Studie Die Erde erwärmt sich langsamer

Erst die lange Kältewelle, dann ein Mini-Frühling, schließlich die große Flut, und vor Tagen stürzte afrikanische Warmluft Deutschland abrupt in den Hoch-Hochsommer. Jahreszeiten und Wetter fahren gefühlt Achterbahn. Hinter den Bewegungen der Atmosphäre kann, muss aber nicht der vom Menschen verursachte Klimawandel stecken - hin zu einer globalen Erwärmung, über deren Ausmaß die computergestützten Klimamodelle uneins sind. Nur 1,5 oder gar 5,9 Grad Celsius bis Ende des 21. Jahrhunderts?

 Überschwemmung in Indien: Weltweit haben Starkregen und Fluten zugenommen.

Überschwemmung in Indien: Weltweit haben Starkregen und Fluten zugenommen.

Foto: dpa

Und nun das: Die Erwärmung der Erde, melden Wissenschaftler im Fachmagazin "Nature Geoscience", pausiert, obwohl der weltweite Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) von Jahr zu Jahr immer neue Rekorde aufstellt. Von 1991 bis 2000, so die jüngste Studie, stieg die durchschnittliche Erdtemperatur um 0,24 Grad, von 2001 bis 2010 jedoch nur um 0,03 Grad. Diese letzte Dekade (2001-2010) war, so die Welt-Meteorologie-Organisation (WMO), die wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen (1850).

Die veröffentlichte Studie von Forschern der Universität Oxford unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI/Hamburg) schlägt dennoch ziemliche Wellen: Die sogenannten Klimaskeptiker jubeln und betrachten sie als Bestätigung ihrer Zweifel, wonach nicht die Treibhausgase aus der Verbrennung von Kohle und Öl den Planeten erwärmen, sondern natürliche Faktoren wie etwa die Sonnenaktivität. Keine Entwarnung gibt hingegen Professor Jochem Marotzke, Direktor des MPI: "Diese Abschwächung der Temperaturerhöhung an der Erdoberfläche können wir mit unseren Modellen bisher nicht erklären, allerdings hat sich die Erde insgesamt weiter erwärmt, aber diese Erwärmung hat vor allem in den tieferen Schichten der Ozeane stattgefunden."

Fakten und Zusammenhänge sind geeignet, Klimalaien gehörig zu verwirren. Auch deshalb, weil der Nicht-Forscher Wetter und Klima doch irgendwie als Zwillinge ansieht. Ihm erscheint ein strenger Winter spontan als Gegenbotschaft zum Klimawandel und Tropenhitze als dessen Bestätigung. Tatsächlich steckt hinter dem Klima ein komplexes Kräftespiel: Hier die natürlichen Kräfte, die das Erdklima zwischen kalt und warm hin- und herschubsen, dort der von einer Sieben-Milliarden-Menschheit angerührte wärmende Treibhausgas-Cocktail. Zudem können einige Ausdünstungen der Zivilisation auch kühlen, etwa freigesetzte Schwefelpartikel aus der Schwerindustrie. Alle Einflüsse können sich aufheben, verstärken und überlagern. Das klingt nach einer Sache, die so kompliziert ist, dass sie sich im Prinzip gar nicht vorhersagen lässt.

Es ist paradox: Während der Mensch zu einfachen Wahrheiten neigt und gelegentlich Wetter-Bauernregeln auswendig aufsagen kann, erklären Klimaforscher vermeintlich abstruse Zusammenhänge und globale Fernwirkungen: Mehr Kälte im Winter in Mitteleuropa durch weniger Eis in der Arktis. Mit anderen Worten: Die globale Erwärmung kann regional sogar mehr Kälte verursachen.

Neben Schwefel, wie ihn auch Vulkane freisetzen, ist La Niña ein weiterer Gegenspieler des Erwärmungstrends - eine aus der Tiefe des Pazifiks aufsteigende Kaltwasserflut. Im Gegenzug werden große Wärmemengen in tiefere Ozeanschichten verfrachtet. Nach 1998 hat allein La Niña dreimal zugeschlagen. Die NASA berichtet, der Erwärmungstrend wäre ungebrochen, würden La-Niña-Effekte herausgerechnet. Ein dritter Abkühlungsfaktor spielt in Asien (s. Artikel unten), denn selbst verbrannte Kohle kann kühlen, wenn sie viel Schwefel enthält.

Unterm Strich habe sich "das große Bild", so Professor Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, durch die Studie nicht verändert. Der Klimaberater der Bundesregierung sagte in den "Potsdamer Neuesten Nachrichten": Wenn die "Anreicherung der tieferen Ozeanschichten mit der überschüssigen Wärme" abgeschlossen sei, werde sich die Oberfläche wieder erwärmen - "und zwar schneller als zuvor".

Das aktuelle große Bild bietet auch Vorlagen für Missverständnisse und Verwirrungen oder gezielte Versuche, die Warnungen der Klimaforscher als unglaubhaft darzustellen - sei es aus weltanschaulichen, sei es aus wirtschaftlichen Gründen. Wie im Kleinen, so im Großen: Ölexportierende Staaten bezweifeln die Aussagen der Klimaforscher, die zum Untergang geweihten Inselreiche im Pazifik sehen sie durch den steigenden Meeresspiegel hingegen bestätigt. Auch deshalb das große "Hallo" auf die Studie aus Oxford.

Einige Medien hatten daraus gefolgert, dass der Klimawandel weniger warm ausfällt als vorausberechnet, was die Forscher entschieden zurückwiesen. "Der Wirbel um die Klimastudie (...) wirft ein Schlaglicht auf das Minenfeld, das die Klimaforschung mittlerweile geworden ist", resümieren die Experten von wetteronline.de und sprechen von einer "hitzigen Debatte" zwischen Klimaskeptikern und -forschern, die "dogmatische Züge" trage.

Das ist eher noch untertrieben, wie die vorläufigen Höhepunkte der Entgleisungen außerhalb der Klimawissenschaft berichten. So hat der in Graz lehrende Musikpsychologie-Professor Richard Parncutt vor Monaten die Todesstrafe für jene vorgeschlagen, die den menschengemachten Klimawandel leugnen. Parncutt sagte, er sei zwar im Prinzip gegen die Todesstrafe, "aber Klimaleugner fallen in eine völlig andere Kategorie. Sie sind verantwortlich für den Tod von Hunderten Millionen von Menschen". Inzwischen hat der Australier sich entschuldigt.

Und sie bewegt sich doch" - diesen Satz soll Galileo Galilei im 17. Jahrhundert beim Verlassen des Inquisitionsgerichts gemurmelt haben, nachdem er dem kopernikanischen Weltbild öffentlich abschwören musste. Galilei hatte herausgefunden, dass die alte Sicht der Dinge, wonach die Sonne sich um die Erde drehe, überholt und das Gegenteil richtig sei. Nun titelt das Umweltbundesamt (UBA) in Anspielung auf die Klimaskeptiker: "Und sie erwärmt sich doch" - und setzt sich auf 120 Seiten wissenschaftlich mit den Argumenten der Klimaskeptiker auseinander, die, so das UBA, eine "Scheindebatte" führen. Nicht nur das: Die UBA-Autoren nennen sogar Personen und Organisationen, deren Meinungen und Beiträge der Klimalaie ignorieren solle.

Darauf reagierte wiederum der Publizist Henryk M. Broder in der "Welt" und verglich das Umweltbundesamt mit der "Reichskulturkammer" der Nazis. Er schrieb: "Die Frage lautet nicht “Gibt es einen Klimawandel?„, sondern: “Sind wir auf dem Weg in eine zweite DDR, in der die Regierung auch für den Wetterbericht von heute und das Klima von übermorgen zuständig ist?„"

Es sind noch rund zwei Monate, bevor der UN-Weltklimarat IPCC seinen fünften Report seit 1997 zum Zustand des Erdklimas und über neue Erkenntnisse veröffentlicht. Danach folgt im November der nächste UN-Klimagipfel in Warschau. Damit steht offenbar auch eine neue Aktivitätsphase der Klimaskeptiker bevor. Die UBA-Experten haben registriert: "Gehäuft erscheinen “klimaskeptische„ Beiträge im Vorfeld oder kurze Zeit nach den UN-Klimatagungen."

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