Bonner Beethoven-Woche Herausfordernde lange Nacht der Stimmen im Kunstverein

BONN · Mehr davon: Man möchte sofort in den Sudelbüchern Georg Christoph Lichtenbergs lesen und über weitere seiner Aphorismen schmunzeln. So gut kamen die geistreichen Gedankensplitter beim Publikum an. Zumal sie der Meister der Miniatur, der Komponist György Kurtág, vertont hat und Multi-Talent Salome Kammer sie äußerst charmant vortrug.

Der Auftritt der Stimmsolistin, Schauspielerin, Sängerin und Cellistin Kammer stand am Anfang eines sehr langen Abends, in dem es um die Vielfalt aktueller Vokalmusik jenseits des konventionellen Gesangs ging.

Ungewöhnlicher Ort - in der Ausstellung des kanadischen Künstlers Brian Jungen im Bonner Kunstverein. Ungewöhnliche Zeit - das Konzert begann um 21 Uhr und endete eine halbe Stunde nach Mitternacht. Ungewöhnliche Ausdrucksformen der menschlichen Stimme - von Sprechgesang und Lautmalerei über Obertongesang und Global-Jodeling bis hin zu Beatboxing und elektronischer Verfremdung.

Die Veranstaltung "SingBar - Lange Nacht mit Stimmen" kombiniere bewusst sehr unterschiedliche Musiken, die die Zuhörer, statt sie einzulullen, herausfordere, sagte Moderatorin Ursula Timmer-Fontani vom Beethoven-Haus. Neben den kurzweiligen Kompositionen Kurtágs op. 37 und den lustigen Laut- und Klanggedichten Hugo Balls wirkten die Aria von John Cage und die Sequenza III von Luciano Berio denn auch etwas unzugänglich. Obwohl Salome Kammer diese anspruchsvollen Werke klanglich und darstellerisch hervorragend interpretierte.

Für große Begeisterung sorgten Christian Zehnder (Stimme, Obertongesang, Wippakkordeon, Orgelpfeifen) und Jazz-Geiger Tobias Preisig mit "Free Colloquy": freie, aber durchaus strukturierte Stücke, die eigenwillige Neuinterpretationen alpiner Volksmusik mit lässiger Jazz-Improvisation souverän kombinierten. Selten ist der Höreindruck einer zweiten Stimme beim Obertongesang so prägnant wie bei Zehnder. Die Bandbreite seiner Stimmtechniken ist enorm: Jodeln, Kehlkopfgesang, Register- und Lagenwechsel, um nur einige zu nennen. Auch sein theatralisches Talent kam zur Geltung. Preisig erwies sich dabei als idealer musikalischer Partner: Selten wird Jazz auf der Geige so überzeugend intoniert.

Danach hatte es Jazz-Sänger Michael Schiefel, der Gesang mit Elektronik verbindet, zuerst nicht leicht, das Publikum zu erreichen. Nicht nur wegen der fortgeschrittenen Nachtzeit kam die Interaktion eher langsam in Gang. Auch der Einsatz von Loop-Gerät und Computer, um Mehrstimmigkeit und andere, teils bizarre Klangeffekte zu erreichen, begrenzte zunächst die eigentliche Unmittelbarkeit von Musik. Am Ende jedoch zeigten sich die Zuhörer von Schiefels Improvisationskunst beeindruckt und konnten seine Spielfreude nachvollziehen. Eine wahrhaft "Lange Nacht mit Stimmen" voller vielschichtiger Klangeindrücke: faszinierend, inspirierend und - herausfordernd.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ein Porträt Venedigs am Piano
Iiro Rantala und Fiona Grond beim Jazzfest Ein Porträt Venedigs am Piano
Zum Thema
Aus dem Ressort