Konzert in Düsseldorf Ein atemberaubender Abend mit den Rolling Stones

DÜSSELDORF · Feuersäulen, irres Geschrei, es könnte nach Schwefel riechen. Die Bühne brennt, inmitten von Rauch, Licht und Lärm steht ein Mann im rot-schwarzen Federmantel, eine Art Ganzkörperboa.

 70 Jahre und kein bisschen leise: Mick Jagger im Düsseldorfer Konzert.

70 Jahre und kein bisschen leise: Mick Jagger im Düsseldorfer Konzert.

Foto: Thomas Brill

Erst wenn er sie ausgezogen hat, sie die Hüften wiegend, stolzierend hinter sich herschleift, sie dann achtlos wegwirft, erkennt man diesen zarten Mick Jagger, Gott der Finsternis und Lichtgestalt in einer Person.

Wie ein Pfau schweift er über die Bühne, wirft die Arme wild fuchtelnd um sich, singt sein frivoles, diabolisches "Pleased to meet you, hope you guess my name", schön, dich zu treffen, ich hoffe du erinnerst dich an meinen Namen. Luzifer Jagger. Als der "Sympathy For The Devil" in der Düsseldorfer Esprit-Arena intoniert, liegen Jaggers in Ehren verrentete Altersgenossen nach einem abendlichen Kräutertee vermutlich schon längst in den Federn.

Mit Ausnahmen: Ron Wood, gerade 67 geworden, Keith Richards (70), Charlie Watts (73) und der frühere (1969-1974) Stones-Gitarrist Mick Taylor (65), der für zwei Nummern in die Tour aufgenommen wurde, teilen mit Jagger (70) die Bühne.

Wären nicht die gnadenlose Kamera und Mega-Projektionswand, die jede Falte, jeden Tränensack und jedes schüttere Haarbüschel abbilden, man könnte die Jungs in der Arena glatt für 40 halten. Wood freilich überzieht den Jugendkult mit einem knallgelben Leibchen: "Schönes T-Shirt. Gibt's das auch für Männer?", frotzelt Jagger.

Bei "Sympathy For The Devil" ist das fantastische Konzert schon fast im Rausch verflogen, gut eineinhalb Stunden sind vorbei, die Stones geben immer noch Gas, steuern aufs Finale und den Zugabenblock zu: Jagger turnt wie ein aufgezogener Duracell-Hase von links nach rechts über die Bühne, fragt auf Deutsch ins Publikum: "Geht's euch gut?" Jaaa.

Mit "Jumpin' Jack Flash" waren die Rolling Stones in ihr Düsseldorf-Konzert eingestiegen. Jagger testete schon mal den 40-Meter-Steg ins Publikum. Das war da von der ersten Sekunde an, willig bei "Let's Spend The Night Together" mitzubrüllen und jeden Kracher der Band zu bejubeln: das mit der berühmtesten Kuhglocke der Rockgeschichte eingeleitete "Honky Tonk Woman", "Gimme Shelter", "Start Me Up", "Miss You".

Bei "It's Only Rock 'N' Roll (But I Like It)" gibt Jagger mit rudernden Armen für 45 000 Fans den Animateur, Richards lässt eines seiner viele Soli krachend von der Leine. "Haaalloo Düsseldorf, es ist toll, wieder in Deutschland zu sein", ruft der Kommunikationsprofi Jagger in die Menge. Und: "Warum ist es am Rhein so schön?"

Später wird er ein "Super Spiel gegen Portugal" rufen und fragen: "Wird Deutschland Weltmeister?" Dass seine britischen Jungs zu der Zeit gerade in größten Schwierigkeiten gegen Uruguay steckten, wusste er vielleicht nicht. "Habt Ihr ein Kölsch?", provoziert er ins Düsseldorfer Publikum hinein, "Ich habe mein Alte-Bier".

Der Mann hat sich gut vorbereitet. Auch musikalisch. Das Programm wie aus einem Guss, als Reise durchs Stones-Universum in 19 Stücken konzipiert, die Nummern mit Spiellust und Attacke genommen, von öder Routine nicht die Spur. Auch Sonderwünsche werden erfüllt: Das Publikum hatte online für "Street Fighting Man" gevotet. Man hatte sich auf "Tage wie diese" eingestellt, witzelte Jagger und begrüßte en passant die Toten Hosen im Publikum.

Das erste Feuerwerk ist abgebrannt, es wird gefühlig. Fantastisches Bass-Intro (Darryl Jones), Jagger zaubert mit der Stimme, lässt die Mundharmonika aufjaulen, wimmern. Und geht in die Pause. Keith Richards übernimmt mit kratziger Bluesstimme, Akustikgitarre und "You Got Me Silver", Ronnie Wood sekundiert mi der Slide Guitar. Zwei alte Country-und-Blues-Zausel. Herrlich.

Auch bei "Cant't Be Seen" übernimmt Richards mit angerautem Dean-Martin-Bariton den Vokalteil, meistert jede Höhe, zieht das Tempo an. Ein aufgedrehter, erfrischter Jagger kommt mit der Mundharmonika aus der Pause, liefert sich mit Taylor ein Duell in tiefster Blues-Erde: "Midnight Rambler", das düsterste, intensivste und mit fast 13 Minuten längste Stücke des Abends, in dem die drei Gitarristen sich ein nicht enden wollendes Scharmützel liefern und Jagger mit Urschreien die Aufmerksam auf sich lenkt. Lisa Fischers souliger Sirenen-Gesang lockt Jagger in "Gimme Shelter" an ihre Seite, ein tolles Duett, das den Blues-Teil krönt.

Mit "Start Me Up" geht das Konzert auf Finalkurs. Noch einmal Besinnliches mit einem Frauenchor aus Detmold bei "You Can't Always Get What You Want" und dann Jaggers Credo "(I Can't Get No) Satisfaction" in gewohnter Härte. Nach Vorruhestand hört sich das nicht an.

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