Buchtipp Pascal Bonafoux zeigt Selbstporträts von Rembrandt

Pascal Bonafoux' faszinierendes Buch analysiert die rund 80 Selbstporträts von Rembrandt van Rijn und entzaubert etliche Klischees rund um den Meister. 2019 jährt sich der Todestag des Künstlers zum 350. Mal.

Wie schön, wenn ein ausgewiesener Experte für Selbstporträts von van Gogh bis Rembrandt gründlich mit Klischees aufräumt: Dass das Gesicht „die Psyche und die Seele“ widerspiegle, dass bei Rembrandt (1606-1669) die beispiellose Reihe von 80 Selbstporträts „das intime Tagebuch eines ganzen Lebens sei“, dass er „zu Recht als der beste Maler der menschlichen Seele“ sei, „den es je gegeben hat“, dass er ferner auch die „Geheimnisse der Seelen“ habe malen können: Für derlei einander übertrumpfende Aussagen hat der französische Autor und Kritiker Pascal Bonafoux wenig mehr als „hohles Geschwätz, dummes Zeug, Geschwurbel, was auch immer“ übrig. Für ihn sind das dürftige Plattitüden, vulgäre und nichtssagende Klischees. Nicht auszuschließen, dass derlei Seelen-Interpretationen anlässlich des 350. Todestages wieder hochkochen.

Wenn Bonafoux nun die wichtigsten Porträts in einem Buch vorstellt, so bereitet er den Leser gleich zu Anfang auf eine bittere Enttäuschung vor: „Rembrandts Seele bleibt hier unbekannt, obskur, mysteriös.“ Was sind sie nun, Rembrandts Selbstporträts, wenn keine Fenster in die Seele des Meisters? Bonafoux tut, was wissenschaftlich geboten ist: genau hinsehen. Hier bin ich, und das kann ich – so könnte man die Botschaft von Rembrandts wohl frühestem Selbstporträt 1625 inmitten des bereits meisterhaft komponierten Historienbildes „Steinigung des heiligen Stephanus“ aus Lyon interpretieren. Ein Porträt wie eine Signatur, zentral positioniert, eine Art Modul für das gesamte Bild und ein Statement für potenzielle Auftraggeber, dass er neben Porträts auch historisch komplexe Themen meistern kann.

Der begabte Künstler

Warum zeichnet, radiert, malt sich Rembrandt? Er will zeigen, wie begabt er ist, wenn er sich Anfang 20 flott mit Feder und Tuschpinsel aufs Papier zeichnet, mit spontanem Blick und verwegenem, wilden Haarschopf. Dabei verschiedene Techniken auf dem Blatt ausprobiert. Die Selbstporträts sind, wenn auch kein Blick in Rembrandts Seele, so aber ein faszinierender Bericht über eine einzigartige Werkentwicklung – anhand eines Motivs.

Sich selbst zu malen ist praktisch. Man braucht kein kostspieliges Modell, nur einen Spiegel. Man muss sich vor niemandem rechtfertigen, wenn man Tränensäcke und Falten, Bartstoppeln oder ein malerisch vielleicht verunglücktes, halbverschattetes Bild wie die sehr ähnlichen Selbstporträts aus Kassel und Amsterdam (um 1629) malt. Hier ging es dem jungen Meister sichtlich darum, die letzten Lichtstrahlen, die sich in einzelnen Haaren verfangen, wiederzugeben. Mit virtuoser Geste kratzt er mit dem feinen Pinselstiel in die noch feuchte Farbe. Was uns als Licht erscheint, ist das blanke Holz des Untergrundes. Genial!

Diese Helldunkel-Porträts (Chiaroscuro) sind auch ein Zeichen von Rembrandts Fortschrittlichkeit. Caravaggio, der Neuerer der frühen Barockmalerei, hatte mit solchen Licht-Schatten-Kontrasten gearbeitet. Hat Rembrandt bei dem 1610 gestorbenen Meister abgekupfert? Das wäre naheliegend. Allein, so Bonafoux, „Rembrandt hat niemals auch nur ein einziges Werk Caravaggios gesehen.“ Wohl aber vielleicht die der Utrechter Caravaggisten. Dass Caravaggio Mitte des 18. Jahrhunderts als „Il Rembrante dell'Italia“ bezeichnet wurde, während Rembrandt als transalpinischer Caravaggio durchging, verwirrt die Lage zusätzlich. Bonafoux lässt es offen, wie sich Rembrandt dieser Technik bemächtigte, beschreibt aber, dass ihm durchaus Caravaggios Wirkung bewusst war – und schon in den ersten Selbstporträts mit dem Chiaroscuro spielte.

Was sagen die Kostüme mit Helm oder Barett, in denen sich Rembrandt malt, die Posen, die in den sogenannten „Tronien“ fantastisch festgehaltenen Gemütszustände, die der junge Künstler mit höchstem Können in die Kupferplatte radiert, über die Person aus? Es gebe keine Pose, keine gemalte oder radierte Geste, die irgendetwas über seine Persönlichkeit aussagen würde, meint Bonafoux: „Es ist nichts weiter als reine Malerei“.

Raffael kopiert

Die Beschäftigung mit der eigenen Person also rein zu Übungszwecken, als Plattform, um sein Können zu demonstrieren? Es ist wohl so. Bonafoux bringt auch noch einen interessanten Fall vor: Im April 1639 wird die Kunstsammlung des Kunsthändlers Lucas van Uffelen versteigert, darunter Raffaels Porträt des Baldassare Castiglione, das Alfonso Lopez erwirbt. Rembrandt hat das Raffael-Bild in einer Tuschezeichnung festgehalten, kannte wohl auch einen Tizian mit ähnlicher aufgestützter Armhaltung in Lopez' Residenz „De Vergulde Zon“.

Es ist wohl kein Zufall, dass sich Rembrandt selbst kurz nach der Auktion mit aufgestütztem Arm in einer berühmten Radierung darstellt und bald darauf im Gemälde „Selbstbildnis als Vierunddreißigjähriger“ (National Gallery, London) zeigt. Bonafoux: „Er will kund und wissen tun, dass er – auch ohne je in Rom oder Venedig gewesen zu sein – mit der Malerei eines Raffael und eines Tizian bestens vertraut ist.“