Merkel und Gabriel starten Dialog mit der Basis Wenn Politik auf Bürger trifft

BERLIN · Mutter Beyer hat den Dresscode befohlen: Sakko und ein sauberes Hemd. Immerhin keine Krawatte. Der 18-jährige Tom Beyer wäre gerne wie gehabt in Jeans und T-Shirt gekommen.

 Im Gespräche: Denis Radtke, Gewerkschaftssekretär der IG BCE, Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), der Wirtschaftsforscher Christoph Schmidt, Moderatorin Jana Pareigis, Tom Beyer, Mitglied der Bundesschülerkonferenz, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ulrich Aengenvoort, Direktor des Deutschen Volkshochschul Verbandes, gestern in Berlin (von inlks).

Im Gespräche: Denis Radtke, Gewerkschaftssekretär der IG BCE, Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), der Wirtschaftsforscher Christoph Schmidt, Moderatorin Jana Pareigis, Tom Beyer, Mitglied der Bundesschülerkonferenz, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ulrich Aengenvoort, Direktor des Deutschen Volkshochschul Verbandes, gestern in Berlin (von inlks).

Foto: dpa

Aber bei diesem Anlass, dem Auftakt zu rund 150 Bürgerdialogen über "Gut leben in Deutschland - was uns wichtig ist", noch dazu mit einem Platz auf dem Podium direkt neben der Bundeskanzlerin, da hat Mutter Beyer dann doch ein Machtwort gesprochen. Angela Merkel stellt gleich klar: "Ich war's nicht." Obwohl, bei den Außentemperaturen "hätten Sie sich womöglich noch erkältet" - in Jeans und T-Shirt, sorgt sich Merkel um die Gesundheit von Beyer, Mitglied der Bundesschülerkonferenz. So hört es sich unter anderem an, wenn Politik auf Bürger trifft.

Vor gut drei Jahren ist die Bundeskanzlerin schon einmal durch vier mittelgroße Städte zum damaligen Zukunftsdialog ausgerückt, um zu erfahren, was die Menschen im Lande denken, was sie antreibt, was sie aufregt, was sie bedrückt. Jetzt, im Zeitalter der mittlerweile dritten großen Koalition von CDU, CSU und SPD, starten Merkel und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Bürgerdialog über Leben in Deutschland, der nach dem gestrigen Auftakt bis Mitte Oktober dauert und von gut 70 Veranstaltern in alle Regionen des Landes getragen wird.

Im Koalitionsvertrag haben sich CDU, CSU und SPD schon vorgenommen, Lebensqualität in Deutschland zu beleuchten. Und jetzt wollen Merkel, Gabriel und Co. erst einmal sammeln lassen und hören, was die Menschen zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen, zwischen Cottbus und Aachen bewegt.

Draußen im Foyer jenes Gasometers, in dem sonst Günther Jauch sonntagabends zum Polit-Talk lädt, steht Martin Scherer aus dem badischen Waghäusl bei Bruchsal. Gut leben bedeutet für ihn "ordentlicher Lohn, mindestens zehn Euro pro Stunde". Seine Frau Barbara Scherer leitet die Volkshochschule im Rhein-Pfalz-Kreis und sagt, alle Menschen müssten Zugang zu "angemessenem Wohnen" haben und zu "guter Krankenversorgung". Agnes Denschlag, Leiterin der VHS in Worms, wird im September einen der 150 Bürgerdialoge veranstalten. Ihr Thema: "Glück". Dazu zählt für VHS-Chefin Denschlag, "dass wir friedlich miteinander leben". Sie ist besorgt, dass immer wieder Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland brennen.

Also dann, "Gut Leben in Deutschland". Was bedeutet es für Merkel? Was für Gabriel? Die Bundeskanzlerin überlegt kurz und macht es menschlich. Naja, "dass ich gesund bin, dass meine Familie gesund ist, dass ich Freunde habe und dass die Arbeit mir auch Spaß macht, das ist mir wichtig". Schmunzeln im Saal. Bei Gabriel sind es seine beiden Töchter, die ihm "wichtig" sind. "Ganz persönlich, die beiden Mädels", sagt Gabriel.

Die Kanzlerin und der Vizekanzler sind eben auch nur Menschen. So wie Schülersprecher Beyer, der in seinen 18 Lebensjahren mit und ohne Sakko schon gelernt hat: "Demokratie ist keine Dienstleistung. Da muss man mitmachen, dass man auch wirklich etwas hat davon." Merkel gefällt das. Sie nickt zustimmend in Beyers Richtung.

Der Direktor des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, Ulrich Aengenvoort aus Bonn, weiß, wie Dialoge funktionieren, denn: "Die Volkshochschulen praktizieren seit Jahrzehnten Bürgerdialoge." Wenn Politik sich für die Bürger interessiere, dann interessierten sich die Bürger auch wieder für Politik. Wenn es nur so einfach wäre. Aengenvoort weiß: "Die Leute fragen nach: Was ist aus meinem Vorschlag geworden?" Schön wäre, wenn man wie bei einem Postpaket nachsehen könnte, welchen Status die Sendung, also der Vorschlag, gerade hat.

Merkel, Gabriel und der Rest des Bundeskabinetts wollen sich nun an die Arbeit machen und den Bürgern in zahlreichen Veranstaltungen selbst zuhören. Gabriel sagt augenzwinkernd: "Wir sind besser als unser Ruf." Merkel sekundiert: "Genau." Die Kanzlerin fordert auf: "Schreiben Sie uns." Ruhig auch Positives: "Das baut auf." Sie sagt noch schelmisch: "Das, was uns passt, nehmen wir sofort auf. Aber das, was uns nicht passt, da kommt dann die Stunde der Wahrheit." Man könnte sie auch Bürgerdialog nennen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
„Die Bedrohungslage ist hoch“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Gespräch „Die Bedrohungslage ist hoch“
Zum Thema
Aus dem Ressort