Fleckfieberepidemie Seuche im Gefängnis in Siegburg forderte 300 Menschenleben

Siegburg · Die neueste Ausgabe der Siegburger Blätter befasst sich mit der Fleckfieberepidemie im Siegburger Gefängnis 1945. An der Seuche starben 300 Menschen. Ein Blick in die Geschichte.

 Aus dem Siegburger Stadtarchiv: Häftlinge des Siegburger Gefängnisses 1938 beim Hofgang.

Aus dem Siegburger Stadtarchiv: Häftlinge des Siegburger Gefängnisses 1938 beim Hofgang.

Foto: Stadtarchiv Siegburg

Dass es Anfang 1945 im Siegburger Gefängnis eine Fleckfieberepidemie gegeben hat, war Jan Gerull bekannt. Sehr viel mehr wusste der Siegburger Stadtarchivar darüber aber nicht – bis er dank eines Zufalls im vergangenen Jahr an Dokumente aus dem Nachlass des damaligen Siegburger Amtsarztes Bruno Bange gelangte und das Ausmaß der Seuche erkannte. Seine neuen Erkenntnisse hat Gerull bereits im November in einem Museumsgespräch weitergegeben und nun in der Reihe „Siegburger Blätter“ niedergeschrieben. Die 66. Ausgabe stellte er am Mittwoch gemeinsam mit Bürgermeister Franz Huhn, Verleger Reinhard Zado und dem Siegburger JVA-Leiter Wolfgang Klein im Stadtmuseum vor.

Vor der historischen Aufnahme eines Hofgangs im Siegburger Gefängnis aus dem Jahr 1938 berichtete Gerull von der Epidemie, die 1945 im ersten Halbjahr in Siegburg 300 Menschen das Leben gekostet hat. „Im Januar 1945 war das Siegburger Gefängnis mit politischen Gefangenen hoffnungslos überbelegt“, sagte Gerull. Eigentlich für 900 Häftlinge konzipiert, waren in den Gebäuden an der Luisenstraße damals zwischen 2500 und 3000 Menschen inhaftiert. „Momentan haben wir 500 Gefangene“, schlug der Siegburger JVA-Leiter Wolfgang Klein die Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart und verdeutlichte so das Ausmaß der Überbelegung.

Als mit dem Jahreswechsel 1944/45 die Krankheitsrate im Gefängnis schlagartig anstieg und die ersten Gefangenen starben, ging die Anstaltsleitung laut Gerull zunächst von einer Grippe aus. Erst als ein Wärter erkrankte, hatte der ihn untersuchende Windecker Arzt den Verdacht, dass es sich nicht um Grippe, sondern vielmehr um einen Fall von Fleckfieber handelte.

Politischer Häftling hatte medizinische Hoheit

Am 16. Februar 1945 erhielt Amtsarzt Bruno Bange den Brief des Windecker Kollegen. Erst zwölf Tage später hatte er dann die Gewissheit: Es handelte sich um einen Fall aus dem Siegburger Gefängnis und es war tatsächlich das Fleckfieber, an dem dort so viele Inhaftierte erkrankt waren. Das verdankt seinen Namen einem markanten Hautausschlag, der die Krankheit begleitet. Erkrankte leiden unter starken Kopf- und Gliederschmerzen, haben hohes Fieber, das über Tage bei weit über 40 Grad Celsius liegt. Schäden an Organgen, Gehirn und Zentralem Nervensystem sowie geistige Umnebelung bis hin zu Halluzinationen sind die Folge. Ohne Behandlung sterben 40 Prozent der Betroffenen.

 Siegburgs Stadtarchivar Jan Gerull präsentiert zusammen mit Verleger Reinhard Zado die 66. Ausgabe der Siegburger Blätter.

Siegburgs Stadtarchivar Jan Gerull präsentiert zusammen mit Verleger Reinhard Zado die 66. Ausgabe der Siegburger Blätter.

Foto: Nadine Quadt

„Vermutlich ist die Seuche über Läuse in Matratzen aus dem Kölner Klingelpütz auf den Brückberg gekommen“, erläuterte Gerull. Ihr Herr zu werden, sei angesichts der Überbelegung im Gefängnis und der allgemeinen Krisensituation – kein Wasser, kein Strom, kein Telefon, immer weniger Lebensmittel und schlechte Medikamentenversorgung – schwierig gewesen. Ärzte und Anstaltsleiter versuchten über Zu- und Ausgangssperren und das Einstellen von Zwangsarbeiten zumindest eine Ausbreitung der Krankheit in ganz Siegburg zu verhindern. „Bis auf wenige Ausnahmen blieb die Epidemie tatsächlich auf das Gefängnis begrenzt“, sagte Gerull.

Nachdem sich der Anstaltsarzt krank gemeldet hatte, übergab der Gefängnisleiter die medizinische Hoheit einem der politischen Häftlinge, dem Kölner Arzt und Widerstandskämpfer Jakob Ahles, der nach Kriegsende noch viele Jahre in Siegburg praktizierte. Dieser begann damit, soweit möglich, Infizierte von bislang Verschonten zu separieren. Aber spürbar gebessert habe sich die Lage erst, nachdem die Amerikaner Siegburg vom Nationalsozialismus befreit hätten, so Gerull. Mit den Alliierten seien Ärzte, Sanitäter und die wichtigen Medikamente gekommen. „Sie konnten aber nicht verhindern, dass auch dann noch Erkrankte starben“, erklärte der Stadtarchivar, der sich in seinem Beitrag auch mit der Aufarbeitung der Epidemie nach Kriegsende auseinandersetzt.

Sehr eindringlich findet JVA-Leiter Wolfgang Klein die Schilderungen Gerulls. Aus Erzählungen seiner aus Siegburg stammenden Familie sei ihm die Epidemie bekannt gewesen. „Meine Großeltern haben von der gelben Fahne auf dem JVA-Dach erzählt und davon, dass sie das Gelände meiden sollten“, erinnerte er sich. Entsprechende JVA-Akten lagerten im Staatsarchiv. Angesichts des Siegburger Blatts habe er sich gefragt, wie er eine solche Krise gemeistert hätte. „Wir sind heute gewappnet“, sagte Klein mit Blick auf Pandemiepläne und funktionierende Kommunikationswege.

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