Giovanni Maria Morandi im Kölner Wallraf-Richartz-Museum Ein Moment der himmlischen Ekstase

Es ist ein Augenblick glühender spiritueller Ekstase, eine einschneidende Ausnahmesituation für die junge Maria, die der Maler Giovanni Maria Morandi in seiner kleinen Kreidezeichnung von 1680 festhält:

 In Aktion: Morandis "Verkündigung an Maria", um 1680.

In Aktion: Morandis "Verkündigung an Maria", um 1680.

Foto: Wallraf

Die Verkündigung durch den Engel - sie, die einfache junge Frau, wird den Messias zur Welt bringen. Meister der Gotik und der Renaissance diesseits und jenseits der Alpen haben sich ganz anders dieser biblischen Schlüsselstelle genähert, da lief dieses Ereignis sehr kontrolliert ab. Eine verklausulierte Ikonografie deutete auf einer intellektuellen Ebene die Tragweite der Situation an. Beim barocken Morandi herrscht Auflösung, pure Emotion: Maria gibt sich in einer expressiven Geste hin, der Engel Gabriel scheint in der Luft vor Erregung zu vibrieren, der Himmel öffnet sich dramatisch für ein sakrales Theater mit Gottvater, Heiligem Geist und einer wuseligen Engelsschar: Entfesselte Aktion auf wenigen Quadratzentimetern.

Morandi hat Bernini, den Star des Jahrhunderts studiert, der mit seiner "Verzückung der heiligen Theresa von Avila" in der römischen Kirche Santa Maria della Vittoria den Prototypen der spirituellen Ekstase geschaffen hat, was Thomas Ketelsen die "Inszenierung des religiösen Begehrens" nennt. Der Leiter der Graphischen Sammlung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum schlägt mit Morandi ein neues, spannendes Kapitel in seiner feinen Grafikreihe auf. Morandi? Der großartige Bologneser Stilllebenmaler Giorgio Morandi (1890-1964) ist weltberühmt, aber den gebürtigen Florentiner Giovanni Maria Morandi (1622-1717) kennen nur Experten. Das wird sich jetzt wohl ändern, denn die Forschung ist dran, diesen Meister, von dem das Wallraf ein rundes Dutzend wunderbarer Rötelzeichnungen besitzt, mit zwingenden Argumenten ins Licht zu heben.

Virtuos wie die bedeutenden Meister des 18. Jahrhunderts in Rom beherrscht er die Klaviatur der Gesten und Affekte, der Posen, die den Raum öffnen, der Instrumente die, ob Architektur oder Heiligenhimmel, die Bühne des Teatrum sacrum bespielen. Morandi ist in seinen Zeichnungen ein Meister der Andeutung und gleichzeitig der Präzision, einer, der den gesamten Bildraum aktiviert und öffnet. Christoph Orth von der Bonner Universität ist Morandi sehr nahe gekommen. Er ist der Kurator der Ausstellung. Vergangenes Jahr hat er seine Masterarbeit über Morandis Zeichnungen bei Professor Georg Satzinger vorgestellt, der auch sein Doktorvater für eine Dissertation über die Kunstpolitik des Chigi-Papstes Alexander VII. ist, einer der prominenten Auftraggeber Morandis.

Als junger Künstler und nach einer soliden Ausbildung in der Zeichner-Hochburg Florenz - am Hof der Medici - ging Morandi nach Rom. Dort wurde er ein Protegé des Duca Jacobo Salviati, der ihm die Türen zum wohlhabenden Bürgertum der Stadt öffnete. Morandi war als begehrter Porträtist tätig und malte Altarbilder für seine Kunden. Die Zeichnungen im Wallraf, die großteils über die Sammlung Lambert Krahes in den Besitz von Ferdinand Franz Wallraf kamen, sind Studien für Altarbilder und Fresken. Sie dienten dazu, mit dem Auftraggeber über das zu realisierende Werk in einen Dialog zu treten oder waren als Skizzen gedacht, die dann ins Großformat übertragen wurden. Ein feines Raster legt sich über manches Blatt, Hilfsmittel für die Übertragung.

Die Ausstellung im Wallraf ist so etwas wie der Blick in Morandis Atelier: Man verfolgt, wie er sich über Varianten dem Thema "Verkündigung" oder dem Motiv "Marien am Grabe" nähert, wie er mit Gesten und Posen spielt, mittels Deckweiß und Lasuren Plastizität und Lichtinszenierung ausreizt. Ein Blatt mit der Trinität verrät, wie Morandi das Personal seiner Bilder in Gestalt einer Collage arrangierte. Er arbeitete dabei zwar mit einer Art Motivbaukasten, modifizierte ihn aber so kreativ und raffiniert, dass jede Zeichnung eine große innere Spannung bekommt. Morandi erweist sich hier als detailverliebter Erzähler, der aber nie das große Ganze aus dem Auge verlor.

Wallraf-Richartz-Museum, Köln; bis 28. Juni. Di-So 10-18 Uhr. Katalog zehn Euro

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