Der zweite Einsturz des Stadtarchivs im Kölner Schauspiel

Karin Beier inszeniert eine Elfriede-Jelinek-Trilogie im Kölner Schauspiel. Das Publikum im ausverkauften "Theater des Jahres" fieberte der Uraufführung des von der Literaturnobelpreisträgerin für Köln geschriebenen dritten Teils entgegen.

 Krzysztof Raczkowski und Kathrin Wehlisch in Karin Beiers Kölner Jelinek-Inszenierung.

Krzysztof Raczkowski und Kathrin Wehlisch in Karin Beiers Kölner Jelinek-Inszenierung.

Foto: Klaus Lefebvre

Köln. Eine feine Gesellschaft ist das, die all die schönen großen Sachen baut. Ein Wasserkraftwerk zum Beispiel, wie damals im österreichischen Kaprun. Oder eine U-Bahn, wie heutzutage in München und Köln. Da darf man sich schon mal feiern im feinen Zwirn, mit Apero-Häppchen für"s Parkett und einem Herrn Ingenieur, der vor den Vorhang tritt wie ein Conférencier und uns launig erzählt vom Wunderbau der Technik da droben im Gebirg.

"Packen wir"s an", beginnt Elfriede Jelinek "Das Werk", und Intendantin Karin Beier folgte zum Spielzeitauftakt im Schauspielhaus mit einer fulminanten Inszenierung der Texte "Das Werk/Im Bus/Ein Sturz" als Trilogie. Das Publikum im ausverkauften "Theater des Jahres" fieberte der Uraufführung des von der Literaturnobelpreisträgerin für Köln geschriebenen dritten Teils entgegen. Doch das Archiv ging erst nach der Pause unter; zuvor kämpften Ensemble und Zuschauer mit den dicken Brocken - Jelineks bekannt endlosen Wortkaskaden voller Wiederholungen und Wortspiele, und dem Wasserkraftwerk in den Alpen von Kaprun, dessen Bau die Nazis mit Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen vorantrieben.

Tickets Karten im GA-Ticket-ShopVon den an Hunger und Kälte zugrunde gegangenen offiziellen 160 Toten berichten die Schauspieler auf der als Bürolandschaft möblierten Bühne abwechselnd; dass es wohl Tausende waren, legt der Text nahe. Und warum? "Die Natur ist immer schuld", auch wenn das Wasser hier, scheinbar gezähmt, in Flaschen erscheint. Verantwortung hat niemand - "glücklich ist, wer vergisst, was doch schon verschüttet ist", skandieren in fröhlichem Zynismus "Hänsel und Gretel", "Heidi" und der "Geißenpeter", alias Manfred Zapatka, Thomas Loibl, Michael Weber und Krysztof Raczkowski, Julia Wieninger, Caroline Peters, Lina Beckmann, Laura Sundermann und Kathrin Wielisch, die allesamt mit großartiger Präsenz agieren.

Jelineks Textmasse mit Bildern und Handlung zu unterfüttern, gelingt Beier nicht durchgängig gut. Doch immer wieder bauen sich großartig dichte Szenen auf: Rot sind Schaufeln und Abendkleid, wenn die Arbeiterhymne "Vorwärts und nicht vergessen" zur Variété-Nummer einer nur noch auf "Malle" gepolten Touri-Gesellschaft wird. Doch die Arbeiter sind noch da: Atemberaubend intensiv bringen die Frauen mit einem Männerchor (Zauberflöten e.V.) ihre stampfende Anklage vor.

So wuchtig "Das Werk", so knapp "Im Bus", ebenfalls ein neuer Text, den Jelinek für Christoph Schlingensief schrieb. Auch der Münchner U-Bahnbau forderte 1994 drei Todesopfer, als die Straßendecke nachgab und einen Linienbus in die Tiefe riss. Auch hier stellte sich die Frage nach Ursache und Schuld - ohne Antwort. Als kleines valentineskes Zwischenspiel leitet "Im Bus" über zur Kölner Tragödie, die Jelinek als "Satyrspiel" bezeichnet. Nicht zufällig, denn um die Fallhöhe der selbst gemachten kölschen Katastrophe zu demonstrieren, mischt Jelinek hier gern mal hohen Tragödienton mit den vom Publikum böse verlachten Ausflüchten sämtlicher Beteiligter nach dem Einsturz des Historischen Archivs 2009.

Keiner von den Verantwortlichen tritt auf; alles wird gefiltert durch die Medien, Radio, Telefon, Laptop. Eine "Naturkatastrophe" hielt Ex-OB Fritz Schramma nach dem Einsturz in einem eingespielten O-Ton für möglich. Und so wird die Erde (halbnackt, nass, mit Staub beklebt Kathrin Wehlisch) vom Wasser in einem wilden Kampf der Elemente vergewaltigt. Und während im maroden Schauspielhaus ein steter Sandstrahl von der Decke rieselt, steigt und steigt das Wasser auf der Bühne, bis alle Akteure knöchelhoch im Nass waten - ein wunderbarer Effekt: drastisch, komisch, poetisch.

Zu gern würden die "Erddompteure" ihre Machenschaften mit Pumpen und Armier-Eisen auf den Nubbel schieben, doch Beier geht sparsam mit dem kölschen Inventar um: "Das Stadtvolk" hat "mit einem leckeren Stück Gebäude bezahlt und mit zwei Stück Personen, Du, Erde, bist billig zu haben", so die bittere Erkenntnis. Der Rest ist - Schweigen. Einhelliger Jubel.

Die nächsten Termine: 6./7. November, 19.30 Uhr.

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