Die Hunde-Vorleserin

"Car Gwyllt": An Daniel Roths Schau im Bonner Kunstmuseum ist nicht nur der Titel verwirrend

Die Hunde-Vorleserin
Foto: Franz Fischer

Bonn. Es war einmal auf einer Halbinsel in Nordwales. Da lebte vor langer Zeit in einer schwer durchdringbaren Wildnis Adelaide Haigh, die ihre Gärtner entließ, um fortan unter streunenden Hunden zu leben, denen sie abends aus Büchern vorlas.

Geschichten wie diese selbst im walisischen Hafenstädtchen Portmeirion recherchierte faszinieren den Künstler Daniel Roth, reizen ihn zu einer sehr eigenwilligen, meist sperrigen, nie illustrierenden Reaktion, zu Zeichnungen, Modellen, Objekten, Filmen. Er verfolgt diese Geschichte aus Wales weiter, bis hin zu Clough Ellis Williams, der die Halbinsel kaufte und dort ein Dorf baute, dessen Häuser unbewohnbar waren und bald überwuchert wurden.

Der Besucher von Roths Ausstellung im Kunstmuseum Bonn steht vor der Entscheidung, sich von dem im Schwarzwald geborenen, in Basel lebenden und in Karlsruhe Malerei lehrenden Geschichtenerzähler verführen zu lassen, oder aber eigene interpretatorische Wege zu gehen. Beides hat seine Logik und seinen Reiz, doch wer Roth nicht folgt, verpasst etwas.

"Diese Halbinsel war für mich ein magischer Ort, der sich von der Wirklichkeit abkoppelt, der sich verselbstständigt", sagt Roth und erinnert daran, dass dort die "total durchgeknallte" schauerliche TV-Serie "The Prisoner" (sie lief 1960 unter "Nummer 6" im ZDF) gedreht wurde. Roths künstlerischer Kommentar sind etwa wunderbar klar gezeichnete Architekturen und Räume, die aber weitgehend absurd sind, verwirrend, uneindeutig: mit spitzem Bleistift ausgeführte Labyrinthe und Albträume.

Wie in einem naturkundlichen oder kulturgeschichtlichen Museum gruppiert er vermeintliche Fundstücke aus jener abgekoppelten Welt: Eine Art Scholle, bizarre Artefakte und einen nachgebauten "Car Gwyllt", der der Ausstellung den Titel gibt. Das ist ein archaisches Rollgerät, mit dem sich walisische Minenarbeiter einst fortbewegten.

Roths durchaus spannende, abstruse Geschichten und deren sehr freie, dabei aber ungeheuer konzentrierte und raffinierte mediale Aufarbeitung entführen den Besucher ferner in einen "Skulpturenpark für die Antarktis" (2008) rund um das vom Packeis zermalmte Schiff "Endurance" des Polarforschers Ernest Henry Shackleton.

Oder sie laden ihn in den legendären mit Palmen bewaldeten Wintergarten des Hotels Krasnapolsky in Amsterdam ein, in dem schon Joseph Conrad Notizen für seine Romane niederschrieb. Vom Krasnopolsky geht Roths imaginäre Reise in den Untergrund: Denn das alte Amsterdam wurde zwecks Stabilisierung auf riesigen Schwarzwälder Tannen gebaut - ein Wald unter der Erde. Für Roth ist das erneut ein Ansatz, traumhafte Zwischenreiche auszuloten und mit exakten und doch verwirrenden Architekturzeichnungen und Objekten Hinweise darauf zu geben.

Hinweise auf Roths Wunderwelt bekommt der Passant schon an der B 9: Oben auf dem Dach des Kunstmuseums leuchtet die Schrift "Pension Hohl". Das ist keine neue Einnahmequelle für das klamme Haus, sondern öffnet die Tür zu einer Reise an den Gardasee, zu Gabriele D'Annunzio, wandernden Bergen und einem Kriegsschiff von Mussolini. Doch das ist einen neue, schöne Geschichte.

Mit dem 41-jährigen Roth - und in zwei Wochen mit Dorothea-von-Stetten-Künstlern in den Dreißigern - bricht im Kunstmuseum der Jugendwahn aus, als sei's ein quirliger Kunstverein.

Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2; bis 1. März. Di-So 11-18, Mi bis 21 Uhr

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