Ausstellung im Frauenmuseum Bonn Angstvisionen und süße Träume

Bonn · LVR-Klinik Bonn präsentiert sich im Jubiläumsjahr mit „KunstVerrückt – Kunst aus der Psychiatrie“ im Frauenmuseum. Spannender Blick auf eine unverstellte Kreativität.

 Künstlerin Ruth Tauchert (rechts) hat eine Puppe von Achim Maaz ins Großformat gebracht. Mit im Bild: Linda Orth und Markus Banger.

Künstlerin Ruth Tauchert (rechts) hat eine Puppe von Achim Maaz ins Großformat gebracht. Mit im Bild: Linda Orth und Markus Banger.

Foto: Benjamin Westhoff

Sie träumen wie wir in bunten Bildern von Schlössern, pittoresken Städten und bukolischen Landschaften, von einem schicken Auto und von geselligen Runden. Sie bringen auf dem Papier ihre Welt in Ordnung oder lassen sie genüsslich verwildern. Sie leben ihre erotischen Fantasien und Sehnsüchte in Gemälden oder Objekten aus und formulieren ihre Ängste. Weit aufgesperrt der Mund, Tränen spritzen wie im Comic, daneben liest man ein herzzerreißendes „Mama, alle können mich nicht leiden! Außer mir.“ Was für eine Botschaft! Klaus S. hat sie 1971 in die Welt gebrüllt, prägnant und mit präzisem Strich hat er seine Verzweiflung mit Wachskreide auf den schwarzen Karton gebracht. Was sein Kunstwerk mit den übrigen 58 Positionen im Frauenmuseum gemeinsam hat: Alle Werke stammen von Psychiatrie-Patienten der LVR-Klinik.

Über die „Bildnerei der Geisteskranken“, wie sie der Arzt Hans Prinzhorn beschrieb, die „Art Brut“, „Outsider-Kunst“ oder neuerdings „Neurodiverse Kunst“ wird viel spekuliert, sie spielt mitunter auch eine Rolle im Kunsthandel. Die Ausstellung „KunstVerrückt“ im Frauenmuseum vermeidet solche Etiketten und versucht, sich der unverstellten Kreativität großteils anonymer Patienten-Künstler zu öffnen. Einziger „Promi“ ist der Bonner Achim Maaz, ein Autist, der einen Großteil seines Lebens in Anstalten verbrachte. Er wurde vom Kunstmarkt entdeckt.

Sammlung des Bonner Psychiatrie-Museums

Rund 900 Bilder von 1948 bis 1980 umfasst die Bonner Sammlung des Psychiatrie-Museums „Ver-rückte Zeiten“ in der LVR-Klinik. Gründerin Linda Orth, Wolfgang Klenk und Jo da Venza-Tillmanns haben eine Auswahl getroffen. Die wenigsten Bilder sind signiert, bisweilen weiß man nur den Vornamen, nur selten das Geschlecht. Zwar stammen etliche Werke aus Patientenakten, doch die Diagnose wird verschwiegen: „Wir verzichten auf Diagnosen und Bewertungen“, sagt Orth, „uns war außerdem wichtig, dass die Ausstellenden nichts mit Kunst zu tun hatten.“ Erst in der Anstalt oder Klinik begannen sie, angeregt durch Beschäftigungstherapeuten, zu malen oder zeichnen – „sie haben aus sich heraus gemalt. Das war keine Kunsttherapie.“

In der Ausstellung geht es vielmehr um eine sehr ursprüngliche Kreativität: Etwa wie ein Patient ein Gesicht oder einen Eisbecher wahrnimmt und mit fließenden Linien einfängt, wie er seine aktuelle, erinnerte oder erträumte Umgebung – man weiß es nicht genau – einfängt oder sich mit dem Alltag in der Psychiatrie beschäftigt. Wie die Patientin, die auf 800 in Sütterlin-Schrift eng beschriebenen Seiten Protokoll führt und zum Beispiel dem behandelnden Arzt vorschreibt, welche Patienten er zu entlassen habe. Die meisten Werke sind figurativ, viele muten surreal an, haben einen Hang zum Fantastischen, auch eine gewisse Obsession ist zu spüren, wenn etwa ein Motiv fortwährend wiederholt wird.

Bonner Malerin Ruth Tauchert auf Recherchetour

So wie die Patienten ihre Innen- und Außenwelten in bunten Farben ausloteten, so ist auch die Bonner Malerin Ruth Tauchert in die Welt der Psychiatrie eingetaucht. Sie hat sich intensiv mit Exponaten des Psychiatrie-Museums Bonn befasst. Da sieht man eine Puppe von Maaz im Großformat, Scheren und Gabeln aus dem Bestand des Museums hinterlassen ihre Spuren, Traum und Trauma werden bearbeitet. „Mich hat vieles in dem Museum tief berührt, und genau das habe ich gezeichnet“, sagt sie. Und modelliert: Eine „Donna Quichota“ aus Gips etwa sitzt ziemlich unglücklich auf ihrem Klepper.

Der ärztliche Direktor, Professor Markus Banger, richtet den Blick in die Vergangenheit – die LVR-Klinik Bonn feiert in diesem Jahr den 140. – und in die Zukunft. 1882 war die „Provinzial-Irrenanstalt“ außerhalb der Stadtgrenze eröffnet worden. Auf einen Plan sehen wir einen „Raum für tobsüchtige Frauen“, Fotos zeigen Säle mit Betten für 20 Patienten. Weitere Details aus der Geschichte der Psychiatrie kann man im Psychiatrie-Museum „Ver-rückte Zeiten“ entdecken. Fotos und Pläne zeigen, wie es in der LVR-Klinik weitergehen soll.

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