Kommentar Halbehalbe

Die deutsche Sozialdemokratie ist in einem beklagenswerten Zustand. Bis zum Beginn der Herausforderung durch die Flüchtlingskrise hat die SPD in dieser Legislaturperiode den Hauptteil der Arbeit der Bundesregierung geleistet.

Die Rente mit 63 ebenso durchgesetzt wie den Mindestlohn und und und. Honoriert worden ist sie dafür durch den Wähler nicht. Das heißt: Die Politik der Bundesregierung ist sozialdemokratisiert worden, der Bundestag faktisch auch, aber die Genossen bleiben im Umfragekeller sitzen.

Angela Merkel räumt parteiprogrammatisch eine christdemokratische Position nach der anderen, schafft die Wehrpflicht faktisch ab, ersetzt die Atomenergie durch Sonne und Wind und wird dennoch nicht des Plagiats beschuldigt. Die Bürger wählen eher das Original als die Kopie? Pustekuchen!

Dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel - ohnehin zu spontanen Entschlüssen neigend - da die Geduld verliert, ist verständlich. Verständlich wäre es auch, wenn er das Ziel einer Verdopplung der Wählerstimmen proklamierte. Obwohl das illusorisch ist: Es wäre zumindest eine kraftvolle, selbstbewusste Zielbestimmung. Stattdessen die Verdopplung der Parteispitze auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene zu fordern, ist ein trauriger Ausdruck von Hilflosigkeit.

Wenn Gabriel das wenigstens als klares Bekenntnis zur Frauenförderung verstanden wissen wollte! Aber nein, er argumentiert mit Personalmangel. Immer weniger Ehrenamtliche ließen sich finden, die die belastenden Funktionen wahrnehmen wollten - das kann kein Argument sein, um Führungsverantwortlichkeiten zu teilen. Die große traditionsreiche deutsche Sozialdemokratie mit Vorsitzenden in Teilzeit? Das wird Stoff für die Winterkabaretts! Die SPD braucht keine zwei Vorsitzenden, sondern einen guten, und der muss einen klaren Plan haben. Auch das kann man von Gabriel, dem Immer-noch-Sponti, leider nicht behaupten.

Die, die es bisher mit der Doppelspitze versucht haben, sind damit nicht gut gefahren, jedenfalls nicht, wenn man den Wahlerfolg als Maßstab nimmt. Der Quote ist damit natürlich Genüge getan worden, aber wer die Wahlprozesse der vergangenen Jahre verfolgt hat, weiß auch, wie quälend es manchmal war, sie zu erfüllen. Gleiches gilt für die Linke. Ein Modell, das nun wirklich kein Erfolgsmodell ist, muss man nicht kopieren.

Wenn es die SPD trotzdem versuchen sollte, blieben zwei Fragen: Wen hätte sie denn mit Erfahrung und Autorität, der dieses Amt ausfüllen könnte? Hannelore Kraft jedenfalls hat wieder und wieder betont, sie stehe nicht zur Verfügung. Und das hat sie auf den ungeteilten Vorsitz bezogen, nicht auf den halben.Womit man bei der zweiten Frage ist: Wann endlich ist die Zeit reif für eine SPD-Vorsitzende? Das wäre die überzeugende Variante der Debatte. Aber dann wäre Gabriel seinen Job los, und das will er wiederum nicht.

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