GA-Serie "Wohnen und leben" Wohnraum in Bonn und der Region ist knapp
Bonn/Rhein-Sieg-Kreis · Bonn und weite Teile des Rhein-Sieg-Kreises wachsen weiterhin. Die Kehrseite: Der Wohnraum ist knapp geworden – und teuer, vor allem an der Rheinschiene. Ein Streifzug durch die Region zeigt, welche Auswirkungen die Wohnraumknappheit hat.
Bauzäune scheinen eine magische Anziehungskraft zu besitzen. Oft kleben Schaulustige daran und linsen durch Ritzen oder Gucklöcher. Was passiert auf der anderen Seite? Der Abriss eines Gebäudes, die Erdarbeiten, der wachsende Rohbau – das sind Veränderungen, die neugierig machen.
In Duisdorf müssen die Bauzaungucker nicht draußen bleiben. Zumindest nicht an diesem Spätsommersonntag. Der Zutritt zur Großbaustelle ist ausnahmsweise erwünscht. An der Julius-Leber-Straße entsteht Bonns aktuell größtes Neubaugebiet. Bevor die Erdarbeiten beginnen, hat der Investor Pandion die Öffentlichkeit eingeladen. Für eine kleine Spende zugunsten des örtlichen Jugendzentrums darf jeder mal auf dem Bagger oder der Planierraupe mitfahren. Ein Spaß für Kinder, vor allem für ihre Väter. Den Baggerführern assistierend, rollen sie über das ehemalige Gelände der Gallwitz-Kaserne, stechen hier in den Boden, schütten dort Erde auf. An allen Ecken und Enden ertönt das dumpfe Gurgeln der Maschinen, während der Geruch von Grillwürstchen in der Luft liegt.
Werden Neubauprojekte in Zeiten knappen Wohnraums zum Event? Nein, versichert Marc Skor, Projektleiter bei Pandion. „Wir möchten Kontakt zu den Nachbarn knüpfen.“ Tatsächlich sind viele Anwohner gekommen. Auf 29.000 Quadratmetern entstehen 500 Wohneinheiten, davon 400 Eigentumswohnungen; der Quadratmeter kostet durchschnittlich 3800 Euro. Der Rest wird als geförderter Wohnungsbau realisiert. Der erste Bauabschnitt mit 111 Wohnungen ist in der Vermarktung, ein Drittel ist vergeben. „Wir haben ein gutes Verkaufstempo“, berichtet Skor.
Einwohnerzahl steigt langfristig
500 Wohnungen, davon ein Fünftel mit Mietpreisbindung: Das klingt viel. Nimmt man den Bedarf in Bonn und im Umland zum Maßstab, sind sie aber nur ein kleines Ventil. Der knappe Wohnraum ist eines der drängendsten Probleme in Bonn und in weiten Teilen des Rhein-Sieg-Kreises. Die Region gilt als attraktiv, die Zahl der Arbeitsplätze wächst. „Wir leben in einer Zuzugsregion. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass sich das ändern wird“, sagt Hermann Tengler, Kreis-Wirtschaftsförderer und Leiter des Referats für Strategische Kreisentwicklung.
Bis 2040 wird die Einwohnerzahl Bonns nach Prognosen der Landesstatistiker bei IT.NRW von 311.287 Einwohner (2014) auf 348 895 klettern, die des Rhein-Sieg-Kreises von 582.280 auf 615 352. Zugleich steigt die Zahl der Ein- und Zweipersonenhaushalte – ein Trend, der sich noch verstärkt. „Ein Grund ist die demografische Entwicklung“, so Tengler. „Hinzu kommt, dass die Kinder der Babyboomer-Generation jetzt nach und nach das elterliche Nest verlassen und eine eigene Wohnung suchen.“
All das macht sich auf dem Markt bemerkbar. Die Mieten und vor allem die Preise für Immobilien und Baugrund ziehen an. Laut aktuellem Grundstücksmarktbericht liegt der mittlere Kaufpreis eines frei stehenden Einfamilienhauses in Bonn (Baujahr 1975-2015) bei 485 000 Euro. Im Rhein-Sieg-Kreis reicht die Spanne bei diesem Haustyp von 403 000 Euro in der Bonner Nachbargemeinde Alfter bis 143 000 Euro weit draußen in Windeck. Zum Vergleich: 2009 lagen die mittleren Kaufpreise dort bei 230 000 beziehungsweise 98 000 Euro. Im Kreis Ahrweiler sind nach dem Marktbericht der Kreissparkasse die Preise vor allem im Bonner Einzugsgebiet gestiegen. In dem Landkreis ist das Gefälle groß: In Richtung Eifel flauen Nachfrage und Preise deutlich ab.
Immobilienpreise klettern immer weiter
Besonders an der Rheinschiene wird das Wohnen immer teurer. Beispiel Niederkassel: Dort lag laut KSK-Immobilien der Quadratmeterpreis für eine Bestandswohnung 2017 bei 2847 Euro – zwölf Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Blick auf aktuelle Immobilienanzeigen lässt vermuten, dass das Ende der Fahnenstange nicht erreicht ist. Das Reihenhaus in Sankt Augustin, 1974 erbaut, vier Zimmer, 120 Quadratmeter – 350 000 Euro. Ein Häuschen mit 81 Quadratmetern Wohnfläche auf großem Grundstück in Beuel – 390.000 Euro. Diese Summe wird auch für die „teilsanierte Doppelhaushälfte mit Toplage in Bornheim-Botzdorf“ aufgerufen.
Ingo Suchanek hat schon manches Haus gesehen, Traumvillen wie Bruchbuden. Als Sachverständiger, der Käufer berät, absolviert er pro Woche fünf bis acht Hausbesichtigungen. Seine Gutachten gelten als Entscheidungshilfe beim Kauf. Der feuchte Keller, die schlechte Dachisolierung, die alte Ölheizung: Die von ihm aufgelisteten Mängel sind geeignet, den Kaufpreis zu drücken. Doch dazu komme es heute oft gar nicht, berichtet der Hennefer. Zu groß sei der Druck auf Käuferseite.
"Von niedrigen Zinsen angefixt"
„Viele Käufer sind von den niedrigen Zinsen angefixt und glauben, dass sie nächstes Jahr kein Haus mehr bekommen. Da wird jeder Preis gezahlt.“ Immer häufiger ließen sich Interessenten auf Bieterverfahren ein, die von den Maklern eingeleitet werden – nämlich dann, wenn mehrere um ein Haus buhlen. Wer am meisten drauflegt, bekommt den Zuschlag.
„Es ist völlig verrückt, aber der Markt gibt das her“, sagt Suchanek, der den Wert von Häusern anhand von Faktoren wie Alter, Zustand und Grundstückswert berechnet. „Wenn ich das zugrunde lege, dann liegt der angesetzte Kaufpreis bei vielen Häusern im Rhein-Sieg-Kreis um zehn Prozent über dem Wert.“ In begehrten Bonner Lagen seien es sogar 20 bis 25 Prozent. Suchanek erzählt vom Haus in der Südstadt. Eine Augenweide, Baujahr 1910, aber seit 50 Jahren nicht renoviert. 480 000 Euro sollte es ursprünglich kosten. Es kam zum Bieterverfahren. Am Ende habe das Objekt für 680.000 Euro den Besitzer gewechselt. „Die Modernisierung dürfte dann noch einmal 200.000 Euro gekostet haben“, so der Sachverständige. Seinen Kunden rät er stets, bei allen Emotionen nicht das Rechnen zu vergessen. Was, wenn bei der Haussanierung Unvorhergesehenes auftritt? Was, wenn die Zinsen langfristig doch wieder steigen?
Auf Hausbesuch in Tannenbusch
Ortswechsel. Unterwegs mit Bernhard „Felix“ von Grünberg in Tannenbusch. Der Vorsitzende des Deutschen Mieterbunds (DMB) Bonn/Rhein-Sieg-Ahr macht Hausbesuche. In dem Stadtteil leben die Verdrängten und die Abgehängten, die es auf dem Wohnungsmarkt besonders schwer haben. Zielstrebig geht von Grünberg auf einen Wohnblock aus den 70er Jahren zu, der schon bessere Tage gesehen hat. Die aus Somalia stammende Familie, mit der er verabredet ist, wohnt im vierten Stock. Aufzug? Fehlanzeige.
Der 73-Jährige klettert das muffige Treppenhaus empor. Die Mieter hatten ihn in seiner Sprechstunde aufgesucht und von der räumlichen Enge berichtet. Die vierköpfige Familie lebt in einem Anderthalbzimmer-Apartment. Die 23-jährige Tochter, die auf Lehramt studiert, und der 13-jährige Sohn, der das Abitur machen möchte, teilen sich ein kleines Zimmer. Mutter und Vater schlafen im Wohnzimmer, in dem auch gegessen wird. „Wir haben alles versucht. Es ist nichts zu machen“, berichtet der Vater. Er durchläuft eine Schulung des Jobcenters, seine Frau hat einen Minijob. Drei Zimmer, davon träumt die Familie. Doch wer nimmt sie? Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben viele – laut Mieterbund jeder zweite in Bonn. Rund 3000 Berechtigte stehen demnach in der Bundesstadt auf der Warteliste für öffentlich geförderte Wohnungen.
Die Tannenbuscher Postleitzahl, ein Migrationshintergrund, Transferleistungsempfänger – das seien für Wohnungssuchende K.o.-Kriterien, sagt von Grünberg. „Auf dem Wohnungsmarkt stellen wir oft Rassismus fest. Das macht mich wütend und traurig.“ Er sitzt auf dem Sofa der Somalier und diktiert ein Schreiben an den Vermieter ins Aufnahmegerät. Adressat: der Konzern Vonovia, ehemals Deutsche Annington, bei Mietern verhasst als „Heuschrecke“. Grünberg setzt auf Gesprächsbereitschaft. Er schildert die Enge und macht den Handlungsbedarf deutlich. Kurze Zeit später ist er wieder unterwegs. Ein paar Blöcke weiter wartet der nächste Fall.
Verdrängung ist längst im Gange
In Tannenbusch trifft der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Klienten, die früher in Sozialwohnungen in der Nordstadt wohnten. Die Häuser wurden privatisiert, saniert und waren für viele alteingesessene Mieter nicht mehr erschwinglich. „Heute wohnen dort Leute aus dem mittleren Management“, sagt von Grünberg. Die Verdrängung sei längst im Gange, mit Folgen wie Ausgrenzung und Ghettoisierung.
Was hilft? Bauen. Der gesamte Wohnungsbestand in Bonn und dem Kreis wächst zwar, gemessen an den Prognosen aber nicht schnell genug. Der Rhein-Sieg-Kreis legte 2016 eine Wohnraumbedarf-Studie des Instituts Empirica vor. Demnach müssen bis 2030 im Kreis 30 000 Wohneinheiten gebaut werden – auch weil verstärkt Bonner und Kölner zuziehen, die dort keinen bezahlbaren Wohnraum finden. 2017 sind im Kreis nach Angaben von IT.NRW 2098 neue Wohneinheiten entstanden, bei einem Bestand von nun 279 940 Wohnungen. Im Durchschnitt wurden seit 2011 jährlich 1911 neue gebaut. Zu wenig: Laut Empiricia-Studie müssten es pro Jahr 2500 sein.
Zu wenig Neubauten
Die Stadt Bonn hat keine vergleichbare Studie. Sie verzeichnete 2017 genau 171.847 Wohneinheiten, ein Zuwachs von 1636 gegenüber dem Vorjahr. Seit 2011 sind im Jahresschnitt 1043 Einheiten hinzugekommen. Zu wenig: Nach einer Prognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung von 2015 müssten es mindestens 1800 pro Jahr sein. Der Bedarf, der sich durch die verstärkte Zuwanderung von Flüchtlingen ergibt, ist noch nicht eingerechnet.
Die Schaffung von Wohnraum dürfe nicht allein dem Markt überlassen werden, fordern vor allem der DMB und Sozialverbände. Der öffentlich geförderte Wohnungsbau müsse dringend wieder forciert werden – in erster Linie über öffentliche Gesellschaften. Investoren müssten zudem mehr Anreize erhalten, schließlich gilt der frei finanzierte Wohnungsbau als rentabler. Der Bonner Rat beschloss im Juli das Baulandmodell, wonach bei Neubaugebieten 40 Prozent der Wohnungen öffentlich gefördert sein müssen. Diese Vorgabe gilt aber erst bei künftigen Planungen und erst ab der 25. Wohneinheit. Zurzeit sind lediglich sieben Prozent der Wohnungen in Bonn gefördert, im Kreis etwa zehn Prozent. Landrat Sebastian Schuster brachte dazu jüngst ein wohnungspolitisches Konzept ins Spiel. Allerdings geht im Kreis nichts ohne die 19 Kommunen: Sie haben die Planungshoheit.
"Dem Druck etwas entgegensetzen"
Vor Monaten trafen sich die Kreis-Kommunen zu Wohn-Konferenzen. Von Wachstumseuphorie war keine Spur. Vielmehr wurden die Hemmnisse erörtert, die Baulandentwicklung erschweren: fehlende Flächen, Restriktionen durch Naturschutz, Widerstand in der Bevölkerung, fehlendes Personal, Scheu vor Folgekosten für die Infrastruktur. „Inzwischen findet ein Umdenken statt“, sagt Hermann Tengler. „Die Kommunen sehen, dass sie dem Druck auf dem Wohnungsmarkt etwas entgegensetzen müssen.“
Ein abgestimmtes Vorgehen in der Region gibt es beim Wohnungsbau nicht – noch nicht. NEILA heißt das zarte Pflänzchen, das im Oktober der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Das steht für „Nachhaltige Entwicklung durch Interkommunales Landmanagement“ in der Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahr. Ziel ist es, über kommunale Grenzen hinaus ein Konzept für die künftige Siedlungs- und Gewerbeflächenentwicklung auf die Beine zu stellen.