter dem poetischen Mikroskop und zeigt Bezüge zur Biografie Mitchells auf: etwa das Leben in der kanadischen Provinz, die 1965 zur Adoption freigegebene Tochter und die vielen Männer an ihrer Seite.

Diese haben eines gemeinsam, sind allesamt Musiker. Mal bekannt, mal dabei, bekannt zu werden, mal selber im Rampenlicht, mal Kollaborateure, die den Weg vom Aufnahmestudio ins Privatleben fanden. Zeitlich reicht die Bandbreite von der kurzen Romanze bis zur Heirat:  James Taylor, Jackson Browne, Leonard Cohen, David Crosby, Graham Nash, Sam Shepard oder Larry Klein, der zunächst bei Joni Mitchell Bass spielte und ihr Co-Produzent wurde.

Später veredelte er Platten von Till Brönner, Herbie Hancock, Tracy Chapman oder Holly Cole mit seinem typischen Sound, den er an Mitchells Seite auf deren Alben „Chalk Mark In A Rain Storm“ oder „Night Ride Home“ entwickelt hatte.

Und zu Klein pflegt sie wie zu fast allen Verflossenen weiterhin ein gutes Verhältnis. So gibt es auf „Wild Things Run Fast“ (1982) Beiträge von insgesamt vier Ex-Männern und einem aktuellen Liebhaber.

Mitchells Männer

Diese Heerschar von Verflossenen wird jedoch nicht durch das Schlüsselloch des Schlafzimmers, sondern des Studios betrachtet. Vielleicht ist Yaffe, der seine Interviews mit Mitchell für Musikmagazine machte, auch gar nicht daran interessiert. Das Emotionale wird thematisiert, aber nicht ausgeweitet. Das schwierige Verhältnisses zur Tochter, die Mitchell erst als erwachsene Frau wiederfand, wird sogar nur gestreift – und das, obwohl im Verlaufe des Buches immer wieder auf die Songtexte hingewiesen wird, in denen die Sängerin sich mit der Problematik auseinander setzt (wie in „Little Green“).

Aber hier – und an vielen, vielen anderen Stellen – zeigt sich das große Manko des üppigen Buches: Das Lektorat hat nicht hart genug durchgegriffen. Der Text wimmelt nur so von Wiederholungen. Viele von Joni Mitchells Originalzitaten hätten beherzt gekürzt werden müssen, so salbadert sie bisweilen vor sich hin. Und wirkt wie eine Frau, die alles andere als sympathisch ist. Aber vielleicht ist David Yaffe auch zu sehr Fan, um seinem Idol Einhalt zu gebieten.

Die Lust, in Joni Mitchells Musik einzutauchen, vergeht einem bei der Lektüre allerdings nicht. Ganz im Gegenteil: Joni’s music always charms.

David Yaffe. Joni Mitchell – Ein Porträt. Deutsch von Michael Kellner, Matthes & Seitz, 583 S., 28 Euro.

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