Gemeinnützige Werkstätten Bonn Sprungbrett in eine geregelte Arbeit

Beuel · Mit mehr als 600 Mitarbeitern und Beschäftigten an drei Unternehmensstandorten im Gewerbegebiet Beuel-Ost sind die Gemeinnützigen Werkstätten ein großer Arbeitgeber in Bonn. Hier wird das Wort Inklusion mit Leben gefüllt.

Moderne Logistik: (v. l.) Lagerleiter Rolf Stockhausen, Leitung Lager, Wolfgang Pütz, Vorstandsvorsitzender des Bonner Vereins für gemeindenahe Psychiatrie, und Helmut Krautscheid, Bereichsleiter Versand, in einem der Zentrallager der Gemeinnützigen Werkstätten.

Moderne Logistik: (v. l.) Lagerleiter Rolf Stockhausen, Leitung Lager, Wolfgang Pütz, Vorstandsvorsitzender des Bonner Vereins für gemeindenahe Psychiatrie, und Helmut Krautscheid, Bereichsleiter Versand, in einem der Zentrallager der Gemeinnützigen Werkstätten.

Foto: Benjamin Westhoff

Nach dem Schneeballsystem will Wolfgang Pütz, Vorstandsvorsitzender des Bonner Vereins für gemeindenahe Psychiatrie (GVP), immer mehr Unternehmer in der Region mit Menschen mit Behinderung oder deren Arbeitgebern zusammenbringen – analog einem Schneeball, der einmal ins Rollen gebracht, stetig wächst. Daher hat er vor einem Jahr das Netzwerk bonn-rhein-sieg-fairbindet, initiiert. Stichwort ist Inklusion am Arbeitsplatz. Mit der Stadt Bonn, dem Rhein-Sieg-Kreis, der Agentur für Arbeit und der Industrie- und Handelskammer hat er zugkräftige Repräsentanten zu einer Kooperation bewegt. Sie geben Geld für die Geschäftsstelle und werben in ihren Netzwerken.

Mittlerweile haben sich 15 Partner, darunter Telekom Baskets, Kinopolis und Aktion Mensch, angeschlossen. Nach Pütz' Vorstellung könnte das Netzwerk schneller wachsen, wären da nicht die „Barrieren in den Köpfen vieler Arbeitgeber. Es sind einerseits unspezifische Ängste. Psychisch kranken Menschen sieht man oftmals nicht an, was sie haben.“ Andererseits würden Chefs einen zu großen Organisationsaufwand, Probleme in der Belegschaft und Schwierigkeiten mit Arbeitsgesetzgebung und dem Beantragen von Fördermitteln fürchten. Überzeugungsarbeit per Broschüre erscheint Pütz nur bedingt zielführend. „Besser ist es, an konkreten Beispielen zu zeigen, dass und wie Inklusion möglich ist.“

Der Kern des Modells für einen inklusiven regionalen Arbeitsmarkt steckt bereits in der Gründung des Bonner Vereins für gemeindenahe Psychatrie 1981. „Zu der Zeit war das Zuhause psychisch Kranker oftmals die Klinik. Sie wurden dort untergebracht, so der Terminus. Sie schliefen mit 50 anderen im Saal und wurden medikamentiert“, skizziert Pütz. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, diese Menschen aus der Isolation zurück in die Gesellschaft – also gemeindenah – zu begleiten. Ein Wohnheim mit sechs Klienten und zwei Helfern war der Anfang. Mittlerweile betreut der Verein weit mehr als 1500 chronisch psychisch erkrankte Menschen, 300 in eigenen Wohnungen und 125 in Wohnheimen. Kostenträger sind der Landschaftsverband Rheinland, die Stadt Bonn, die Bundesagentur für Arbeit und die Rentenversicherung.

„In den eigenen vier Wänden zu leben, ist das eine. Ebenso wichtig ist ein strukturierter Tag. Dazu gehört auch Arbeiten als sinngebender Wert“, erläutert Pütz. „Es bedeutet neben einem geregelten Einkommen gesellschaftliche Normalität und die Möglichkeit, Kontakte aufzubauen.“ Allerdings seien psychisch erkrankte Menschen oftmals nicht in der Lage, ihrem ausgeübten Beruf weiter nachzugehen, oder können es nur eingeschränkt. In den GVP Gemeinnützigen Werkstätten, einer Tochter des Bonner Vereins, haben sie das Angebot, sich wieder ins Berufsleben zu integrieren.

Mit mehr als 600 Mitarbeitern und Beschäftigten an drei Unternehmensstandorten im Gewerbegebiet Beuel-Ost sind die Gemeinnützigen Werkstätten ein großer Arbeitgeber in Bonn. „Wir sind mittlerweile einer der führenden Dienstleister für individuelle Versand-, Konfektionierungs- und Montagearbeiten im Rheinland“, resümiert Pütz. Unter anderem erhalten die Werkstätten Aufträge von Bundespresseamt, Haribo, Wirtgen Group und DLR. „An den Ausschreibungen müssen wir uns wie andere Unternehmen beteiligen. Völlig klar, dass wir trotz sozialem Auftrag im Markt nichts geschenkt bekommen. Wollen wir aber auch nicht.“

Auch die zweite und dritte Tochter des Bonner Vereins, das Kulturbistro Pauke-Life in Bonn und Prima mit Deutschlands erstem inklusiven Restaurant Godesburger machen vor, wie Inklusion am Arbeitsplatz funktioniert. „Einerseits wird Fachkräftemangel beklagt. Andererseits habe wir hier Arbeitskräfte, die unbedingt wieder in den Beruf wollen. Da muss doch was gehen. Wir brauchen nur die Bereitschaft, es auszuprobieren“, wirbt Pütz. Der Schnellball rollt.

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