Kommentar Die Lage der FDP - Herkules Lindner

Für Gelb-Blau gilt Alarmstufe Rot. Die FDP durchlebt ihre tiefste Krise in der Geschichte der Republik. Das hängt eng mit dem Absturz bei den Bundestagswahlen am 22. September zusammen.

Aber es sind mehr die immer massiver werdenden politischen Folgewirkungen. Bedrängt werden die Liberalen durch die rechtspopulistische AfD, die mit ihrem Anti-Euro-Kurs inzwischen tief in die liberale Wählerschaft eingedrungen ist. Die Grünen nehmen die Rest-FDP doppelt in die Zange: Einerseits nähern sie sich einem liberalen Staatsbegriff, der seine Rolle defensiv sieht.

Andererseits profiliert sich die kleinere Oppositionspartei als Kämpfer für mehr Bürgerrechte - ehemals ein liberales Brot- und Butterthema. Weite Teile des Koalitionsvertrages hätte auch die FDP unterzeichnen können. Es ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die die FDP zu überrollen droht.

Vor diesem Hintergrund wirkt der auf dem Parteitag am Wochenende zu wählende Christian Lindner wie ein Heilsbringer der Liberalen - eine Rolle, die ihn schnell überfordern dürfte. Er ist mehrfach herausgefordert: Lindner muss den Erosionsprozess in der Partei stoppen.

Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Die unfreundliche Reaktion beispielsweise des sächsischen Landesverbandes, dessen Landesvorsitzender Zastrow überraschend nicht mehr als Bundesvize antritt, signalisiert dem 34-jährigen, dass die Partei nicht sehnsüchtig auf die Person Lindner gewartet hat. Alte Rechnungen sind offen. Mit Spannung wird erwartet, ob der gescheiterte Parteichef Rösler bei seiner Abschiedsvorstellung ohne Hakeleien und Nachtretereien auskommt - obwohl eine offene Debatte über die Gründe des FDP-Dramas unausweichlich ist

Lindners dringendste Herausforderung ist aber eine Imageverbesserung und die programmatische Neuerfindung der FDP. Dabei irrt der künftige Chef, wenn er davon spricht, dass die Partei ein Buhmann-Image angeheftet bekommen habe. Die FDP trug bisher ihre eiskalte sozialpolitische Ausstrahlung wie eine Auszeichnung vor sich her.

Die Westerwelles und Röslers verbauten sich realitätsblind alle Bündnis-Optionen zu den Sozialdemokraten. Man klammerte sich an die Rockschöße der Union - bis hin zu jenem wahrlich jämmerlichen Betteln um CDU-Zweitstimmen, als klar wurde, dass es die Partei aus eigener Kraft nicht mehr in den neuen Bundestag schaffen würde.

Auf den neuen Vorsitzenden Lindner wartet also eine Herkules-Aufgabe. Er kann aber darauf vertrauen, dass Deutschland eine weltoffene liberale Partei dringender denn je braucht. Nur, ob binnen vier Jahren die Aufarbeitung der Katastrophe, die Konsolidierung der innerparteilichen Situation und die programmatische Neuausrichtung gelingt, ist eine Frage, die aus heutiger Sicht völlig offen ist.

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