Auf den Spuren Oppenheims Der Dschihad des Kölner Strategen

Den Islam "als Schwert des Lichts" in die Welt tragen - das klingt verdächtig nach modernem Terrorismus. In Steffen Kopetzkys faszinierendem Roman "Risiko" aber ist genau dies die Strategie des Kölner Bankiersohns, kaiserlichen Diplomaten, Nachrichtendienstlers, Archäologen und Orientkenners Max von Oppenheim (1860-1946).

 Brennpunkt Istanbul.

Brennpunkt Istanbul.

Foto: dpa-tmn

Dessen historisch verbriefte "Denkschrift über die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde" hatte Wilhelm II. 1914 überzeugt. Und im Vielfrontenkrieg gegen Europas Großmächte schien der Dschihad von Kaisers Gnaden ein genialer Coup zu sein: an der Seite des osmanischen Kalifats die Muslime von Ägypten bis zum Kaukasus zum Aufstand gegen ihre Kolonialherren aufzustacheln.

Der unglaublich klingende Plan ist keineswegs Kopetzkys Erfindung, sondern historische Tatsache. Allerdings macht der 1971 in Pfaffenhofen an der Ilm geborene Autor daraus einen faszinierenden Hochseiltanz zwischen Fakten und Fiktion. Sein ausgedachter Held heißt Sebastian Stichnote, ein fernwehkranker Marinefunker aus München-Giesing.

Doch Stichnote begegnet auf der "SMS Breslau" realen Figuren: Dem schneidigen Leutnant zur See Karl Dönitz und dem kaffeesüchtigen Konteradmiral Wilhelm Souchon, der die deutsche Mini-Flotte vor den nachsetzenden Briten in den Bosporus lotst. Der geniale Trick, die "Breslau" und die "Goeben" sogleich den Türken zu schenken, macht Konstantinopel zur prächtigen Plattform des Dschihad-Unternehmens.

Doch vorher lässt sich Kopetzky ("Grand Tour") köstlich viel Zeit, saugt das Flair der Brückenmetropole zwischen den Kontinenten ein. Stichnote darf sich (zunächst unglücklich) verlieben, lindert Zahnschmerzen mit Opium oder Heroin und sitzt mit Dönitz immer wieder über dem Brettspiel vom "großen europäischen Krieg", das tatsächlich wie ein Vorläufer des "Risiko"-Spiels wirkt.

Historisch kundig, atmosphäresatt und ereignisprall schlägt dieser in zehnjähriger Arbeit entstandene Roman den Leser unwiderstehlich in Bann. Und im heutigen Istanbul beginnt erst Stichnotes großes Abenteuer: die fast 5000 Kilometer lange Land-Expedition über Bagdad und Persien bis nach Afghanistan. Dort sollen die Paschtunen zum Kampf gegen Britisch-Indien animiert werden.

Dabei würzt Kopetzky seinen makellos recherchierten Geschichtsunterricht um den tatsächlichen Expeditionsleiter Oskar Niedermayer mit erfundenen Randfiguren: In den als indischen Prinzen getarnten britischen Agenten etwa verliebt sich ausgerechnet ein Schweizer Journalist, der dem Tross als angeblicher Waffenhändler angehört.

Kopetzky (von 2002 bis 2008 künstlerischer Leiter der Bonner Biennale) vereint auf dem langen Weg zum Hindukusch anekdotische Präzision mit epischem Atem. Grandios etwa die Überquerung des Taurus-Gebirges auf Maultieren oder der zermürbende Marsch durch die salzige Kewir-Wüste mit ihren Morastfallen. Irgendwann unterwegs wird Stichnote die tonnenschwere Telefunkenanlage gegen Brieftauben austauschen.

Bei all dem denkt man unwillkürlich an David Leans formatsprengenden Film "Lawrence von Arabien", dessen Held T.E. Lawrence ja tatsächlich auf der britisch-arabischen Gegenseite stand.

Wie Stichnote dann in ein Duell auf Leben und Tod mit dem afghanischen Emir Habibullah gerät, welche Rolle ein abgerichteter Falke spielt und wie der Autor kurz vor der blutigen Zielgeraden des großen Schlachtens eine utopische Abbiegung entdeckt - das alles muss man selbst gelesen haben. Denn mag Max von Oppenheims "Uhrwerk aus Gedanken und Fiktionen" letztlich auch auf halber Strecke stehen geblieben sein - "Risiko" beschert es einen literarischen Triumph.

0 Steffen Kopetzky: Risiko. Roman, Klett-Cotta, 727 S., 24,95 Euro. Der Autor liest am 16. April, 19.30 Uhr, im Literaturhaus Köln, Großer Griechenmarkt 39.

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