Pixar-Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn Mit Nemo in der Traumfabrik

Bonn · Was hat der glupschäugigen Clownfisch Nemo, was die räudige Ratte Rémy, dass ihr Schicksal nahegeht, dass sie zu Freunden werden auf die Dauer von 100 oder mehr Kinominuten? Sie sind weder Wesen aus Fleisch und Blut noch irgendwie bedeutend oder grundsätzlich liebenswert. Und der Anfang ihrer Existenz ist ein schnödes weißes Stück Papier.

Wie daraus die perfekte Illusion eines in schillernden Untiefen durch Korallen hindurch navigierenden Fisches, einer genial in Paris kochenden Ratte, eines blinzelnden Autos und weinenden, wahnsinnig süßen Roboters werden kann, grenzt an ein Wunder.

Ist aber harte Arbeit: "Wenn wir vier Jahre für einen Animationsfilm brauchen, entfallen zwei Jahre davon auf klassisches Handwerk, die Kunst von Zeichnern, Malern und Bildhauern", sagt Jim Morris, Manager der Bilder- und Illusionsfabrik Pixar, die mit "Findet Nemo", "Ratatouille", "Toy Story", "Cars", "Die Unglaublichen", "Monster AG" und sieben weiteren abendfüllenden Animationsfilmen Milliarden Fans erfreut hat. Elyse Klaidman, Direktorin der Pixar University und Kuratorin der Ausstellung "Pixar - 25 Years of Animation" in der Bundeskunsthalle, erklärt das Erfolgsrezept mit drei klaren Begriffen: "story, character, world".

Das sind auch die Kernbegriffe, die die umfangreiche Bonner Ausstellung mit ihren rund 500 Zeichnungen, Pastellen, Aquarellen, Skulpturen und Filmen gliedern. Ein großer Spaß vor allem für Spezialisten, die das Pixar-Universum genau kennen, mit der Heuschrecke Manny, mit Sullivan und Buh aus der Monster AG, dem Krabbeltier Atta, dem einäugigen Mike, dem Griesgram Carl, den Köchen Linguini, François, Gusteau und Horst per Du sind.

Wer die Filme nicht kennt, ist aufgeschmissen: Die Schau zeigt keine Trailer, liefert keine Inhaltsangaben. Der Grund: "Das ist eine Kunstausstellung", sagt Klaidman. Überzeugend ist das nicht. Zwar wird mit unendlicher Liebe zum Detail erzählt, wie von der ersten Skizze bis zur Adaption durch den Computer Figuren entwickelt, Szenarien ausgetüftelt und Geschichten konstruiert werden. Doch ohne das Endprodukt zu sehen, wirkt vieles wie ein Torso. Ein wunderschöner, wie man bald erkennt.

"Story, character, world", Klaidmans Dreiklang löst sich wie folgt auf: Am Anfang steht die Idee, die Geschichte, die in Drehbüchern und Storyboards entwickelt wird; dann kommen die Figuren, die Charaktere, die die Geschichte vorantreiben, zu Emotionsträgern, Identifikationsfiguren und Projektionsflächen für den Zuschauer werden; schließlich folgt das Design fiktiver und doch in sich schlüssiger Welten, in denen Story und Figuren ihren Platz finden. Wie alles ineinandergreift, davon gibt der 15-minütige Breitwandfilm "Artscope" , der den Weg von der zweidimensionalen Zeichnung in die dritte Dimension geht, einen Eindruck.

Wo alles begann: Das "Zoetrop" zeigt in der Art von Schaubuden des 19. Jahrhunderts ein Karussell mit Pixar-Figuren, das sich in einer bestimmten Geschwindigkeit dreht. Unter dem zuckenden Stroboskoplicht scheinen die Figuren zu leben. Ein Daumenkino im Megaformat. So begann die Illusion bewegter Bilder. Heute bringt Pixar perfekt konzipierte Bilder, in denen, wie bei dem im August startenden "Merida - Legende der Highlights", jede Locke der rotmähnigen Heldin animiert ist.

Pixar ist aber nicht nur ein Universum niedlicher Helden, lustiger Fische und witziger Roboter. Das im kalifornischen Emeryville angesiedelte Unternehmen ist auch eine hoch profitable Sparte im riesigen Disney-Konzern. John Lasseter war Zeichner bei Disney, bevor er der künstlerische Kopf und neben Apple-Chef Steve Jobs Mitbegründer von Pixar wurde. Ohne Disneys Vertriebsmaschine wäre "Toy Story" nie der riesige Erfolg geworden. "Aber wir sind sehr eigenständig", sagt Manager Morris.

Mit dem ersten komplett computeranimierten Film der Welt, dem ersten der "Toy Story"-Trilogie, spielten Pixar und Disney 1995 weltweit 360 Millionen Dollar ein. Pixar ging an die Börse, Jobs machte dort seine erste Million. Die ersten fünf Pixar-Filme spielten zusammen 2,5 Milliarden Dollar ein. Das Merchandising erwirtschaftete Millionen. Auf diese Aspekte der Traumfabrik geht die weltweit reisende, im New Yorker MoMA gestartete und erweiterte Pixar-Schau kaum ein. Dass sich die Bundeskunsthalle unkritisch und unreflektiert kommerziellen Interessen unterwerfe, musste Intendant Robert Fleck sich vorhalten lassen.

Der Schlusspunkt der Schau gibt den Kritikern recht: Der Parcours endet in einem exklusiven Pixar-Shop. Da kann man die Filme kaufen, die man in der Ausstellung nicht sehen konnte.

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